Von Industrie 4.0 zu Galvanik 4.1 – Intelligente Prozesssteuerung als Basis für eine höhere Wirtschaftlichkeit, Qualität und Ressourceneffizienz

Oberflächen 05. 03. 2019

Von. Dr. Siegfried Kahlich, Heidelberg

Im Rahmen eines ZIM-geförderten Projekts entwickelte die DiTEC Dr. S. Kahlich & D. Langer GmbH visionäre Konzepte für die Prozesssteuerung auf dem Weg zu einer Smart Factory, die eine Produktionsumgebung schafft, in der sich die Fertigungsanlagen und Logistiksysteme ohne menschliche Eingriffe weitgehend selbst organisieren.

In der Zusammenarbeit mit der Softec AG wurden für das Projekt neue Schnittstellen für die bidirektionale Kopplung der Prozesssteuerung mit der ERP-Welt geschaffen. Darüber hinaus wurde in Kooperation mit der TU Braunschweig und dem Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) der Grundstein für ­einen digitalen Zwilling in der Prozesssteuerung gelegt, der das datentechnische Abbild der realen Produktionswelt ist.

Damit wird die Prozesssteuerung zukünftig in der Lage sein, ganzheitlich den Produktionsprozess in Hinblick auf wirtschaftliche und qualitative Zielsetzungen beziehungsweise Ressourceneffizienz zu optimieren.

Das gewinnt vor dem Hintergrund der steigenden Ansprüche der Marktteilnehmer an Bedeutung: Der Wunsch nach zeitnahen Informationen, kürzeren Lieferzeiten und individueller Teilefertigung nimmt stetig zu. Das hat aber auch zur Folge, dass die Losgrößen immer kleiner werden. Um diese wirtschaftlich produzieren zu können, erhöhen sich die Anforderungen an die Flexibilisierung des Fertigungsprozesses immer weiter. Sie wird zunehmend zum wichtigen Wettbewerbsfaktor. Dabei wird es auf den Flexibilitätsgrad ankommen, aber auch darauf, jegliches Optimierungspotential in vollem Umfang auszuschöpfen.

Daraus erwächst die Vision, die DiTEC-Prozesssteuerungssoftware so intelligent zu machen, dass auf der Basis des digitalen Zwillings der Produktionsanlage und neuester Vernetzungstechnologien zu anderen Systemen (beispielsweise zu weiteren intelligenten Produktionssystemen, ERP oder Assistenten) der Produktionsprozess ganzheitlich mit wechselnden Zielsetzungen optimiert werden kann. Je genauer dabei das datentechnische Abbild der realen Produktionswelt gelingt und je intelligenter sich die Prozess­­steuerung mit anderen Systemen vernetzt, desto effizienter kann der Produktionsprozess erfolgen.

Die damit verbundene Datenflut ist jedoch vom Menschen kaum mehr beherrschbar. Der zunehmende Komplexitätsgrad bedarf Assistenzsysteme und technologisch ausgereifter Algorithmen, die sekundenschnell alle verfügbaren Daten auswerten und einen optimalen Produktionsplan erstellen.

Die DiTEC-Prozesssteuerung ist bereits heute auf der Basis einer Vielzahl von prozess­technischen Vorgaben in der Lage, individuell auf den Artikel bezogen die Transportwege der Warenträger, ­beispielsweise unter Berücksichtigung des ­Warentransports per Gestelle oder Trommel, innerhalb der Oberflächenbehandlungsanlagen zu berech­nen und in Echtzeit zu optimieren. ­Hierzu meldet sich der kodierte Warenträger (z. B. per RFID oder Barcode) bei der Steuerung an und diese optimiert vollautomatisch die Transportwege dieses Warenträgers im Rahmen seiner Prozessvorgaben. Damit ist die Fertigung in der Lage, auch unterschiedlichste Losgrößen wirtschaftlich zu produzieren. So ist zukünftig beispielsweise eine single part production wirtschaftlich denkbar, da mit Hilfe des Optimierungsalgorithmus ­automatisch die Anforderungen der artikelspezifischen Produktionsparameter berücksichtigt und eingestellt werden, ohne dass ein menschliches Eingreifen erforderlich wird. Entscheidend für einen hohen Flexibilisierungsgrad ist dabei, dass die Transportlogistik, bestehend aus den Umsetzvorgängen der Warenträger, nicht nach einem festen und damit unflexiblen Schema erfolgt, sondern innerhalb der Prozessparameter beziehungsweise Prozessgrenzen kontinuierlich berechnet und optimiert wird.

Innerhalb des Gemeinschaftsprojekts wurde dieses in der Praxis bewährte Modell durch die Abbildung der Stoffkreise der Produk­tionsanlage nun erweitert. Damit ist ein Produktionsunternehmen erstmals in der Lage, den Ressourcenverbrauch (Chemie, Wasser und Energie) zu erfassen ­beziehungsweise zu berechnen und dies auf den Warenträger oder auf den Artikel bezogen auszuwerten. Damit wird der Produktionsprozess umfassend gläsern und transparent. Zusätzlich kann der produktionstechnisch verursachte CO2-Fussabdruck auf Artikelebene ausgegeben werden.

Ein weiterer sehr interessanter Aspekt dieser Modellerweiterung ist hierbei, dass die Verschleppung der Warenträger über artikelspezifisch hinterlegte Verschleppungsparameter prognostiziert werden kann. Damit stehen Informationen über den aktuellen trendmäßig berechneten Zustand der Spülwässer (oder auch das Spülkriterium) und Elektrolyte zu jeder Zeit transparent zur Verfügung. Dar­über hinaus können Meldungen an die verantwortlichen Personen gesendet werden, wenn ein Parameter sich den Eingriffsgrenzen nähert oder vollautomatisch Korrekturen der Elektrolyte vorgenommen werden.

Darüber hinaus können durch die Prozess­steuerung Produktionspläne anhand verschiedener Produktionsziele für eine ganze Schicht simuliert beziehungsweise optimiert werden. Hierzu wurden Softwareschnittstellen in der Prozesssteuerung entwickelt, die von anderen Systemen einfach angesprochen und genutzt werden können. Der Anwender kann so beispielsweise eine Auftragsliste dem Steuerungssystem übergeben. Daraufhin steht in kurzer Zeit eine Antwort zur Verfügung, in welcher Reihenfolge der Anlagenbediener die Aufträge in die Produktionsanlage am besten einsteuert, damit diese mit möglichst hoher Effizienz und maximalem Durchsatz bearbeitet werden können. Dabei wird die aktuelle Verfügbarkeit der Anlage berücksichtigt, ohne dass ein weiterer Abgleich dafür notwendig wäre (z. B. wenn nur fünf von sechs Beschichtungspositionen aktiv sind).

Das Zukunftsweisende dabei ist nun, dass der Disponent auch verschiedene Produktionsvorgaben übergeben kann. Befindet sich eine Anlage bereits nahe der Kapazitätsgrenze, wird die Produktionsvorgabe an die Galvanikanlage maximaler Durchsatz sein. Ist jedoch der Produktionsdruck nicht so hoch beziehungsweise können aus organisatorischen Gründen (z. B. Rohteile werden nicht rechtzeitig geliefert, Mitarbeiter ist krank) nicht so viele Teile in der Anlage bearbeitet werden, kann die Vorgabe Green Production gewählt werden. Dann fährt die Prozess­steuerung nicht mehr Vollgas, sondern mit reduziertem Durchsatz, aber dafür ressourcenschonend. Der Optimieralgorithmus errechnet einen Produktionsplan auf Basis eines optimalen Ressourceneinsatzes. Damit werden der Chemieeinsatz, der Wasser­verbrauch, das Abwasseraufkommen, der Energieverbrauch und die mechanische Beanspruchung der Anlage reduziert. Die Ausbringung aus der Anlage wird zwar geringer, doch über die ressourcenschonende Fahrweise kann das wirtschaftlich zumindest teilweise kompensiert werden. Wie hoch die tatsächlichen Produktionskosten sind, liefert dabei die Steuerung per Knopfdruck, womit eine hohe Kostentransparenz erzielt wird.

Damit wird die Industrie 4.0 als eine Bezeichnung eines Zukunftsprojekts zur umfassenden Digitalisierung der industriellen Produktion in der Galvanotechnik Realität. Über eine intelligente Vernetzung aller wichtigen Daten unter Einsatz technologisch ausgereifter Algorithmen wird die Maschine dem Menschen überlegen. Nur so lassen sich zukünftig möglichst alle Optimierpotentiale voll ausschöpfen und Zielkonflikte zwischen Durchsatz versus Ressourceneinsatz lösen. Dieses Projekt zeigt, Digitalisierung kann auch einen erheblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

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