Innovativer Stahlguss

Werkstoffe 07. 05. 2025
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TRIP/TWIP-Effekt ebnet den Weg für sicherere und nachhaltigere Bauteile

Dem Fraunhofer IWU und der TU Bergakademie Freiberg ist nach Mitteilung des Fraunhofer IWU ein Durchbruch in der Stahlgusstechnologie gelungen. Ihre Entwicklung eines kaltumformbaren, kupferlegierten austenitischen Stahlgusses mit TRIP/TWIP-Eigenschaften markiert einen Meilenstein in der Materialwissenschaft und eröffnet gänzlich neue Per­spektiven für sicherheitskritische Anwendungen. Die neue Legierung bietet eine bisher beispiellose Kombination aus Festigkeit und Duktilität: Sie ist hoch belastbar und kann sich dennoch plastisch verformen.

Das Geheimnis des TRIP/TWIP-Effekts

Der Kern dieser Innovation liegt im sogenannten TRIP/TWIP-Effekt, der dem neuen Stahlguss seine außergewöhnlichen Eigenschaften verleiht. TRIP steht für Transformationsindu­zierte Plastizität und TWIP für Zwillingsindu­zierte Plastizität. Diese beiden Mechanismen bewirken, dass sich die Mikrostruktur des Materials unter Belastung verändert, was zu einer deutlichen Steigerung von Festigkeit und Duktilität führt.

  • TRIP-Effekt: Unter mechanischer Beanspruchung wandelt sich ein Teil des Austenits, eine zäh-weiche Gefügephase, und in die harte und feste Martensit-Phase um. Diese Umwandlung führt zu einer lokalen Verfestigung des Materials und erhöht seine Widerstandsfähigkeit gegen Risse.
  • TWIP-Effekt: Hierbei bilden sich im Austenit sogenannte Verformungszwillinge, die ebenfalls zu einer Verfestigung und Erhöhung der Zähigkeit des Materials beitragen.

Beide Effekte steigern die Zugfestigkeit des Werkstoffs beziehungsweise seine Fähigkeit, mechanische Energie aufzunehmen: Durch die Kombination dieser beiden Effekte wird die Festigkeit des Werkstoffes signifikant erhöht und das Bauteilversagen unter dynamischer Belastung verzögert, erläutert Nadine Lehnert, die am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU die Projektleitung im DFG-geförderten Forschungsvorhaben Kaltumformung von Stahlguss übernommen hat. Zudem verbesserten sich das Umformvermögen und das Energieaufnahmevermögen im Falle eines Aufpralls erheblich.

Und das funktioniert so: Die Anfangsform aus der betrachteten Stahlgusslegierung wird durch die Kaltmassivumformung zu einem Produkt mit einer feinkörnigen, rückumgewandelten austenitischen Gefügestruktur umgeformt. Die Fertigungsroute beginnt mit einer grobkörnigen, austenitischen Struktur. Das Werkstück wird zunächst in einer Fließpressmatrize hinsichtlich des Durchmessers reduziert. Diese mechanische Belastung führt durch den TRIP-/TWIP-Effekt zu einem teilweise martensitischen Gefüge. Die anschließende Wärmebehandlung im Ofen bewirkt eine Reduzierung der Korngröße (Feinkörnigkeit) im Bauteil, dank der Rückumwandlung von Martensit in Austenit. Bei hoher Belastung kann es im Bauteil, konkret im Austenitgefüge, zu einem Anriss kommen, der allerdings nicht zum Versagen führt, sondern durch eine martensitische Umwandlung des Gefüges gestoppt wird. Durch die erneute Verfestigung (Martensit) wird die Belastbarkeit des Materials sogar erhöht.

Anwendungsbereiche mit ­hohem Sicherheitspotenzial

Die einzigartigen Eigenschaften des neuen Stahlgusses prädestinieren ihn laut Fraunhofer IWU für den Einsatz in sicherheitskritischen Anwendungen, in denen höchste Anforderungen an Festigkeit, Zähigkeit und Zuverlässigkeit gestellt werden.

  • Automobilbau: Schrauben, Fahrwerksbau­teile, Crashabsorber und Karosseriestrukturen profitieren von der hohen Energie­aufnahme und der Crashsicherheit des Materials.
  • Luft- und Raumfahrt: Strukturbauteile und Befestigungselemente können durch den neuen Stahlguss leichter und widerstandsfähiger gestaltet werden.
  • Medizintechnik: Implantate und chirurgische Instrumente können durch die hohe Biokompatibilität und Festigkeit des Materials optimiert werden.
  • Bauwesen und Infrastruktur: ­Gebirgsanker und Befestigungselemente für Brücken und Tunnel können durch die hohe Rissbeständigkeit des Materials sicherer gemacht werden. Denn die Legierung spielt ihre Vorteile aus, wo es auf die Haltbarkeit des Materials auch unter extremen Belastungen ankommt.

Energieeffiziente ­Kaltumformung als Schlüsseltechnologie

Ein weiterer entscheidender Vorteil des neuen Stahlgusses ist die Eignung für die Kaltmassivumformung. Dieses Verfahren ermöglicht die Herstellung von Bauteilen bei Raumtemperatur, wodurch energieintensive Prozesse wie das Warmwalzen überflüssig werden. Die Prozesskette der Kaltumformung ist laut Lehnert deutlich kürzer und effizienter. Wir beginnen mit einem vorgegossenen Werkstück, das dann direkt umgeformt wird. Dadurch entfallen zahlreiche energieaufwendige Schritte wie das Erwärmen, Walzen und Entzundern, die bei der Warmumformung erforderlich sind, erklärt Nadine Lehnert.

Gegenüber der herkömmlichen Prozesskette entfallen für die Herstellung von Verbindungselementen aus Drahthalbzeugen durch die Kaltmassivumformung die Schritte Warmwalzen (2), Wärmebehandlung (3), Entzundern (4) und Kaltziehen/-walzen auf Endmaß (5), wodurch in Deutschland 1,5 GJ/t Energie und 40 Tonnen Kohlenstoffdioxid eingespart werden könnten Schäumverfahren(Bild: EMO Hannover) (© Fraunhofer IWU/Freepik)

 

Nachhaltigkeit und ­Wirtschaftlichkeit im Fokus

Neben den technischen Vorteilen trägt die Entwicklung des neuen Stahlgusses auch zur Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bei.

  • Ressourcenschonung, gesundheitliche Aspekte: Der teilweise Ersatz von Nickel durch Kupfer reduziert den Einsatz von teuren und knappen Ressourcen sowie die gesundheitlichen Gefahren bei der Verarbeitung.
  • Energieeinsparung: Die Kaltumformung verbraucht deutlich weniger Energie als die Warmumformung, was zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen führt.
  • Kosteneffizienz: Die vereinfachte Prozesskette, der geringere Materialeinsatz und der niedrigere Gasverbrauch (Kaltmassivumformung) senken die Produktionskosten.

Ein Blick in die Zukunft

Die Forschungsergebnisse des Teams bilden die Grundlage für eine gezielte Nutzung des TRIP/TWIP-Effekts für sicherheitskritische Anwendungen. Zukünftige Forschungsarbeiten am Fraunhofer IWU werden sich auf die Optimierung des Umformprozesses und die gezielte Einstellung von Materialeigenschaften konzentrieren. Das Ziel ist es, die Potenziale des TRIP/TWIP-Effekts voll auszuschöpfen und die wirtschaftliche Herstellung von hochleistungsfähigen Bauteilen für eine Vielzahl von Anwendungen zu ermöglichen.

Text zum Titelbild: Bei der untersuchten, kaltumgeformten Legierung bewirkt eine Belastung eine erneute Materialverfestigung, wovon auch Verbindungselemente profitieren (© Fraunhofer IWU)

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