Atomarer Mechanismus der Supraschmierung aufgeklärt
Designregeln zur Tribologie für extrem niedrige Reibungskoeffizienten
Das Phänomen der sogenannten Supraschmierung ist bekannt, es war jedoch auf atomarer Ebene bislang nicht zu erklären. Insbesondere die Frage, wie die extrem niedrige Reibung beispielsweise in Lagern entsteht. Forscherinnen und Forscher der Fraunhofer-Institute IWM und IWS entschlüsselten gemeinsam einen universellen Mechanismus der Supraschmierung bei bestimmten diamantähnlichen Kohlenstoffschichten in Verbindung mit organischen Schmierstoffen. Auf dieser Wissensbasis ist es nun möglich, Designregeln für supraschmierende Schicht-Schmierstoff-Kombinationen zu formulieren. Die Ergebnisse präsentiert ein Artikel der Zeitschrift Nature Communications, Ausgabe 10.
Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für nachhaltige und umweltfreundliche Mobilität ist, Reibung zu minimieren. Diesem wichtigen Vorhaben widmen sich Forschung und Wirtschaft bereits seit Jahren. Supraschmierung könnte nicht nur kleine, sondern extreme Reibungsreduzierungen erzielen. Würden beispielsweise die Reibung in den Motoren und Getrieben von Fahrzeugen auf minimale Werte vermindert, wie sie bei der Supraschmierung auftreten, würde der jährliche globale Ausstoß an Kohlenstoffdioxid (CO2) um viele Hundert Millionen Tonnen sinken. Dieser Zukunftsvision sind zwei Fraunhofer-Institute einen wichtigen Schritt näher gekommen. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanzierten Projekt PEGASUS II haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden den atomaren Mechanismus aufgedeckt, der einer Supraschmierung in einem speziellen Reibpartnersystem zugrunde liegt. Sie untersuchten vielversprechende tribologische Systeme, bei denen die Oberflächen der Reibpartner aus speziellen diamantartigen Kohlenstoffschichten bestehen, die mit einer am Fraunhofer IWS entwickelten Beschichtungstechnologie hergestellt werden. Diese so genannten tetraedrischen amorphen Kohlenstoffschichten (ta-C) wurden mit organischen Schmierstoffen kombiniert. Das Forschungsteam fand mithilfe von Simulationen heraus, dass sich der Schmierstoff tribochemisch zerlegt und sich dadurch graphenartige Oberflächen bilden: die Voraussetzung für eine Supraschmierung.
Atomare Voraussetzungen der Supraschmierung
Dr. Volker Weihnacht, Abteilungsleiter Kohlenstoffschichten, und Stefan Makowski, Gruppenleiter Schichteigenschaften, am Fraunhofer IWS untersuchten systematisch die Wechselwirkung von Schmierstoffen mit ta-C-Kohlenstoffoberflächen. Mit ungesättigten Fettsäuren oder Glycerol stellten sich extrem niedrige Reibwerte auf dem Niveau der Supraschmierung ein. Erstaunt waren sie, dass mit kleinsten Änderungen in der Molekülstruktur dieser Effekt nicht eintrat und die Reibung viel höher war. So erzielten gesättigte Fettsäuren und Alkane keinen Supraschmiereffekt.
Den Grund dafür klärten Prof. Michael Moseler und Dr. Gianpietro Moras am Fraunhofer IWM auf. Mit quantenchemischen Simulationen konnten die Forscher nachweisen, dass Schmierstoffmoleküle, die mindestens zwei Reaktivzentren haben und damit gleichzeitig mit beiden ta-C-beschichteten Oberflächen eine chemische Bindung eingehen können, durch die Gleitbewegung auseinandergerissen und in ihre Bestandteile zerlegt werden, wie Prof. Moseler, Leiter der Gruppe Multiskalenmodellierung und Tribosimulation erläutert. Dadurch werden die Sauerstoffatome des Schmierstoffs freigesetzt und in den ta-C-Film eingebaut. Der Sauerstoff stört das dreidimensionale tetraedrische Kohlenstoffnetzwerk und fördert damit die Bildung von graphenähnlichen Oberflächen, die effektiv Reibung und Verschleiß unterdrücken und so für die Supraschmierung sorgen. Entsprechende Simulationen mit Alkanen oder gesättigten Fettsäuren als Schmierstoff zeigten diese mechano-chemischen Prozesse nicht, da sie keine oder nur ein Reaktivzentrum aufweisen. Diese Schmierstoffe lagern nach den Erkenntnissen von Prof. Moseler nur an einer Oberfläche an und bilden quasi einen molekularen Flaum – der reduziert zwar auch die Reibung, allerdings nicht auf dem Supraschmierniveau. Die damit neu entdeckte Designregel besagt, dass im Schmierstoff mehrere reaktive Zentren vorhanden sein müssen, um Supraschmierung hervorzurufen. Diese Regel beschränkt sich natürlich nicht nur auf die hier untersuchten Fettsäuren, sie ist auch auf andere Schmiermittel übertragbar, so Prof. Moseler.
Richtlinien für das Design neuartiger Schmierstoffe
Die Ergebnisse des Forschungsteams ermöglichen sowohl die Vorhersage der tribologischen Eigenschaften von ta-C-Oberflächen, die mit verschiedenen Molekültypen geschmiert werden, als auch die Formulierung von Richtlinien für das Design neuartiger organischer Reibungsmodifizierer. Auch Vorhersagen zum Maßschneidern der Kohlenstoffschichten selbst und der nötigen Designregeln eines Supraschmierstoffes für andere Oberflächen, wie Stahl oder Aluminium, werden so zu denkbaren Projekten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer- Institute IWM und IWS werden 2019 mit finanzieller Unterstützung des BMWi im Rahmen des Projekts PROMETHEUS mit industriellen Partnern weiter daran arbeiten, die quantenchemischen Erkenntnisse in ingenieursmäßige Lösungen zu überführen. Ihr Ziel: die Reibung in Verbrennungsmotoren und anderen Anwendungen weiter reduzieren.
Veröffentlichung
Kuwahara, T.; Romero, P.A.; Makowski, S.; Weihnacht, V.; Moras, G.; Moseler, M.; Mechano-chemical decomposition of organic friction modifiers with multiple reactive centres induces superlubricity of ta-C, Nature Communications 10 (2019) Article number: 151; DOI 10.1038/s41467-018-08042-8
Link: https://www.nature.com/articles/s41467-018-08042-8
Ein ta-C beschichteter Stahlstift reibt oszillierend auf einer ta-C-beschichteten Stahlscheibe: Die Reibung hängt maßgeblich von der Anzahl der Reaktivzentren des Schmierstoffs ab (rote Kreise) (© Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS)
Details der Supraschmierung
Bei einer Supraschmierung ist die Reibung extrem gering mit einem Reibungskoeffizient µ < 0,01. Vielversprechend für ein Reibsystem mit minimaler Reibung sind Oberflächen aus tetraedrischen wasserstofffreien amorphen Kohlenstoffschichten (ta-C) und die möglichst effiziente Schmierung durch ungesättigte Fettsäuren oder Glycerolverbindungen. Quantenchemische Simulationen haben gezeigt, dass Schmierstoffmoleküle, die gleichzeitig mit beiden ta-C-beschichteten Oberflächen eine chemische Bindung eingehen können, durch die Gleitbewegung auseinandergerissen und in ihre Bestandteile zerlegt werden. Diese mechano-chemische Fragmentierung führt zu einer Sauerstoffdotierung der ta-C-Filme – eine wichtige Voraussetzung zur in- situ-Synthese von graphenähnlichen Oberflächen, die effektiv Reibung und Verschleiß unterdrücken. Die Entstehung dieser supraschmierenden Schichten erfordert daher, dass der Schmierstoff mehrere Reaktivzentren besitzt, die dessen mechano-chemische Fragmentierung bewirken. Ungesättigte Fettsäuren weisen eine Doppelbindung und eine Carboxylgruppe als Reaktivzentren auf, während Glycerol sogar mit drei reaktiven Hydroxylgruppen ausgestattet ist.
Fraunhofer IWS
Das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS Dresden steht für Innovationen in der Laser- und Oberflächentechnik. Als Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. bietet das Institut Lösungen aus einer Hand – von der Entwicklung neuer Verfahren über die Integration in die Fertigung bis hin zur anwendungsorientierten Unterstützung. Die Felder Systemtechnik und Prozesssimulation ergänzen die Kernkompetenzen. Zu den Geschäftsfeldern des Fraunhofer IWS gehören PVD- und Nanotechnik, Chemische Oberflächen- und Reaktionstechnik, Thermische Oberflächentechnik, Generieren und Drucken, Fügen, Laserabtragen und -trennen sowie Mikrotechnik. Das Kompetenzfeld Werkstoffcharakterisierung und -prüfung unterstützt die Forschungsaktivitäten.
An der Westsächsischen Hochschule Zwickau betreibt das Dresdner Institut das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Optische Messtechnik und Oberflächentechnologien (AZOM). Die Fraunhofer-Projektgruppe am Dortmunder OberflächenCentrum (DOC) ist ebenfalls an das Dresdner Institut angeschlossen. Die Hauptkooperationspartner in den USA sind das Center for Coatings and Diamond Technologies (CCD) an der Michigan State University in East Lansing und das Center for Laser Applications (CLA) in Plymouth, Michigan. Das Fraunhofer IWS beschäftigt am Hauptsitz Dresden rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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