Synergetische Analyse und Verbesserung von ­Ressourceneffizienz und Chemikalienmanagement in der Oberflächentechnik  –  Teil 5

Oberflächen 06. 06. 2021

Von Dr. Uwe König, Alexander Leiden, Berthold Seßler und Ernst-Udo Sievers

Mit der neu entwickelten Software ist es möglich, die erfassten Stoff- und Energieströme in einer galvanotechnischen Fertigung einer Simulation zu unterziehen und somit die Effekte von Änderungen in der Produktion schnell und effizient abzuschätzen. Besonders vorteilhaft ist die Tatsache, dass die Simulation auch die Belastung von Mitarbeitern im Umgang mit den verschiedenen Arbeitsstoffen einbezieht. Die neue Software verspricht einen hohen Nutzen für die Wirtschaft, Umwelt und die arbeitenden Personen, da sie mit geringem Aufwand für die etwa 2000 Unternehmen in Deutschland beziehungsweise etwa 18 000 Anlagen für galvanotechnische Beschichtung in der EU einsetzbar ist.

Fortsetzung aus WOMag 5/2021

3.7Arbeitspaket 6: Ergebnistransfer

Die Auswirkungen von Optimierungsmaßnahmen, wie vorstehend diskutiert, sind sehr stark abhängig vom jeweils betrachteten Beschichtungsprozess und selbst von der Art der beschichteten Produkte; so sind zum Beispiel bei stark schöpfenden Teilen die Elek­trolytverschleppung und die Aerosolbildung deutlich erhöht.

Bei der Entwicklung der Software-Lösung wurde deshalb besonders darauf ­geachtet, dass diese sich durch ihren generischen Aufbau leicht an andere ­Produktionsbetriebe der nasschemischen Oberflächentechnik und deren Produktionsprogramme anpassen lässt. Durch die Visualisierung der Ergebnisse im Rechen-Tool kann der Anwender dabei leicht erkennen, welche Auswirkungen Parameter­änderungen im digitalen Zwilling haben und ist damit in der Lage, Optimierungen im Trockenen durchzuführen, bevor in den laufenden Betrieb eingegriffen wird.

Durch die einfache Handhabung der Software lassen sich in Kombination mit einer begleitenden Beratung durch ­kombinierte Optimierung von Ressourceneffizienz und Chemikalienmanagement erhebliche Potentiale in beiden Bereichen für die betroffenen Unternehmen erreichen. Durch den hohen Handlungsdruck im Bereich des Chemikalien­managements steht in den Betrieben das Thema zwangsläufig auf der Agenda. Durch die Kombination der beiden Thematiken lassen sich die Ressourceneffizienz-Beratungen deutlich günstiger anbieten, da viele Parameter nur einmal erfasst werden müssen.

Durch eine Erhöhung der Transparenz bezüglich der Energie- und Ressourcenströme sowie beim Chemikalienmanagement trägt die Entwicklung weiterhin dazu bei, Entscheidungen für Maßnahmen zu priorisieren und insbesondere effektive Maßnahmen deutlich zu beschleunigen.

Im Arbeitspaket wurden neben dem generischen Softwareaufbau und der Herausarbeitung der vorstehenden Nutzenargumente auch Maßnahmen für die Verbreitung der Ergebnisse vorbereitet (Abschnitt 3.10) und eine Planung für die wirtschaftliche Verwertung der Ergebnisse durch eiffo eG erarbeitet (Abschnitt 3.9, hier ökonomische Bewertung der Ergebnisse).

3.8 Diskussion der ­Ergebnisse und der Zielerreichung

Die in Abschnitt 2 aufgeführten detaillierten Ziele des Vorhabens konnten mit dem entstandenen Software-Tool vollständig erreicht werden. Dies wurde nachvollziehbar dargelegt und wird im folgenden Kapitel mit der Bewertung der Vorhabenergebnisse nochmals zusammengefasst. Dies vermittelt auch die Übersicht zur entwickelten Gesamtmethodik in Abbildung 28.

Abb. 28: Entwickelte Gesamtmethodik zur synergetischen Analyse und Verbesserung von Ressourceneffizienz und Chemikalienmanagement in der Oberflächentechnik

 

Insgesamt konnte wie geplant eine funktionsfähige und praxisnahe Software zur integrierten Optimierung von Ressourceneffizienzanalysen und Chemikalienmanagement in der Oberflächentechnik entwickelt werden, die die formulierten Anforderungen voll erfüllt.

Erhebliche Abweichungen von der Projektplanung ergaben sich jedoch im Projektablauf. Zunächst entstand in der Bearbeitung von Arbeitspaket AP2 die Notwendigkeit, die Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Energie- und Stoffströmen einerseits und Mitarbeiterbelastungen andererseits erheblich zu erweitern (umfangreiche Arbeiten in Arbeitspaket 1 Spezifizierung und Arbeitspaket 2 Methodenentwicklung). Hier war insbesondere ein erheblicher zusätzlicher Aufwand beim Abgleich zwischen definierten Arbeitsszenarien und Ressourcendaten erforderlich, um die für die Modellbildung erforderlichen Wechselbeziehungen darstellen zu können. Hierdurch verzögerten sich die nachfolgenden Arbeiten, insbesondere die Datenerhebung in Arbeitspaket 3, so dass zunächst eine dreimonatige Projektverlängerung bis Ende März 2020 beantragt wurde.

Aufgrund der Coronavirus-Krise musste dann die Datenerhebung in den Unternehmen nochmals verschoben werden, so dass eine nochmalige Verlängerung der Projektlaufzeit bis zum 30. Juni 2020 beantragt und seitens der Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) auch bewilligt wurde. Bis Ende Juni 2020 konnten dann schließlich alle Arbeiten erfolgreich abgeschlossen werden.

3.9 Bewertung der ­Vorhabenergebnisse

Die Bewertung erfolgt im Hinblick auf technisch/wissenschaftliche Aspekte, ökologische Aspekte, das Risikomanagement und in ökonomischer Sicht.

3.9.1 Technologische/­wissenschaftliche Bewertung

Im Rahmen des Projekts ist es gelungen, die Analyse der Energie- und Ressourceneffi­zienz sowie des Risikomanagements in einer zentralen Gesamtmethodik mit einem integrierten Simulationstool zu verbinden. Dies schafft Synergien hinsichtlich Datenerfassung, Modellbildung und Bewertung, da für beide Arten von Analysen eine umfassende Aufnahme von produktionsbezogenen Daten sowie die Abstraktion des Realsystems in ein digitales Modell erforderlich ist. Das Projekt hat sich bei der Entwicklung auf die Analyse des Einsatzes bestimmter, besonders kritischer Chemikalien am Beispiel von Chrom(VI) orientiert. Der entwickelte Ansatz ist aber generischer Natur, um eine Übertragbarkeit auf andere Energie- und Stoffströme in der Produktion – auch in anderen Branchen – zu gewährleisten. Ein wesentlicher Vorteil des entwickelten Ansatzes besteht im angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Durchführung von betreffenden Analysen. Somit werden auch kleinere Unternehmen befähigt, negative Auswirkungen in Bezug auf die Zielsysteme Mitarbeiter und Umwelt selbstständig und mit darstellbarem Aufwand zu ermitteln und zu reduzieren.

Zur abschließenden Bewertung sind die Details der entwickelten Gesamtmethodik in Abbildung 28 dargestellt. Konkret lassen sich im Rahmen der aufgestellten Gesamtmetho­dik die benötigten Daten aus den Betrieben mit einem einzigen zentralen Datenerhebungsmodul (auf Basis von Excel) direkt erfassen und für die Simulation bereitstellen. In dieser werden die Energie- und Stoffströme innerhalb der Anlage abgebildet und ermöglichen eine klare Zuordnung zu einzelnen Produkten oder Aggregaten. Die simulierten Ressourcenstromdaten sind die Basis für die Umweltbewertung, Risikobeurteilung im Rahmen des Chemikalienmanagements und die Kostenberechnung. Parallel hierzu lassen sich die Ergebnisse durch Kennzahlen, zweidimensionale und dreidimensionale Darstellungen visualisieren.

Im Vergleich zum bisherigen Stand aus dem MEMAN-Projekt weist die ­Methodik eine erheblich vereinfachte Anwendbarkeit bei KMU-Betrieben auf. Zusätzlich wurde der Aspekt der Risikobewertung im Rahmen des Chemikalienmanagements integriert. In Abgrenzung zu dem eingangs ebenfalls genannten ZIM-Projekt Galvanik 4.0 [15] ist nun eine erheblich vereinfachte Parametrierung der Galvaniklinie möglich. Während das Modell aus Galvanik 4.0 nur die Abbildung einer spezifischen Linie ohne Benutzerunterstützung erlaubte, lassen sich nun mit Hilfe des entwickelten Datenerfassungsmodells allgemein Beschichtungsprozesse abbilden. Auch hier wurde im Vergleich die Risikobewertung neu mit aufgenommen.

Im Gegensatz zum Stand der Technik, welcher heute schon vereinzelt das ­Monitoring von relevanten Stoffströmen (z. B. über ERP-Systeme) ermöglicht, bietet der kombinierte Ansatz ein höheres Maß an Transparenz in Bezug auf in die lokale und globale Umwelt emittierte Chemikalien. Dynamische Einflüsse auf die zu erwartenden Ressourcenverbräuche und Emissionen durch sich verändernde Umgebungsbedingungen, Produktionsprogramme oder Prozessparameter (z. B. Chemikalienkonzentration im Elektrolyt) werden bei der Analyse berücksichtigt.

Die Verknüpfung der Simulation mit Arbeitsszenarien ermöglicht außerdem die individuelle Bewertung der Exposition einzelner Mitarbeiter in verschiedenen zeitlichen Per­spektiven, das heißt retrospektiv und prospektiv. Die potenziell aufgenommene Dosis chemischer Substanzen ist für alle Mitarbeiter anhand ihres Tätigkeitsprofils individuell ermittelbar. Besonders gefährdete oder vorbelastete Mitarbeiter können entsprechend geschützt werden, ohne sie vollständig aus den betroffenen Arbeitsbereichen ausschließen zu müssen. Unterschiedlich ausgeprägte Expositionen bei verschiedenen Fertigungsprozessen beziehungsweise Tätigkeiten lassen sich bereits bei der Erstellung von Arbeitsplänen berücksichtigen. Eine zu starke Belastung von einzelnen Mitarbeitern kann somit aktiv vermieden werden. Im Gegensatz zu bestehenden Ansätzen ist ein dauerhaftes Mitführen von Sensorik dafür nicht erforderlich, da die individuell erfahrenen Belastungen simulativ ermittelt werden können.

3.9.2 Ökologische Bewertung

Ein wesentlicher Beitrag zur Umweltentlastung ergibt sich, wie bereits in der technischen Bewertung erwähnt, aus der Eignung der Lösung speziell für kleinere und mittlere Unternehmen der Oberflächentechnik. Diese können häufig mangels entsprechender Ressourcen bisher noch keine umfassenden ökologischen Analysen durchführen und weisen entsprechend noch erhebliches Optimierungspotential auf. Mit Hilfe des umgesetzten Ansatzes können Änderungen im Produktionsablauf sowie an der Produktions­infrastruktur im Hinblick auf ihre positiven wie negativen Wirkungen vorab ganzheitlich bewertet werden.

Durch eine insgesamt erhöhte Transparenz in Bezug auf Chemikalienverbräuche ergibt sich die Chance eines gezielteren und insgesamt reduzierten Stoffeinsatzes. Die Wirkung vielfältiger Maßnahmen zum Risikomanagement (RMM), wie zum Beispiel einer Kapselung von Prozessen oder einer Steigerung von Absaugleistungen, werden zudem in Bezug auf die resultierenden Umweltwirkungen und Mitarbeiterexpositionen mit Hilfe der Anbindung der Simulation an das ART Tool bewertbar gemacht und können als Entscheidungskriterium herangezogen werden.

Da die Unternehmen der Oberflächentechnik wesentlich von den Regulierungen der REACh-Verordnung betroffen sind, ergibt sich ein starker Anreiz zur Implementierung der im Projekt zu entwickelnden Lösungen, da eine gründliche Erfassung und Dokumentation von Chemikalienflüssen in diesem Fall häufig verpflichtend durchzuführen sind. Die Synergien zwischen Chemikalienmanagement und Analysen zur Ressourceneffizienz kommen somit voll zum Tragen.

Der Abgleich mit dem Stand der Technik zeigt, dass die entwickelte Gesamtmethodik und die Umsetzung in einem Simulationstool, welches mittels dem ­Datenerhebungsmodul einfach parametriert werden kann, bisher in dieser Form noch nicht existierte. Um dies zu ermöglichen, wurden auch bei der ökologischen Bewertung Modelle genutzt, die mit vertretbarem Aufwand die Gesamtsituation hinreichend genau abbilden.

Zur Abbildung der Energieströme werden zustandsbasierte Modelle genutzt, welche zwar eine leichte Unsicherheit aufweisen, jedoch haben sich diese im Rahmen des vorgenannten ZIM-Projekts Galvanik 4.0 als hinreichend genau erwiesen. Bedingung hierfür ist jedoch, dass für den Gleichrichter ein spezifischeres, von Prozessparametern abhängiges Modell genutzt wird. Da die zustandsbasierten Modelle die Durchführung der Beratung jedoch erheblich vereinfachen und das Gesamtergebnis nicht wesentlich beeinflussen, ist diese Vereinfachung zu akzeptieren.

Zu einer genaueren Betrachtung der Ressourcenströme in der Anlage werden die Prozessmedien nicht als Gesamtes, sondern als einzelne Inhaltsstoffe des gesamten Elek­trolyten modelliert. Dies erhöht zwar den Aufwand, lohnt sich jedoch, da hier sehr hohe Potentiale bezüglich der Umweltentlastung liegen und der Ressourcenverbrauch erheblich genauer abgebildet werden kann.

Die Verschleppung lässt sich durch einen Kategorisierungsansatz sehr gut näherungsweise beschreiben. Das genaue elektrochemische Verhalten lässt sich jedoch nur eingeschränkt durch den stoffstrombasierten Ansatz beschreiben, wenn Stoffe verwendet werden, deren Einsatzverhalten nicht durch den Verfahrenslieferanten beschrieben wird. Für den im Rahmen dieses Projekts betrachteten Chrom(VI)elektrolyten lassen sich für den relevantesten Inhaltsstoff (sechswertiges Chrom bzw. Chromsäure) entsprechende Modelle in der Literatur finden, die in das Modell integriert wurden.

3.9.3 Bewertung zum Risikomanagement

Etwas kritischer zu bewerten sind die Ergebnisse aus der Risikobeurteilung. Durch die Anbindung an das ART Tool über Surrogatmodelle ist es möglich, ein weit entwickeltes Modell zur Abschätzung von Mitarbeiterbelastungen über Raumluftexpositionen einzubinden. Die Genauigkeit dieser ­Modelle ist nur so hoch, wie die des ART Tools. Einzelne Parameter lassen sich im ART Tool nur mit eingeschränkter Genauigkeit beschreiben; beispielsweise kann das Fluid lediglich bewegt oder nicht-bewegt sein. Diese einfache Fallunterscheidung ermöglicht zwar eine einfache Aufnahme der technischen Parameter, insbesondere da Strömungsgeschwindigkeiten im Fluid sich kaum mit vertretbarem Aufwand in der industriellen Praxis messen lassen. Jedoch entstehen hierdurch gewisse Unsicherheiten bei der Bestimmung der tatsächlichen Konzentrationen bei den Mitarbeitern.

3.9.4 Ökonomische Bewertung

Das entwickelte Software-Werkzeug soll auf die gesamte elektrochemische Oberflächentechnik übertragbar sein, perspektivisch auch für weitere oberflächentechnische Prozesse.

In der EU sind etwa 18 000 Anlagen zur Beschichtung von Oberflächen ­vorhanden [18], die einen oftmals hohen Energieeinsatz und noch häufiger den Einsatz von umwelt- und gesundheitsgefährdenden Stoffen aufweisen. Laut aktueller Statistik lässt sich für die Branche der Oberflächentechnik in Deutschland mit etwa 1400 Betrieben und einem Umsatz von etwa 7,2 Milliarden Euro jährlich gesamtwirtschaftlich auch eine hohe Relevanz konstatieren [16]. Tatsächlich geht der Branchenverband ZVO e.V. jedoch aufgrund eines hohen Anteils handwerklicher Betriebe, die nicht in der industriellen Statistik erfasst werden, insgesamt von rund 2000 Betrieben aus. Der Anteil an kleinen Unternehmen (< 50 Mitarbeiter) ist dabei mit etwa 1000 Unternehmen überproportional hoch [17]. Gerade diese können von dem entwickelten kombinierten Ansatz durch erhebliche Synergie­effekte profitieren.

Die Verbreitung und wirtschaftliche Umsetzung der Projektergebnisse in diesem Markt sollen durch die eiffo eG erfolgen; dabei greift eiffo auf das bestehende weitreichende Netzwerk zu Unternehmen und Verbänden der Oberflächentechnik zurück. Das Geschäftsmodell sieht eine Kombination aus Software-Lizenz und Beratungsleistung durch eiffo vor. Dabei wird aktuell von Preisen ausgegangen, die abhängig von Unternehmensgröße der Kunden beziehungsweise Aufwand für die Prozessanalyse variieren. Das erarbeitete Geschäftsmodell trägt dabei der mittelständischen Struktur der Branche, den unterschiedlichen Bedarfen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Betriebsgrößen ausreichend Rechnung.

Wie bereits im Projekt Galvanik 4.0 gezeigt wurde, können mit der Verbesserung der Ressourcen­effizienz erhebliche Einsparungen bei Energie- und Materialeinsatz sowie Betriebskosten erzielt werden. Allein energie­bezogene Einsparungen belaufen sich auf fünf Prozent bis zehn Prozent des Energieeinsatzes und der Energiekosten; stoffbezogene Einsparungen sind in ähnlicher Größenordnung erreichbar. Tatsächlich wird aufgrund des neuartigen integrativen Konzepts ein deutlich höheres Einsparpotenzial erwartet. Bei einem typischen Galvanikbetrieb mit 50 Mitarbeitern würde dies eine Kostenersparnis von 15 000 Euro bis 30 000 Euro im Jahr allein für Energie bedeuten. Mithin ergibt sich bei Annahme eines ROI von etwa 1 Jahr für die geplante Dienstleistung ein möglicher Preis in der Größenordnung von 20 000 Euro bis 25 000 Euro. Dabei ist der Zusatznutzen durch das integrierte Chemikalienmanagement noch gar nicht berücksichtigt. Allein mit den rund 1300 industriellen Betrieben in Deutschland ergibt sich somit ein beachtliches Marktpotenzial für die wirtschaftliche Verwertung.

3.10 Verbreitung der Projektergebnisse

Die Ergebnisse des Projekts werden sowohl in der nationalen als auch der internationalen Fachwelt verbreitet. Von wissenschaftlicher Seite aus wurden Inhalte des Projekts bei der deutsch-englischen Fachtagung ­Simulation in Produktion und Logistik vorgestellt. Die Veröffentlichung ist als Open Access-Veröffentlichung verfügbar [19]. Ein weiterer Beitrag wurde bei dem Open Access Journal Simulation News Europe eingereicht (Alexander Leiden, Sebastian Thiede, Christoph Herrmann: Agent Based Simulation Approach for Occupational Safety and Health Planning a Case of Electroplating Facilities; aktuell befindet sich diese Veröffentlichung im Peer Review Prozess). Eine weitere Open Access-Veröffentlichung mit dem Titel Combing energy and resource flow models with occupational health model – a case of electroplating facilities befindet sich aktuell in Ausarbeitung und soll zur nächsten CIRP Life Cycle Engineering Conference vorgestellt werden.

Eingang gefunden hat das Projekt bei der zentralen, ersten fachlichen Keynote der ZVO Oberflächentage im September 2019 in Berlin durch Prof. Dr.-Ing. Christoph Herrmann. An der Tagung nahmen knapp 700 Besucher vorwiegend aus der deutschsprachigen Galvanotechnikbranche teil; das Projekt hatte somit die höchstmögliche Reichweite für das Thema im deutschsprachigen Raum. Eine Vorstellung des Projekts war auch für die Leitmesse Surface Technology Germany 2020 in Stuttgart geplant; sie musste jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie ersatzlos entfallen; die nächste Oberflächenmesse in Deutschland ist erst für das Jahr 2022 ­geplant.

Dem industriellen Publikum aus der Galva­notechnik wird das Projekt nun gezielt bei Netzwerkveranstaltungen des VECCO e. V. und der eiffo eG in anwendungsbezogenen Präsentationen vorgestellt. Vorgesehen sind sowohl Online-Workshops als auch Präsenzveranstaltungen.

Teilaspekte des Projekts sind bereit in verschiedenste Vorlesungen des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der Technischen Universität Braunschweig eingegangen, welche sowohl von Studierenden der Fakultät Maschinenbau als auch der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften besucht werden.

4 Fazit

Im Rahmen des Projekts ist es gelungen, die Analyse der Energie- und Ressourceneffizienz sowie des Risikomanagements in einer zentralen Gesamtmethodik mit einem integrierten Simulationstool zu verbinden. Dies schafft Synergien hinsichtlich Datenerfassung, Modellbildung und Bewertung, da für beide Arten von Analysen eine umfassende Aufnahme von produktionsbezogenen Daten sowie die Abstraktion des Realsystems in ein digitales Modell erforderlich ist.

Das Projekt hat sich bei der Entwicklung auf die Analyse des Einsatzes von bestimmten, besonders kritischen Chemikalien am Beispiel des sechswertigen Chroms orientiert. Der entwickelte Ansatz ist aber generischer Natur, um eine Übertragbarkeit auf andere Energie- und Stoffströme in der Produktion – auch in anderen Branchen – zu gewährleisten. Ein wesentlicher Vorteil des entwickelten Ansatzes besteht im angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Durchführung von betreffenden Analysen. Somit werden auch kleinere Unternehmen befähigt, negative Auswirkungen in Bezug auf die Zielsysteme Mitarbeiter und Umwelt selbstständig und mit darstellbarem Aufwand zu ermitteln und zu reduzieren.

Etwas kritischer zu bewerten sind die Ergebnisse aus der Risikobeurteilung. Durch die Anbindung an das ART Tool über Surrogatmodelle ist es möglich, ein weit entwickeltes Modell zur Abschätzung von Mitarbeiterbelastungen über Raumluftexpositionen einzubinden. Die Genauigkeit dieser Modelle ist jedoch nur so hoch, wie die des ART Tools, in dem sich einzelne Parameter nur mit eingeschränkter Genauigkeit beschreiben lassen (z. B. kann das Fluid lediglich bewegt oder nicht-bewegt sein). Diese einfach Fallunterscheidung ermöglicht zwar eine einfache Aufnahme der technischen Parameter, insbesondere da Strömungsgeschwindigkeiten im Fluid sich kaum mit vertretbaren Aufwand in der industriellen Praxis messen lassen. Jedoch entstehen hierdurch gewisse Unsicherheiten bei der Bestimmung der tatsächlichen Konzentrationen bei den Mitarbeitern.

Perspektivisch kann der bestehende ­Ansatz über die simulative Bewertung basierend auf historischen Expositionsdaten deutlich hinausgehen. Dazu sollten zukünftig auch die Möglichkeit der Nutzung von Live-Daten aus der Produktion sowie eine Anbindung an weitere bestehende Systeme (ERP und/oder MES) untersucht werden. Durch die Kopplung der Systeme können noch exaktere Expositionsbewertungen in Echtzeit ermöglicht werden. Hierfür ist eine Anbindung an Sensornetzwerke erforderlich, welche die entwickelten Modelle bei der Bewertung ergänzen. Perspektivisch lässt sich daraus eine Rückkopplung in die Produktion implementieren, das heißt die Regelung von Anlagen, Anlagenperipherie und technische Gebäudeausrüstung (TGA) kann auf Basis der aktuell gemessenen Chemikalienbelastung kontinuierlich angepasst werden. Der Einsatz kritischer Chemikalien lässt sich damit weiter reduzieren.

Die stetig fortschreitende Digitalisierung in der Produktion und der damit einhergehende zunehmende Einsatz von Sensorik auch in der Galvanotechnik stellt hierfür eine geeignete Grundlage dar.

Literaturverzeichnis (Gesamtaufstellung)

[1] BMWi 2018: Ausschreibung Digitalisierung als Enabler für Ressourceneffizienz in Unternehmen

[2] U. Sievers, U. König, B. Seßler: Ressourceneffiziente Fertigung – Erfahrungen und Handlungsempfehlungen zur Verbesserung von Rohstoff- und Energie-Effizienz in der verarbeitenden Industrie; WOMag 03/2013, S. 4 ff

[3] U. Sievers, U. König, B. Seßler: Produktionstechnische Prozesse in der modernen nachhaltigen Beschichtungstechnik; in: Michael Angrick (Hrsg): Nach uns, ohne Öl: Auf dem Weg zu nachhaltiger Produktion, 1. Mai 2010

[4] Aktuelle Marktzahlen finden sich zum Beispiel bei IKB, LBBW

[5] S. Blume, D. Kurle, C. Herrmann, S. Thiede: Toolbox for Increasing Resource Efficiency in the European Metal Mechanic Sector; Procedia CIRP (2017) 61, S. 40–45

[6] International Organization for Standardization; ISO 14040-Environmental management – Life Cycle Assessment – Principles and Framework, 2006

[7] European Chemicals Agency; Guide on Safety data sheets and Exposure scenarios, 2018

[8] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV); DGUV Regel 109-602 – Branche Galvanik, 2017

[9] W. Fransman, M. van Tongeren, J. Cherrie, M. Tischer, T. Schneider, J. Schinkel, H. Kromhout, N. Warren, H. Goede, E. Tielemans: Advanced Reach Tool (ART): Development of the Mechanistic Model; The Annals of occupational hygiene (2011) 55, S. 957–79; 10.1093/annhyg/mer083

[10] E. Tielemans, N. Warren, W. Fransman, M. van Tongeren, K. Mcnally, M. Tischer, P. Ritchie, H. Kromhout, J. Schinkel, T. Schneider: Advanced REACH Tool (ART): Overview of Version 1.0 and Research Needs; The Annals of Occupational Hygiene (2011), Volume 55, Issue 9

[11] ART Consortium: The Advanced Reach Tool: https://www.advancedreachtool.com, abgerufen am 18.07.2020

[12] Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) 2017; Technische Regeln für Gefahrstoffe – Tätigkeiten mit krebs­erzeugenden Metallen und ihren Verbindungen – TRGS 561

[13] Europäische Chemikalienagentur (ECHA): The European Union System for the Evaluation of Substances, aktuelle Version 2.1.2 (2018); https://ec.europa.eu/jrc/en/scientific-tool/european-union-
system-evaluation-substances

[14] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfG): Risikobewertung durch das BfR (2018); https://www.bfr.bund.de/de/risikobewertung_durch_das_bfr-1799.html

[15] Entwicklung einer Produktionstechnik zur sicheren und effizienten Großserienbeschichtung hochfester Verbindungselemente für die Automobilindustrie („Galvanik 4.0“), ZIM Projekt (2016–2018)

[16] Destatis 2018; Fachserie 4 Reihe 3.1 - Produzierendes Gewerbe Produktion des Verarbeitenden Gewerbes sowie des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden

[17] Destatis 2018; Fachserie 4 Reihe 4.1.1 - Produzierendes Gewerbe Beschäftigung und Umsatz der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes sowie des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden

[18] European Comission: Reference Document on Best Available Techniques for the Surface Treatment of Metals and Plastics, 2006

[19] A. Leiden, S. Thiede, C. Herrmann: Agent-Based Simulation for Multi-Criterial Planning and Control of Automated Electroplating Lines; in: 18. ASIM Fachtagung Simulation in Produktion und Logistik, Chemnitz, Verlag Wissenschaftliche Scripten, Auerbach, 2019, S.  111–120

Abb. 28: Entwickelte Gesamtmethodik zur synergetischen Analyse und Verbesserung von Ressourceneffizienz und Chemikalienmanagement in der Oberflächentechnik

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