Stromlos abgeschiedene Nickel-Phosphor-Schichten sind aus der Elektrotechnik, der Automobilindustrie sowie dem Maschinen- und Anlagenbau nicht mehr wegzudenken. Die Eigenschaften dieser Schichten können durch den steuerbaren Phosphoranteil und die Möglichkeit zur Ausscheidungshärtung maßgeschneidert werden. Eine gute geometrische Maßhaltigkeit wird zudem durch den chemischen Abscheidemechanismus intrinsisch mitgeliefert. Daher kommen sie sowohl im Korrosions- als auch im Verschleißschutz zum Einsatz.
Durch die nanokristalline Struktur sind Nickel-Phosphor-Schichten mit einem niedrigen Phosphorgehalt (< 5 %, low-phos) härter als die Schichten mit hohem Phosphorgehalt (9–14 %, high-phos). Hingegen ist die Korrosionsbeständigkeit der Low-phos-Schichten schwächer. Meistens werden Schichten, die dem Verschleißschutz dienen, im Zustand höchster Härte eingesetzt.
Für viele Anwendungsfälle führt jedoch erst die richtige Kombination aus Härte und Duktilität zu einem günstigen Verschleißverhalten. Wie diesbezüglich die Werkstoffeigenschaften einzustellen sind, hängt entscheidend vom vorliegenden tribologischen System und der daraus resultierenden Verschleißart ab. Neben der Mikrostruktur des Grundkörpers sind also auch zahlreiche weitere Einflussgrößen, wie zum Beispiel Art, Form und Oberflächenfeingestalt des Gegenkörpers, die sich daraus ableitende Kontaktpaarung, das Umgebungsmedium, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, die Art und Höhe der Belastung sowie die Relativbewegung zwischen Grund- und Gegenkörper, in die Betrachtungen mit einzubeziehen.
Bei den in der Literatur publizierten Arbeiten weichen diese vielfältigen Einflussfaktoren oftmals voneinander ab, sodass die Ergebnisse nur sehr bedingt vergleichbar sind. Systematische tribologische Untersuchungen mit Bezug zu den Aspekten Wärmebehandlung und Phosphorgehalt von Nickel-Phosphor-Schichten fehlten bislang völlig. Um diese Forschungslücke zu schließen, hat die Professur Werkstoff- und Oberflächentechnik der Technischen Universität Chemnitz gemeinsam mit dem DGO-Fachausschuss Chemische Metallabscheidung ein IGF-Vorhaben durchgeführt. Während dieses Forschungsprojekts wurde ein anwenderorientiertes Vorhersagemodell aufgestellt, das die wichtigsten Grundverschleißarten und entsprechende Wärmebehandlung berücksichtigt. Dem Anwender werden damit für den individuellen Belastungsfall seines Bauteils ein passender Phosphorgehalt und die geeigneten Wärmebehandlungsparameter vorgeschlagen.
Um die Kenngrößen für das Modell zu erhalten, wurden Nickel-Phosphor-Schichten mit unterschiedlichen Phosphorgehalten (niedrig-, mittel- und hochphosphorhaltig) abgeschieden und geprüft. Reproduzierbare Eigenschaften dieser Schichten und die Industrierelevanz wurden gewährleistet, indem die Schichten von mehreren Fachfirmen auf gleichförmigen, identisch polierten Stahlsubstraten aus dem Werkstoff S235JR (1.0037) abgeschieden wurden. Anschließend erfolgten die Analysen mit drei verschiedenen Verschleißtests. Es kamen dabei die Testverfahren Taber-Abraser-, Scratch- und reversierender Schwingverschleiß zum Einsatz, die als dominierende Verschleißart jeweils Wälz-, Furch- beziehungsweise Schwingverschleiß aufzeigen.
Die Spezifikation der Versuchsparameter war dabei von bestimmender Bedeutung. So musste gewährleistet sein, dass alle Schichten möglichst mit einem einzigen Parametersatz gemessen werden können, ohne dabei zu versagen. Gleichwohl sollte eine weite Verteilung der Werte über den Messbereich erfolgen, um auch geringe Differenzen in den Schichteigenschaften zu erkennen. Die gewählten Verschleißtests, deren Prüfparameter sowie die resultierenden quantitativen Kennwerte Taber-Wear-Index, Ritzenergiedichte und Verschleißvolumen sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
Die insgesamt 1710 quantitativen Verschleißmesswerte aller Prüfungen wurden in der Software aufgearbeitet. Die Normierung der Werte wurde wie folgt durchgeführt: Die verschleißbeständigste Schicht erhielt für das jeweilige Verschleißprüfverfahren den Beständigkeitswert 1 und die verschleißanfälligste den Wert 0. Die weiteren Ergebnisse ordnen sich entsprechend ihres Werts zwischen diesen Grenzen linear ein. Somit konnte jeder Schicht ein Beständigkeitsfaktor zur jeweiligen Untersuchung zugewiesen werden. Die Auswertung der Verschleißuntersuchungen bestätigt, dass die Verschleißbeständigkeit der unterschiedlich wärmebehandelten Zustände maßgeblich von der Verschleißart abhängt. Exemplarisch wurden in Abbildung 1 die Ergebnisse der Verschleißuntersuchungen zweier Nickel-Phosphor-Schichten mit 12,3 % Phosphor gegenübergestellt.
Abb. 1: Normierte Verschleißbeständigkeit zweier unterschiedlich wärmebehandelter Nickel-Phosphor-Schichten mit gleichem Phosphorgehalt bei unterschiedlicher Verschleißbelastung (1 – beste Beständigkeit, 0 – schlechteste Beständigkeit)
Die dargestellten Ergebnisse der Schichten belegen, dass einerseits eine variable Wärmebehandlung deutliche Auswirkungen auf die Verschleißbeständigkeit bei gleicher Belastung hat und andererseits, dass unterschiedliche Verschleißanwendungen verschiedene Wärmebehandlungen erfordern. Im gezeigten Beispiel ist erkennbar, dass für furchende Beanspruchungen die kürzere Wärmebehandlung von 20 Minuten ausreicht, um eine bessere Verschleißbeständigkeit zu erreichen. Für Wälz- oder Schwingbeanspruchungen ist jedoch die längere Wärmebehandlung vorteilhaft.
Mithilfe solcher Daten und einer Interpolation wurde ein Modell erstellt, das frei auf der Homepage der Professur Werkstoff- und Oberflächentechnik der TU Chemnitz zugänglich ist (Abb. 2). Da reale Verschleißbeanspruchungen sich aus Anteilen verschiedener Verschleißarten zusammensetzen, kann der Nutzer des Verschleißmodells die für seine Anwendung individuell relevanten Verschleißarten prozentual wichten und erhält dazu die optimierten Wärmebehandlungsparameter sowie den Phosphorgehalt.
Abb. 2: Nutzeroberfläche des Verschleißmodells
Für den in Matlab umgesetzten Sortierungsalgorithmus Quick-Sort wurden die oben beschriebenen prozentualen Angaben als Konvexkombination neu bewertet. Der einzustellende Bereich des Modells resultiert aus dem während des Projekts untersuchten Parameterraum. Dieser ist beim ersten Öffnen der Webseite bereits vorgegeben. Er umfasst eine Temperaturspanne von 280 °C bis 500 °C (in fünf Stufen), eine Wärmebehandlungsdauer von 20 Minuten bis 120 Minuten (in vier Stufen) und einen Phosphorgehalt von 3,76 % Phosphor bis 14,00 % Phosphor (in 13 Stufen). Außerdem ist es möglich, auf die Bedürfnisse des Nutzers gezielt einzugehen, indem beispielsweise der zu analysierende Phosphorgehalt oder die maximale Wärmebehandlungsdauer eingegrenzt werden und für diese Bereiche die optimierten Wärmebehandlungsparameter berechnet werden.
Ausgegeben werden dem Nutzer die fünf besten Wärmebehandlungsparametersätze für die vorher eingestellten Beanspruchungen. Anhand der ersten Tabellenspalte kann abgelesen werden, inwieweit dieser Parametersatz vom Beständigkeitswert 1, das heißt optimale Beständigkeit für die angegebenen Beanspruchungsanteile, abweicht. Aus der letzten Tabellenspalte können die zu erwartenden Martenshärtewerte abgelesen werden, die aus dem Vorgängerprojekt (Interaktiver Wärmebehandlungskatalog: Härtesteigerung durch Wärmebehandlung, https://www.tu-chemnitz.de/mb/WOT/forschung/forschungsprojekte/aif_bmbf_sab/AiF_16736o.php) mit in dieses Tool eingepflegt wurden. Für eine bessere Orientierung werden dem Nutzer anwendungsnahe Beispiele angegeben, die dabei helfen, die Anteile der Verschleißarten ihrer individuellen Anwendungen abzuschätzen.
Die Analysen mithilfe des Verschleißmodells erlauben kostengünstigere Prozessrouten, welche zu Zeit- und Energieeinsparungen führen. Zu erwartende längere Einsatzzeiten der Nickel-Phosphor-Schichten verbessern zudem die Ressourceneffizienz in allen tribologisch beanspruchten Anwendungen. Durch die gesteigerte Verschleißbeständigkeit nach optimierter/gezielter Wärmebehandlung könnten Nickel-Phosphor-Schichten in Anwendungen Einsatz finden, die vorher nicht zugänglich waren.
Nachstehend der Link zum interaktiven Verschleißmodell (Die Berechnung kann einige Zeit in Anspruch nehmen.):