Neues CD-Labor an TU Graz: Datengesteuerte Zustandsüberwachung bei der Stahlherstellung

Werkstoffe 06. 06. 2023
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Im neuen Christian Doppler Labor für zuverlässige Systeme in rauen Umgebungen fokussieren sich Forschende der TU Graz mit Unterstützung durch den Feuerfest-Konzern RHI Magnesita auf die datengesteuerte Zustandsüberwachung im Stahlherstellungsprozess.

Bei der Stahlproduktion geht es heiß zu: Im Inneren von Hochöfen können die Temperaturen auf bis zu 1700 °C steigen. Sie sind damit der Inbegriff einer rauen Umgebung. Unverzichtbar sind daher feuerfeste Materialien, die diesen Bedingungen standhalten können – und zwar nicht nur in der Stahlindustrie, sondern überall dort, wo Hochtemperaturverfahren zum Einsatz kommen. Feuerfestprodukte, wie sie unter anderem RHI Magnesita herstellt, sichern nicht nur Materialien während der Hochtemperaturprozesse ab, sondern schützen Feuerungs- und Ofen­anlagen vor thermischer, mechanischer und chemischer Belastung. Doch wie lässt sich der Zustand der feuerfesten Auskleidung der Anlagen möglichst effizient und präzise datengesteuert überwachen?

Dieser Frage widmen sich Franz Pernkopf und sein Team vom Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation der TU Graz: Die Forschenden wollen die ­datenbasierte Zustandsüberwachung von Maschinen in rauen, industriellen Anwendungen weiter vorantreiben und haben dafür bewusst das Anwendungsbeispiel Stahlproduktion gewählt. Pernkopf leitet das Christian Doppler Labor für zuverlässige Systeme in rauen Umgebungen, das am 17. April 2023 gemeinsam mit dem Unternehmenspartner RHI Magnesita eröffnet wurde. Sieben Jahre lang wird nun mit finanzieller und wissenschaftlicher Unterstützung durch RHI Magnesita geforscht. Größter öffentlicher Fördergeber des CD-Labors ist das österreichische Bundesministe­rium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW).

Machine Learning für die ­Prozessoptimierung

Heute liegen nach den Worten von Franz Pernkopf die meisten Anwendungsbereiche des maschinellen Lernens in der virtuellen Welt, Stichwort Empfehlungssysteme, Börsenprognosen oder Social Media. Intelligente Systeme, die komplexe Abhängigkeiten modellieren und Schlussfolgerungen aus den riesigen gesammelten Datenmengen ziehen, werden aber auch für industrielle Anwendungen dringend gebraucht. Derzeit erleben wir den Übergang von Machine Learning-Systemen von der virtuellen in die reale Welt, zum Beispiel in Anwendungen für die autonome Navigation, das Internet der Dinge und Industrie 4.0, so Franz Pernkopf. Es liege auf der Hand, dass dieser Übergang verschiedene Herausforderungen mit sich bringe. Die gelte es zu überwinden.

Constantin Beelitz, Regional President Europe, CIS & Turkey von RHI Magnesita, ist begeistert von der Zusammenarbeit mit der Universität und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Dank dieser Kooperation können wir unsere feuerfesten Produkte im Einsatz bei unseren Kunden mit den neuesten Erkenntnissen im Bereich des maschinellen Lernens optimieren. Wir sind überzeugt davon, dass wir durch diese Kooperation nicht nur die Prozesse unserer Kunden effizienter gestalten und unsere eigenen Produkte nachhaltiger machen können, sondern auch neue digitale Lösungen und Produkte anbieten können, um unsere Kunden noch besser zu unterstützen, erläutert Constantin Beelitz.

Lücke zu industriellen ­Anwendungen schließen

Derzeitige Methoden des maschinellen Lernens sind besonders effektiv, wenn große Mengen an Daten und ausreichend Rechenressourcen zur Verfügung stehen. In vielen realen Anwendungsfeldern sind Daten aber nicht immer im Überfluss und in ausreichender Qualität vorhanden. Zudem ist die Infra­struktur selbst, die Datenquelle sozusagen, während der Betriebsphase in der Regel schwer zugänglich, zum Beispiel in ­Hochöfen. In diesem CD-Labor wollen wir den Weg für die Anwendung von Machine Learning zur Zustandsüberwachung in industriellen Umgebungen ebnen, sagt Franz Pernkopf. Ziel sei es, die Lücke zwischen der Grundlagenforschung im Bereich ML und ­industriellen Anwendungen in rauen Umgebungen zu schließen. Um signifikante Fortschritte in der datengesteuerten Zustandsüberwachung zu erzielen, wird in den folgenden drei Bereichen geforscht:

  • Robuste Repräsentation: Dabei werden tiefe neuronale Netze und hybride Modelle zum Erlernen von Repräsentationen genutzt, um manuelles Feature-Engineering zu vermeiden. Darüber hinaus werden diese zur Erkennung von Ausreißern, zur Datenaugmentierung und zum semi-überwachten Lernen verwendet, um der beschränkten Datenmenge beziehungsweise einer minderen Datenqualität entgegenzuwirken und die Generalisierungsfähigkeit der Modelle zu verbessern.
  • Lernen und Unsicherheitsschätzung: Hier werden Bayes‘sche Modelle adaptiert, um Unsicherheitsschätzungen für die Vorhersagen bereitzustellen. Zudem werden Methoden zur Überwindung von Domänenverschiebungen entwickelt und es wird Transferlernen für die Wissensnutzung über verwandte Applikationen hinweg verwendet.
  • Erklärbarkeit und Prozessoptimierung: Es werden Methoden entwickelt, um die Ursachen für die Vorhersage der Black-Box-
    ML-Modelle zu verstehen. Darüber ­hinaus werden Methoden zur Modelladaption während der Modellnutzungsphase erforscht.

Die grundlegende Innovation ist die Verbesserung der datengetriebenen Zustandsüberwachung. Die betrachtete Applikation ist die Modellierung von Feuerfestmaterialien während der Produktion und deren Einsatz in der Stahlherstellung. Die Ergebnisse des Labors sollen aber für viele weitere Industrieprozesse anwendbar sein.Susanne Filzwieser

Kontakt:

Franz Pernkopf, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.mont.,
E-Mail: pernkopf@tugraz.at

Text zum Titelbild: Franz Pernkopf (r.) und Alexander Fuchs vom Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation(Bild: Lunghammer/TU Graz)

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