Werkstoff-, Oberflächen- und Fügetechnik – Entwicklungen und Anwendungen im Fokus  –  Teil 2

Werkstoffe 06. 06. 2023

Großer Zuspruch für das 23. Werkstofftechnische Kolloquium der TU Chemnitz am 29./30. März 2023

Neben den im ersten Teil des Berichts vorgestellten Themen, beispielsweise zu Techniken des thermischen Spritzen, tragen Beiträge zur Mensch-Technik-Interaktion und zum Einsatz künstlicher Intelligenz am Beispiel thermischer Beschichtungsprozesse zu neuen Denkrichtungen im Hinblick auf die Optimierung der Bauteilbeschichtung bei, unabhängig von der Art der eingesetzten Technologie. Auch die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der Additiven Fertigung wurden auf der Tagung beleuchtet, ebenso wie die stets wichtige Entwicklung neuer Prozess- und Werkstoffvarianten. Grundsätzlich zu beachten bei der Auswahl eines Beschichtungsverfahrens sind die Möglichkeiten, diese mit der Härtung einer Bauteiloberfläche, bekannt unter der Bezeichnung Randschichthärtung, zu kombinieren – auch darüber wurde auf dem WTK berichtet.

Fortsetzung aus WOMag 5/2023

Interaktion von Mensch und Technik

Mensch-Maschine-­Interaktion beim Thermischen Spritzen

Dr. Franziska Bocklisch, TU Chemnitz, befasst sich mit der Interaktion von Mensch und Maschine und hat in diesem Zusammenhang den Prozess des thermischen Spritzens betrachtet. Damit vollzieht sie mit ihren Untersuchungen den nächsten Schritt der Technologieentwicklung hin zu Industrie 5.0. Diese Arbeiten liefern unter anderem die Fakten für die Entwickler von Prozesstechnik, vor ­allem der Entwicklung von Robotern. Im einfachsten Fall geht es um Informationen, die beispielsweise vom Display eines Geräts ausgegeben und durch den Anlagenbediener genutzt werden. Eines der daraus folgenden Ziele ist es, eine echte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine zu erzeugen. Um abzuschätzen, wie diese Zusammenarbeit aussehen kann, wurde die Arbeit beim Beschichten mittels atmosphärischem Plasmaspritzen betrachtet.

Vorbild für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ist für die Vortragende das Zusammenwirken von Menschen bei der Arbeit. Dies beinhaltet das Teilen von Kenntnissen über den Arbeitsprozess oder das Teilen von Zielen des Arbeitsprozesses. Dazu wurden die Fähigkeiten und ­Arbeitsweisen des Menschen so aufgeschlüsselt, dass diese die Grundlage für einen AI-Algorithmus darstellen können (AI – Artificial Intelligence). Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Fähigkeiten gelegt, die auf Fachkenntnissen beruhen. Dazu fließen unter anderem umfangreiche Daten zu den ­durchgeführten Prozessen ein. Bei dem Beispiel des thermischen Spritzen zählen dazu Angaben über die Pulver, die Parameter der Spritzanlage oder die notwendigen Angaben zum Sub­strat. Daraus werden die Steuerdaten für den Spritzprozess ermittelt und das daraus entstehende Produkt Schicht analysiert. Aus Variationen der Eingangsdaten ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, die von der AI bewertet und eingeordnet werden – es wird also ein Lernvorgang erzeugt. Die Ergebnisse führen darüber hinaus auch dazu, dass von den Ergebnissen auf eine sinnvolle Varianz der Ausgangsgrößen rückgeschlossen werden kann.

AI – von der Simulation in die Praxis

Seyed Ruhollah. Dokhanchi vom Institut für Oberflächentechnik, Aachen, betrachtete ebenfalls den Prozess des Plasmaspritzens und den Einsatz von AI (Artificial Intelligence) zur Verbesserung der praktischen Nutzung der Technologie. Eine Herausforderung ist nach seiner Aussage die hohe Anzahl an Einflussgrößen auf das Ergebnis, die zudem nicht­lineare Abhängigkeiten aufweisen. Die von ihm durchgeführten Untersuchungen zielen darauf ab, Methoden der künstlichen Intelligenz zu integrieren, um die Abscheidungs­effizienz beim Plasmaspritzen vorherzusagen und zu optimieren.

Im ersten Schritt werden analytische Modelle zur Vorhersage der Effizienz entwickelt. Ausgangspunkt ist die Suche nach Zusammenhängen zwischen Ausgangsparametern und deren Wirkung auf das Ergebnis Schicht. Zu diesem Zweck kommen zum Beispiel ­Fuzzy Logik und Neuro-Fuzzy zum Einsatz, wobei die elektronischen Systeme ein ausführliches Training durchlaufen unter Nutzung von Simulationen und Experimentdaten. Die Vorhersageergebnisse werden in jeder Iteration durch Experimente validiert und anschließend die Vorhersagegenauigkeit erhöht. Ziel ist es vor allem, die Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen Trainingsmethoden so hoch wie möglich werden zu lassen. Durch ein mehrfaches Durchlaufen von Simulation und Messdaten steigt die Präzision der Vorhersagen und damit die Treffsicherheit der AI. Das entwickelte System kann als Werkzeug zur Qualitätsvorhersage und -überwachung beim Plasmaspritzen mithilfe von daten- und wissensbasierten Techniken eingesetzt und so die Integration des Beschichtungsprozesses in die Produktionskette verbessert werden.

AI in der Galvanotechnik

In zunehmendem Umfang kommt nach Aussage von Andreas Scholz, Aucos AG, Aachen, in der galvanotechnischen Produktion die sogenannte künstliche Intelligenz zum Einsatz. Dass dies möglich ist, ist vor allem der dramatischen Entwicklung in der Prozesstechnik zu verdanken. In der klassischen Steuerungstechnik muss im ersten Schritt festgelegt werden, welche Abfolgen vom Anwender gefordert und gewünscht sind. Im Gegensatz dazu werden beim maschinellen Lernen einer Maschine möglichst viele Abfolgen angeboten und die Maschine wird aufgefordert, die optimalen Abläufe herauszufinden. Dabei wird im Hintergrund jedem Ablauf eine bestimmte Gewichtung zugeschrieben.

Die Gewichtung der unterschiedlichen Prozessschritte führt zu einer Gesamtbewertung jeder möglichen Schrittfolge und daraus wiederum kann diejenige mit der höchsten Gesamtgewichtung ausgewählt werden. Wichtig ist hierbei, dem System die verschiedenen Einschränkungen oder Teilanforderungen mit­zuteilen; dies können zum Beispiel bei der Bedienung einer galvanischen Produktionsanlage der Ausschluss von Zusammenstößen von Transportwagen, die Maximierung der Durchlaufgeschwindigkeit oder die Reduzierung von Einzelbewegungen sein. Daraus entsteht ein System, das sehr gut auf Änderungen in der Prozessabfolge reagieren kann.

Einer der Vorteile liegt darin, dass die Steue­rungstechnik, wie sie im Unternehmen des Vortragenden hergestellt wird, vor Inbetriebnahme einer realen Anlage bereits umfangreiche Lernvorgänge durchführt. Basis für die Eingangsdaten für das Training der AI ist die Nutzung von Daten der Produktqualität. Hierzu werden die Produktionsdaten mit den Ergebnissen der Qualitätskontrolle verknüpft und so die notwendigen Daten für eine optimale Unterstützung der Anlagensteuerung durch AI geschaffen.

Fachdiskussion und Erfahrungsaustausch zwischen den Spezialisten der Branchen (Bild: WTK)

 

Randschichthärten

Erhöhung der ­Verschleißbeständigkeit rostfreier Stähle

Michel Wendel, Bodycote, stellte die Technologie des Unternehmens zur Herstellung verschleiß- und ­korrosionsbeständiger Oberflächen auf korrosionsbeständigen Stählen vor, ein Niederdruckdiffusionsverfahren (auch unter der Bezeichnung Kolsterisieren bekannt). Bei dem Verfahren werden in die Oberflächenzone vor allem Kohlenstoff- und Stickstoffatome in das Metallgitter eingelagert, vorrangig in die Oktaederlücken des auste­nitischen Gefüges. Die hierdurch ­verspannte Mikrostruktur und die daraus resultierenden hohen Druckeigenspannungen führen zu einem starken Anstieg der ­Oberflächenhärte.

Durch den graduellen Diffusionsverlauf bleibt das duktile Verhalten des Grundmaterials erhalten. Die Prozesstemperaturen liegen unterhalb des Sensibilisierungsbereichs der korrosionsbeständigen Stähle, wodurch die Korrosionsbeständigkeit des Ausgangsmaterials unverändert bleibt. In Verbindung mit einer Passivschicht auf der Oberfläche des Grundmetalls ergeben sich somit eine Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit und eine deutliche Erhöhung der Oberflächenhärte. Es handelt sich also nicht um eine Beschichtung des Grundmaterials, sondern um eine Art Umwandlungsschicht in der Oberflächenzone.

Bis in eine Tiefe von etwa 40 µm werden durch die Einlagerung Druckspannungen aufgebaut, durch welche die ­Oberflächenhärte auf Werte von bis zu 900 HV0,05 ­ansteigen kann. Ein Abplatzen der ­Oberflächenzone wird bei dieser Art der Härtung aufgrund des graduellen Anstiegs weitgehend ausgeschlossen. Zudem bleiben Form und Abmessungen der Grundwerkstoffe erhalten.

Derart behandelte Bauteile zeigen eine höhere Korrosions- und Verschleißbeständigkeit, eine geringere Neigung zum Kaltverschweißen sowie ein besseres Verhalten gegenüber Kavitation und Ermüdung. Die Änderung der Werkstoffzusammensetzung führt zu keinerlei Nachteilen im Hinblick auf die Toxizität, so dass die derart behandelten Teile auch in der Lebensmittelindustrie oder für medizinische Produkte eingesetzt werden können. Ein weiteres interessantes Beispiel, das der Vortragende vorstellte, sind optimierte Konstruktionen beispielsweise für Pumpenkolben ohne Dichtung oder Lenkstangen, die nur noch aus einem Werkstoff bestehen.

Drehbearbeitung rostfreier ­Stähle nach einer Oberflächenhärtung

Wie Robin Berger, BorTec GmbH, einleitend betonte, tritt bei korrosionsbeständigen Stählen der Nachteil auf, dass eine Drehbearbeitung die Korrosionsbeständigkeit deutlich erniedrigt. Um die Passivierung von rostfreien Stählen durch Chrom aktivieren zu können, müssen mindestens 12 % Chrom in der Oberflächenschicht vorliegen. Durch eine ungeeignete Wärmebehandlung wird das Chrom gebunden und steht dann nicht mehr für die Passivierung zur Verfügung. Dieser Effekt tritt auch punktuell auf, hervorgerufen durch eine mechanische Bearbeitung. Ursache ist die Reaktion von Chrom mit Stickstoff (zu Chromnitrid) oder Kohlenstoff (zu Chromcarbid). Verstärkt wird der Effekt durch schuppenartiges Abschälen des Werkstoffs an der Oberfläche.

Abhilfe schafft das elektrochemische Abtragen nach der mechanischen Bearbeitung. In Betracht kommen die Verfahren Elektropolieren oder Plasmapolieren, mit denen die Passivierbarkeit gegeben ist und die Korro­sionsbeständigkeit wieder in den Ausgangszustand gebracht werden kann (also wie ohne mechanische Bearbeitung). Die besten Ergeb­nisse werden bei Abtragstiefen von etwa 8 µm und mehr erzielt.

Der Vortragende zeigte die Ergebnisse der durchgeführten Bearbeitungen am Werkstoff X5CrNi18-10; die Änderungen der Eigenschaften wurden durch Stromdichte-Potenzial-Kurven bestimmt. Unterschiede im Korrosionsverhalten lassen Rückschlüsse darauf zu, welche Abtragsverfahren und Parameter geeignet sind, um die Korrosionsbeständigkeit von realen Bauteilen nach einer Niedertemperatur-Randschichthärtung zu optimieren.

Werkstoffhärtung durch ­Diamantglättung

Ziel der von Dr. Thomas Lindner, TU Chemnitz, vorgestellten Untersuchung ist die Herstellung von speziellen Dünnschichtüberzügen auf Werkzeugen zur Bearbeitung von Holzwerkstoffen. Üblich sind hier Schichten aus Titannitrid oder Chromnitrid, wobei Dicken zwischen etwa 1 µm und bis zu 10 µm gebräuchlich sind. Derartige Schichten können Alternativen zu Hartmetall darstellen. Dünnschichtüberzüge dieser Art erzielen dann gute Ergebnisse, wenn die Oberflächenhärte des Substrats hoch ist. Damit wird das Einbrechen der aufgebrachten Dünnschicht verhindert.

Zur Steigerung der Oberflächenhärte des eingesetzten Werkzeugstahls wurde das Substrat einer mechanischen Bearbeitung durch Polieren und Diamantglättung unterzogen. Als Hartstoffschicht wurde CrxTiyN in Dicken von etwa 2 µm hergestellt. Untersuchungen per Phasenanalyse zeigen, dass sich durch das Diamantglätten die Gitterstruktur an der Oberfläche ändert. Die gemessenen Härten der Oberfläche reichen von etwa 650 HV an der Außenzone abfallend auf etwa 300 HV bis 400 HV in einer Tiefe von 200 µm und mehr. Die Gefügeanalyse zeigt darüber hinaus, dass die Korngrößen durch die Diamantglättung reduziert werden. Mikrohärtemessungen belegen die Härtesteigerung durch die mechanische Bearbeitung.

Bei dem vom Vortragenden ­eingesetzten Werkzeugstahl (X120Mn12) ergab sich durch Diamantglätten ein Anstieg der ­Härte um etwa 200 HV. Die tribologische Untersuchung (Scratchtest) zeigte allerdings ein schlechteres Verhalten der Oberfläche durch diese Behandlung.

Material- und Prozessentwicklung

Integrierte ­rechnergestützte Werkstofftechnik

Die schnelle Weiterentwicklung computerbasierter Verfahren bietet großartige Chancen für die Verbesserung von Nachhaltigkeit und Resilienz bei der Entwicklung neuer Bauteile. Mit dem Integrated Computational Materials Engineering (ICME), ein Thema mit dem sich Prof. Friedrich Raether vom Fraunhofer-Zentrum für Hochtemperatur-Leichtbau HTL in Bayreuth befasst, wird der Ansatz verfolgt, verschiedenartige computerbasierte und experimentelle Techniken so zu verknüpfen, dass eine zielgerichtete Entwicklungskette von der Produktplanung bis zur industriellen Fertigung entsteht. Zum ICME zählen Methoden zur ­Topologieoptimierung und Materialauswahl sowie dem Mikrostruktur- und Prozessdesign. Daran anknüpfend spielen das Scale-up der Prozesse bis in den Produktionsmaßstab ebenso eine Rolle wie Sensorik in den Produktionsaggregaten und Defektologie in der Materialprüfung. Künstliche Intelligenz ist hilfreich bei der Automatisierung der Algorithmen und unverzichtbar bei der Einführung des Industrie 4.0-Standards in der Bauteilfertigung.

Thermochemische ­Stabilität technischer Werkstoffe

Thermochemische Berechnungen finden nach Aussage von Dr. Moritz to Baben, GTT-Technologies, Herzogenrath, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie Anwendung, um Materialien und Prozesse bei hohen Temperaturen zu verstehen und zu entwerfen. In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass die Datenbankentwicklung unter Verwendung der CalPhad-Methodik zu sehr zuverlässigen Gibbs-Energiebeschreibungen aller Phasen führt, die für alle anorganischen Materialien relevant sind, von Stählen und Nichteisenlegierungen bis hin zu Schlacken und Oxiden sowie Nichtoxiden, Keramik und sogar zu Salzen.

Trotz des Erfolgs thermochemischer Simulationssoftware wie FactSage (mitentwickelt von GTT-Technologies) gibt es große Bereiche des chemischen Zusammensetzungsraums, für die zuverlässige thermochemische Daten fehlen. Dies ist sowohl für das Design von neuen Funktionsmaterialien als auch für Anwendungen in der Kreislaufwirtschaft problematisch, da steigende Recyclingraten zu erhöhten Konzentrationen von Minderheitselementen, zum Beispiel bei Stählen, führen. Um den chemischen Raum zu erweitern, für den thermochemische Daten verfügbar sind, hat GTT-Technologies in den letzten Jahren Datenbanken vom Typ CalPhad entwickelt, welche auf den offenen quantenmechanischen Datenbanken materialproject.org und oqmd.org basieren, sowie Modelle für maschinelles Lernen zur Konsistenzmodifikation und für die Schätzung der Wärmekapazität und Entropie.

Materialdesign von ­Mehrphasenkeramiken

Die Mikrostruktursimulation keramischer Materialeigenschaften ist ein wertvolles Werkzeug zur Anpassung von Verbundwerkstoffen an anwendungsspezifische Anforderungen. Die Simulationen ermöglichen es, den Einfluss einzelner Parameter (z. B. Volumenanteile, Korngrößen, Grenzflächenanteile der Mikrostruktur) und die Auswirkung der Variation dieser Parameter besser zu ­verstehen. Dies ermöglicht einen Top-Down-Ansatz für das Materialdesign, bei dem die Zusammen­setzung des Materials anhand des gewünschten Zielparameters optimiert wird. Simon Pirkelmann, Fraunhofer-Zentrum für Hochtemperatur-Leichtbau HTL, Bayreuth, stellte in seinem Vortrag eine Methodik für das Top-Down-Design von Keramikmaterialien vor, die aus zwei oder mehr Phasen bestehen.

Kern der Methode ist eine ­automatisierte Simulationskette auf der Basis von repräsentativen Volumenelementen zur Generierung einer Datenbank von Beziehungen zwischen Mikrostruktur und Materialeigenschaft. Die aus dieser Simulationskette abgeleitete Datenbank wird zum Trainieren von ­Modellen des maschinellen Lernens verwendet, die eine schnelle Vorhersage von Materialeigenschaften in Abhängigkeit von Mikrostrukturparametern ermöglichen. Ein Gradient-Boosting-Algorithmus ­ermöglicht zuverlässige und effiziente Berechnungen für ausgewählte thermische und mechanische Eigenschaften. Umgekehrt erlaubt dies die Identifizierung geeigneter Mikrostrukturparameter zur Realisierung vorgegebener Werte einer Materialeigenschaft (Top-Down-Design). Die Ergebnisse der Methode wurden anhand des bekannten Materialsystems Aluminiumoxid/Zirkonoxid (ATZ/ZTA) validiert.

Sintern von Keramikteilen

Dr. Shadi Sharba, Fraunhofer-Zentrum für Hoch­temperatur-Leichtbau HTL, Bayreuth, ­befasst sich mit der Entwicklung von digitalen Zwillingen, basierend auf kinetischen Feld- und FE-Methoden für das Sintern von Keramik­komponenten in Tunnelöfen. Hier ist vor allem die Optimierung thermischer Prozesse ein wichtiges Thema in der Keramikindustrie, um sowohl die Energieeffizienz als auch die Produktqualität zu verbessern. Da eine rein empirische Optimierung kosten- und zeitintensiv ist, gibt es Ansätze, thermische Prozesse durch numerische Modelle zu beschreiben. Um ein nützliches Werkzeug zur Optimierung der Eigenschaften von Keramikprodukten zu sein, erfordern solche Modelle eine hohe Präzision bei der Vorhersage beispielsweise von Schrumpfung und Spannungen während des Sinterns als Funktion der Temperatur.

Insbesondere eine zuverlässige Vorhersage der endgültigen geometrischen Veränderung ist entscheidend, um Teile mit der erforderlichen Form innerhalb zulässiger Toleranzen herzustellen. Bei einem neuartigen Ansatz zur Digitalisierung der thermischen Bearbei­tung von Keramik- und Pulvermetallteilen werden Spannungen und ­Sinterschrumpfung durch ein Finite-Elemente-Sintermodell basierend auf einem kinetischen Feld [1] und viskosen Materialparametern simuliert. Zur Validierung der Simulation werden experimentelle Daten unter Einsatz von thermooptischen Messsystemen, genauer optischer Dilatometrie und zyklischer Belastungsdilatometrie herangezogen. Die geometrische 3D-Form eines beliebigen Keramikteils kann für jeden Temperaturzyklus vorhergesagt werden, der im Bereich des gemessenen kinetischen Felds liegt. Zusätzlich zum Sinterverhalten werden Möglichkeiten erarbeitet, das Konzept durch die Verwendung definierter Schnittstellen zwischen verschiedenen FEM-Solvern auf komplexere Ofen-FEM-Modelle zu übertragen. Die praktische Umsetzung des Konzepts für einen digitalen Zwilling der thermischen Verarbeitung wurde am Modell eines Ofenwagens eines Tunnelofens aufgezeigt.

Ganz im Sinne des Leitsatzes Wissenschaft trifft Wirtschaft bot das Kolloquium eine geeignete Plattform zur Vernetzung (Bild: WTK)

 

Additive Fertigung

Mechanische Werte von ­gelöteten, additiv gefertigten Bauteilen

Unter anderem bei der Herstellung von Gasturbinen bietet das Fertigungsverfahren Laser Powder Bed Fusion (LPBF) gute Einsatzmöglichkeiten, insbesondere für komplexe Bauteile. Allerdings weicht die Mikrostruktur bei additiv gefertigten Werkstoffen von konventionellen Gussprozessen ab, sodass für den Einsatz in der Gasturbine die nachfolgenden Prozesse wie Löten und Wärmebehandlung neu qualifiziert werden müssen. Jane Awayes, Siemens Energy, Berlin, stellte Untersuchungen zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften und Mikrostruktur der additiv hergestellten Nickelbasis-Superlegierung Haynes 282, gelötet mit Ni 612 und Ni 660 als Zusatzwerkstoff für die Hochtemperaturanwendung in Gasturbinen vor.

Die Zug- und Scherzugfestigkeit wurde bei Temperaturen von 350 °C und 550 °C ermittelt, die den typischen Einsatztemperaturen der entsprechenden Komponenten entsprechen. Zugversuche ergaben, dass das Ni 612-Lot die nominelle Zugfestigkeit des additiv hergestellten Haynes 282-Grundmaterials aufweist. Lichtmikroskopische Untersuchungen zeigten, dass die Bruchoberfläche in der Diffusionszone liegt. Die Zugfestigkeit von Ni 660 streut stärker und die Werte liegen unter denen von Ni 612. Die Probe bricht entlang des Phasenbands in der Lötnaht (eutektisches Erstarrungsprodukt). Die Untersuchung mittels Elektronensondenmikroanalyse (EPMA) zur chemischen Zusammensetzung der Phasen in der Lötnaht und der Diffusionszone von Ni 660 ließ sowohl Silizide als auch Boride erkennen.

Eigenspannungen in additiv ­gefertigten Bauteilen aus hochfestem Stahl

Additive Fertigungsverfahren wie das Wire Arc Additive Manufacturing (WAAM) ermög­lichen die effiziente Fertigung von gewichts­optimierten endkonturnahen Strukturen in modernen Stahlkonstruktionen. Ihre Effizienz kann durch die Verwendung von hochfesten Stählen weiter gesteigert werden; dadurch wird eine signifikante Einsparung von Kosten, Zeit und Ressourcen möglich. Fehlende Richtlinien und fehlende quantitative Kenntnisse über die schweißtechnische Beanspruchung während der Fertigung und im Betrieb limitieren den industriellen Einsatz jedoch stark. Daher werden in einem aktuellen Vorhaben (IGF-Nr. 21162 BG) der BAM und der TU Chemnitz die wesentlichen Einflüsse und komplexen Interaktionen durch Werkstoff, Fertigungsprozess, Konstruktion und trennende Fertigungsschritte auf den Beanspruchungszustand untersucht; erste Ergebnisse stellte Karsten Wandtke von der Bundesanstalt Materialforschung und -prüfung BAM, Berlin, vor.

Die Eigenspannungsanalyse erfolgt mittels Röntgenbeugung. Ausgangspunkt waren die Ergebnisse an Referenzproben, die mit einem speziellen WAAM-Massivdraht (Streckgrenze > 820 MPa) bei unterschiedlicher Wärme­führung und Geometrie vollautomatisiert geschweißt wurden, und die eine Korrelation der Messdaten erbrachten. Die folgende Analyse des Ausgangszustands und abschließend des Zustands nach trennender Bearbeitung, die begleitend mittels digitaler Bildkorrelation hinsichtlich des Verzugs untersucht wurden, zeigte, dass die Geometrie deutlichen Einfluss auf Relaxation und Umlagerung der Eigenspannungen hat und damit die Risssicherheit positiv beeinflussen kann.

Selektives Lasersintern von metallischen Gläsern

Metallische Gläser auf Eisenbasis sind einzigartige Materialien mit hervorragenden mechanischen Eigenschaften. Die Herstellung von größeren Teilen ist jedoch aufgrund der erforderlichen hohen Abkühlraten eine anspruchsvolle Aufgabe. Zur Lösung dieses Problems wird derzeit die Eignung der additiven Fertigung untersucht; allerdings bleiben bei dieser die Probleme der Rissbildung und Nachteile bei der Kristallisation bestehen. In einer aktuellen Studie, vorgestellt von Dr. Aleksandra Malachowska, Wroclaw University of Science and Technology, wurde ein System entwickelt, das auf dem Faserlaser MOPA VPFL-G-HE-30 von Spectra Physics basiert. Bei diesem Verfahren mit gepulstem Laser wird versucht, die Rissdichte in den gedruckten Strukturen zu begrenzen, wozu mit einem breiten Spektrum an Parametern gearbeitet wird, darunter Wellenform, Leistung und Scangeschwindigkeit. Als Basis für den Vergleich dient der Standard-SLM-Druck.

Diffusionsschweißen zur ­Herstellung von Werkzeugeinsätzen

Die Effektivität des Kühlprozesses und die Homogenität der Temperaturverteilung beim
Spritzgießen sind elementare Faktoren, welche die Qualität der Formteile bestimmen. Konventionelle Formeinsätze stoßen aufgrund der Schwierigkeit, konforme Kühlkanäle und Multimaterialien zu ­integrieren, an ihre Grenzen. Ein alternativer Ansatz zur Erzeugung von effektiven konformen Kühlkanälen in Formeinsätzen basiert auf impulsdruckunterstütztem Diffusionsschweißen, mit dem sich Kim Schmidt, Neue ­Materialien Bayreuth GmbH, befasst. Ergänzend wurde hier die Wärmeleitfähigkeit der konformen Kühlkanäle mit Kupferplatten durch das untersuchte Pressschweißverfahren verbessert. Der übrige Werkzeugeinsatz besteht aus Stahl (1.2343). Zur Entwicklung der konformen Kühlkanäle wurde ein simulations­basierter Designprozess angewendet.

-wird fortgesetzt-

Text zum Titelbild: H2-Pedelec am Stand der Abteilung Human-Cyber-Physical Systems“ der Professur Werkstoff- und Oberflächentechnik (WOT) zum 23. WTK, mit dem eine Institutions- und fächerübergreifende Kooperation zwischen (v.l.n.r.) Dr. Marcel Todtermuschke (Fraunhofer IWU), Dr. habil. Franziska Bocklisch (WOT, Fraunhofer IWU) und Dr. Udo Kreißig (Vitesco Technologies) sowie Prof. Thomas Lampke (WOT) vorgestellt wurde (Bild: TU Chemnitz)

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