Wärmeleitung komplexer Materialien entschlüsselt

Werkstoffe 05. 04. 2025
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Auf Basis selbst entwickelter Machine-Learning-Workflows konnten Forschende an der TU Graz feststellen, dass die Wärmeleitung wesentlich vielschichtiger ist als bisher gedacht. Erkenntnisse bieten das Potenzial für Entwicklung spezifischer Materialien.

Komplexe Materialien wie organische Halbleiter oder die als MOFs bekannten mikroporösen Kristalle kommen bereits für zahlreiche Anwendungen wie OLED-Displays, Solarzellen, Gasspeicherung oder zur Wassergewinnung zum Einsatz. Dennoch bergen sie noch einige Geheimnisse. Eines davon war bislang, wie der Wärmetransport in ihnen im Detail vonstattengeht. Dieses Geheimnis hat nach Mitteilung der TU Graz das Forschungsteam von Egbert Zojer am Institut für Festkörperphysik der TU Graz in Zusammen­arbeit mit Kollegen und Kolleginnen von der TU Wien und der Universität Cambridge nun am Beispiel organischer Halbleiter gelüftet und damit neue Perspektiven für die Entwicklung von innovativen Materialien mit maßgeschneiderten thermischen Eigenschaften eröffnet. Seine Erkenntnisse hat das Team im angesehenen Fachjournal npj Computational Materials veröffentlicht.

Wärmetransport ­bislang vernachlässigt

Am Transport elektrischer Ladungen in organischen Halbleitern forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Aussage von Egbert Zojer bereits seit rund 40 Jahren, aber die für Wärmetransport relevanten Mechanismen habe sich nie jemand wirklich im Detail angesehen. Die fundamentalen Eigenschaften von Materialien sind für uns aber sehr interessant und die Erkenntnisse, die wir zum Wärmetransport in organischen Halbleitern gewonnen haben, haben auch für viele weitere komplexe Materialien unmittelbare Relevanz, erklärt Egbert Zojer. Das ­betreffe sowohl Materialien, bei denen eine geringe Wärmeleitfähigkeit einen großen thermoelektrischen Effekt erzielen soll, als auch Materialien, die durch hohe Wärmeleitfähigkeit effizient Wärmeenergie zu- oder abführen sollen. Dass wir den Wärmetransport nun so genau bestimmen und verstehen können, ist bisher einzigartig.

Gelungen ist dem Forschungsteam dieser Durchbruch, indem es Machine Learning in einem eher unüblichen Kontext genutzt hat. Statt wie üblich nach Korrelationen in empi­rischen Beobachtungen Ausschau zu ­halten, suchten die Forschenden auf Basis der von ihnen in der Vergangenheit entwickelten Strategien zum Einsatz besonders effizienter maschinengelernter Potentiale nach Kausalitäten. Dabei wollten sie herausarbeiten, wie und warum sich Wärme auf eine bestimmte Art innerhalb eines Materials verteilt. Bisherige Erklärungen für den Wärmetransport gingen auch für komplexe kristalline Materialien von einem teilchenartigen Transport von Phononen aus. Letztere sind Gitterschwingungen zugeordnete Energiepakete, deren Transport man typischerweise in Anlehnung an den Transport von Gasatomen beschreibt. Die neuen Erkenntnisse zeigen jedoch, dass ein zusätzlicher Mechanismus eine entscheidende Rolle spielt: der Tunneltransport der Phononen.

Moleküllänge als entscheidender Faktor

Der Tunneltransport basiert dabei auf dem Wellencharakter der atomaren Schwingungen im Festkörper und ist insbesondere in komplexen Materialien mit niedriger Wärme­leitfähigkeit von Bedeutung. Es hat sich gezeigt, dass dieser Transportmechanismus mit der Größe der Moleküle, die einen organischen Halbleiterkristall bilden, an Bedeutung gewinnt.

Organische Solarzellen (Bild: Lunghammer, TU Graz)

 

Man könne sich das so vorstellen, dass Wärmetransport nicht nur durch die Stöße der Schwingungsquanten bestimmt werde, sondern auch durch einen Tunneleffekt, der zwei getrennte Schwingungszustände miteinander koppelt, sagt Lukas Legenstein, Mitautor der Veröffentlichung. Diese Erkenntnis erklärt ihm zufolge nicht nur, warum bestimmte organische Halbleiter eine ungewöhnlich geringe Temperaturabhängigkeit ihrer Wärmeleitfähigkeit aufweisen, sondern ermöglicht auch ein gezielteres Design von Materialien mit spezifischen thermischen Eigenschaften. Wir können jetzt die Wärmeleitung durch ein gezieltes Design der Molekülstruktur beeinflus­sen. In weiterer Folge möchten die Forschenden dieses neue Wissen auf die vielseitig einsetzbaren MOFs anwenden, denn für diese Materialklasse spielt Wärmetransport bei praktisch allen potenziellen Anwendungen eine noch viel größere Rolle als in organischen Halbleitern.Falko Schoklitsch

Originalpublikation

L. Legenstein, L. Reicht, S. Wieser et al.: Heat transport in crystalline organic semiconductors: coexistence of phonon propagation and tunneling; npj Comput Mater 11, 29 (2025), https://doi.org/10.1038/s41524-025-01514-8

Kontakt

Egbert Zojer, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn., TU Graz, Institut für Festkörperphysik,
E-Mail: egbert.zojer@tugraz.at

Text zum Titelbild: Je nach Ausrichtung und Länge der Pentacen-Moleküle ist der Wärmetransport unterschiedlich effizient (Bild: IF, TU Graz)

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