Neues Verständnis der Korngrenzenkinetik ermöglicht verbesserte Kontrolle von Kristallmikrostrukturen
Ein internationales Forschungsteam liefert neue Konzepte für die Beeinflussung polykristalliner Materialien, indem es die grundlegenden Mechanismen der Korngrenzenbewegung neu beleuchtet. Sie zeigen, dass sich Korngrenzen in kristallinen Werkstoffen wie Brownsche Ratschen bewegen, was bedeutet, dass Nichtgleichgewichtsstörungen wie Spannungs- oder Temperaturoszillationen ihre gerichtete Bewegung vorantreiben und so die Entwicklung der Mikrostruktur und das Kornwachstum beschleunigen können.
Kristalline Materialien in Natur und Technik, wie Metalle, Keramiken, Kolloide und Gesteine, sind meist polykristallin und werden in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt, von der Mikroelektronik bis hin zu Strukturkomponenten in der Luft- und Raumfahrt oder im Bauwesen. Wenn ein Material polykristallin ist, bedeutet dies, dass es aus vielen verschiedenen Kristallen mit unterschiedlichen Ausrichtungen besteht, die oft auch als Körner bezeichnet werden. Diese Körner sind durch wohlgeordnete Atome in einer Gitterstruktur gekennzeichnet, und zwischen ihnen bilden sich ausgedehnte Defekte oder Grenzflächen, die als Korngrenzen bezeichnet werden. Diese Korngrenzen sind in Kristallen häufig anzutreffen und beeinflussen ihre mechanischen und physikalischen Eigenschaften in hohem Maße. Daher ist die Manipulation der Verteilung von Korngrenzen und der daraus resultierenden Mikrostruktur eine Schlüsselstrategie für die Anpassung der Materialeigenschaften.
Ein internationales Forschungsteam, dem auch Prof. Marco Salvalaglio und der Doktorand Maik Punke vom Institut für Wissenschaftliches Rechnen der TU Dresden angehören, konnte nun zeigen, dass Nichtgleichgewichtsstörungen wie Spannungs- oder Temperaturoszillationen eine gerichtete Bewegung der Korngrenzen bewirken und damit das Kornwachstum beschleunigen können. Ihre Arbeit zeigt, dass sich die meisten Korngrenzen auf eine Weise bewegen, die den so genannten Brownschen Ratschen ähnelt, d. h. Mechanismen, die zufällige Fluktuationen in gerichtete Bewegungen umwandeln.
Das Team hat diese Ergebnisse durch hoch entwickelte Simulationen mit verschiedenen Methoden sowie durch Experimente erzielt und haben damit unser grundlegendes Verständnis davon, wie sich Grenzen in Kristallen bewegen, verändert und neue Konzepte für die Manipulation polykristalliner Materialien geliefert.
Mit unseren Ergebnissen haben wir das derzeitige Verständnis der Korngrenzenkinetik, das die meisten Forschenden und Lehrbücher vertreten, neu definiert. Neben ihrer grundlegenden Bedeutung hat diese Forschung auch wichtige Auswirkungen auf die Kontrolle der Mikrostruktur von Materialien. Die Beseitigung von Korngrenzen und die Beschleunigung des Kornwachstums können durch die Anwendung von Schwingungsfeldern wie Spannung, Temperatur sowie elektrischen und magnetischen Feldern erreicht werden. Dieses Konzept könnte bei der Entwicklung von Materialien mit erhöhter Festigkeit und Temperaturbeständigkeit sowie bei der Anpassung der Korngrenzenverteilung Anwendung finden. Unsere Arbeit ist sehr interdisziplinär und verbindet die Grundlagenforschung der Fakultät Mathematik mit modernster Forschung zu praktischen Anwendungen in der Materialwissenschaft und im Ingenieurwesen, so Marco Salvalaglio.
Neben Prof. Marco Salvalaglio von der TUD arbeiteten Forschende der CityU Hong Kong, der University of Hong Kong, der University of California und der Shanghai Jiao Tong University an dem Projekt mit.
Originalveröffentlichung: Caihao Qiu, Maik Punke, Yuan Tian, Ying Han, Siqi Wang, Yishi Su, Marco Salvalaglio, Xiaoqing Pan, David J. Srolovitz, Jian Han. Grain boundaries are Brownian ratchets. Science. DOI: 10.1126/science.adp1516
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