Oxid-Tuning durch Ionentransfer

Werkstoffe 07. 02. 2021
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Jülicher Forschende entdecken neue Formel zur Veränderung elektronischer und magnetischer Eigenschaften von Oxid-Grenzflächen. Sie veröffenlichten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Advanced Materials.

Die meisten Materialien sind entweder magnetisch, oder sie sind es nicht. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben nun einen neuen Mechanismus entschlüsselt, der es ermöglicht, die elektronischen und magnetischen Eigenschaften eines Materials gezielt und umkehrbar zu verändern. Der Effekt beruht auf dem Transfer von Ionen an der Grenzfläche zweier Oxide – die Forschenden konnten die Existenz dieses Prozesses erstmalig experimentell nachweisen. Beide Oxide allein zeigen typischerweise weder Magnetismus noch eine signifikante elektrische Leitfähigkeit. Erst in Kombination treten beide Eigenschaften an ihrer Grenzfläche auf. Die genauen Ursachen für deren Stärke sind noch unklar. Den Forschenden gelang es aber, die magnetische Ordnung an der Grenzfläche durch die Verschiebung von Ionen zu verändern. Das Material wird dadurch magnetischer. Über die Elektronenverteilung konnten sie zudem auch die elektrischen ­Eigenschaften kontrollieren.

Derartig flexible Materialsysteme sind für verschiedene neuartige IT-Konzepte wie das neuromorphe Computing oder spintronische Ansätze relevant. Eine mögliche Anwendung wäre etwa ein multifunktionaler Transistor, der nicht nur elektrischen Strom sondern möglichweise auch Spin-Ströme steuern kann (Spintronics). Ein solches Bauteil könnte dann sowohl durch das Anlegen einer Spannung als auch eines Magnetfeldes gesteuert werden.

Das untersuchte elektronische Grenzflächensystem aus den Oxiden LaAlO3 und SrTiO3 wurde bereits 2004 entdeckt und hat weltweites Interesse hervorgerufen. Beide Materialien tauschen an der Kontaktfläche sowohl Elektronen als auch atomare ­Bestandteile in Form geladener Ionen aus, wie die Jülicher Forschenden nun erstmalig zeigen konnten. An der Grenzfläche bilden sich dadurch neue elektronische Eigenschaften aus. Ein ähnliches Phänomen ist klassischerweise auch von Halbleitern bekannt. Der rein elektronische Effekt ist dort aber ausschließlich auf den Austausch von Elektronen beschränkt.

Die Forschenden des Jülicher Peter Grünberg Instituts (PGI-7/PGI-6) konnten erstmals experimentell nachweisen, dass neben dem Austausch von Elektronen auch der ­ionische Ladungstransfer für die Veränderung der elektronischen Eigenschaften des LaAlO3/SrTiO3-Systems verantwortlich ist. Das Konzept macht es möglich, die Leitfähigkeit der Grenzfläche einzustellen und gleichzeitig magnetische Eigenschaften zu generieren.

Über verschiedene Mischungen von elektro­nischem und ionischem Ladungstransfer konnten sie verschiedene Grenzflächen herstellen, die sich hinsichtlich ihrer elektronischen und atomaren Struktur unterscheiden. Die Forschenden konnten beispielsweise Grenzflächen erzeugen, die eine hohe Leit­fähigkeit und schwachen Magnetismus aufweisen oder aber eine niedrigere Leitfähigkeit und stärkeren Magnetismus.

Der experimentelle Nachweis gelang mittels Röntgen-­Photoelektronenspektroskopie unter atmosphärischen Bedingungen (near-ambient pressure X-ray photoelectron spectroscopy, NAP-XPS). Die Methode ist noch recht neu und erlaubt, wie jetzt nachgewiesen wurde, direkten Zugriff auf die ioni­schen Prozesse an atomar definierten Grenzflächen. Im Experiment kann so die Bewegung von Kationen über die Grenzfläche hinweg untersucht und dynamisch über Temperatur und Sauerstoffatmosphäre gesteuert werden. Aus diesen Daten können gezielt Rückschlüsse über den Zusammenhang von ioni­scher Struktur und den resultierenden elektrischen und magnetischen Eigenschaften gezogen werden.

Prozess-Steuerung durch ­Sauerstoff-Kontakt

Die Kontrolle des Ionentransfers erfolgt über den Kontakt mit Sauerstoff. Dieser führt dazu, dass sich Strontiumionen aus der ­Grenzfläche hinausbewegen. Jedes fehlende Strontium­ion bindet zwei Elektronen, die dann nicht mehr zur elektrischen Leitfähigkeit beitragen können, so dass die elektrische Leitfähigkeit sinkt. Gleichzeitig entstehen bei diesem Prozess Kristalldefekte, die die magnetische Ordnung der übrigen Elektronen beeinflussen. Somit wird das System magnetischer, während es an Leitfähigkeit verliert. Dass sich diese Kationen derart frei bewegen können, wurde vorher schon von Forschern postuliert, mehrheitlich allerdings für praktisch nicht möglich gehalten. Der experimentelle Nachweis dieses Prozesses in der vorliegenden Studie setzt daher einen Meilenstein im Verständnis ionischer Prozesse an Oxid-Grenzflächen.

Das Forschungsprojekt wurde unter Federführung des PGI-7 und PGI-6 unter Beteiligung der RWTH Aachen, des PGI-1 sowie internationaler Kooperationen mit Forschern der Charles University in Prag, Advanced Light Source (ALS) in Berkeley und des Pacific Northwest National Laboratory (PNNL) in Richland durchgeführt.

Kontakt:

Dr. Felix Gunkel, Peter Grünberg Institut, Elektronische Materialien (PGI-7)
E-Mail: f.gunkel@fz-juelich.de

Originalpublikation:

M. Rose, B. Šmíd, M. Vorokhta, I. Slipukhina, M. Andrä, H. Bluhm, T. Duchoň, M. Ležaić, S. A. Chambers, R. Dittmann, D. N. Mueller*, F. Gunkel*: Identifying Ionic and Electronic Charge Transfer at Oxide Heterointerfaces; Advanced Materials 2004132 (published online 2 December 2020), doi: 10.1002/adma.202004132

Text zum Titelbild: Kontrolle elektronischer Eigenschaften durch Elektronen- und Ionentransfer (©Rose et al., Advanced Materials (2020), doi: 10.1002/adma.202004132 (CC BY-NC-ND 4.0))

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