Rätsel um Passivierung von reibarmen, harten Kohlenstoffbeschichtungen gelöst

Werkstoffe 08. 08. 2020
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Diamant- und diamantähnliche Kohlenstoffschichten (DLC) sind als extrem beständige Oberflächen in Reibkontakten zu finden – von Raumfahrtkomponenten bis zu Rasiergeräten. Sie verringern Reibung und Verschleiß in Lagern oder Ventilen mithilfe sogenannter Passivierungsschichten, die Anbindungen von anderen Materialien verhindern. Bisher war unklar, wie diese Schichten aufgebaut sein müssen, um minimale Reibung zu erzielen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM, MikroTribologie Centrum µTC, haben nun einen Durchbruch beim Verständnis der Passivierungen erzielt. Die unerwarteten Ergebnisse sind im Fachjournal ACS Applied Materials & Interfaces veröffentlicht.

Harte Kohlenstoffbeschichtungen sind weltweit im großindustriellen Maßstab im Einsatz. Ein besonders starker Nutzer ist die Automobilindustrie, die jährlich mehr als 100 Millionen beschichteter Teile einsetzt mit einem Marktvolumen von mehreren 100 Millionen Euro. Weitere wichtige Anwendungsfelder sind Schutzschichten für Computerfestplatten und Aufzeichnungsköpfe sowie der Verschleißschutz von Schneid- und Formwerkzeugen in Produktionsmaschinen oder bei biomedizinischen Komponenten.

Um die erwünschte ultrakleine Reibung zu erreichen, ist nach Aussage von Thomas Reichenbach aus der Gruppe Multiskalenmodellierung und Tribosimulation, eine stabile Passivierung der ungesättigten Bindungen an der Kohlenstoffoberfläche notwendig. Für die Passivierung kommen allerdings zahlreiche Stoffe infrage: der gängigste ist Wasserstoff. Eine vielversprechende, technologisch relevante Alternative hingegen ist Fluor. Beide Varianten sorgen für stabile, monoatomare Passivierungen. Wir wollten ergründen, unter welchen Umständen welche Passivierung besser ist und vor allem warum, denn die Wirkweisen sind bisher noch kaum verstanden, erklärt der Simulationsexperte für atomare Computermodelle. Für diese Arbeiten hat Thomas Reichenbach den mit 3000 Euro dotierten Werkstoffmechanik-Preis 2020 des Fraunhofer IWM erhalten, der im Kuratorium verliehen wurde.

Die vorherrschende Meinung der Fachliteratur besagt, dass die Ladung der für die Passivierung eingesetzten Atome für den Unterschied zwischen Wasserstoff und Fluor verantwortlich ist. Auf diesem Hintergrund erklärt sie auch die geringere Reibung von fluorpassivierten Flächen gegenüber den wasserstoffpassivierten mit der größeren Abstoßung der beiden Fluorflächen. Das Forscherteam warda skeptisch, denn das elektrische Feld von dicht gepackten Kohlenstoff-Fluor-Bindungen habe nur eine sehr geringe ­Reichweite. Genau das sei ja auch die Ursache für den Abperl-Effekt von Teflonbeschichtungen in Bekleidung oder Kochutensilien, so Doktorand Reichenbach.

Interatomares ­Kraftfeld ­beschreibt Reibung

Um die Zusammenhänge zwischen den strukturellen und chemischen Eigenschaften der Passivierungen und der Reibung zu erklären, entwickelten die Wissenschaftlerin­nen und Wissenschaftler vom ­Fraunhofer IWM in langjähriger Kleinarbeit ein sogenanntes interatomares Kraftfeld. Dieser maßgeschneiderte mathematische ­Formalismus beschreibt die Wechselwirkung der an der Reibung beteiligten Atome. Alle vermeintlich an der Reibung beteiligten ­Parameter, bestimmt aus präzisen, rechnerisch aufwändigen quantenmechanischen ­Berechnungen, fließen darin ein – etwa die Atomradien, Atommassen oder Ladungen. Auf Basis dieses rechnerisch effizienten Kraftfeldmodells wiederum konnten sie als erste weltweit im Computer etwa hunderttausend Atome in den Reibkontakten simulieren, Daten zu ihrem Verhalten und ihren Wechselwirkungen in der Anwendung prognostizieren und so die Reibung direkt bestimmen.

Um herauszufinden, welche Parameter für die Reibung wirklich entscheidend sind, nutzte das Forscherteam dann einen Trick: Man muss sich das vorstellen, als würde man Sicherungen in einer erleuchteten Wohnung durchprobieren, um die richtige zu finden, veranschaulicht Reichenbach das ­Vorgehen. Da die Passivierung mit Fluor die Reibung auf atomar planen Diamantschichten gegenüber der Wasserstoffpassivierung in etwa halbiert, vertauschten sie im Kraftfeld Schritt für Schritt die Parameter von Wasserstoff und Fluor. Sollte der Parameter wirklich relevant sein für die Reibung, hätten wir in der Simulation eine Umkehrung der Reibwerte von Wasserstoff und Fluor gesehen, so Reichenbach.

Reibkontakt zweier fluorterminierter DLC-Oberflächen (Kohlenstoff grau); die (grünen) Fluorzerminierungen können zu Hindernissen im Reibspalt werden und Reibung erhöhen (© Fraunhofer IWM)

 

Reibkontakt zweier wasserstoff- (oben, weiß) und fluorterminierter (unten, grün) Diamant­oberflächen (grau): die Fluorpassivierung halbiert die Reibung im Vergleich zur Wasserstoffpassivierung (© Fraunhofer IWM)

 

Alleine geometrische Parameter sind von Belang für Passivierung

Die Ergebnisse sind unerwartet: Sowohl bei den Atommassen als auch bei den Atomladungen erfolgte keine Reibwertumkehrung beim Parametertausch – dafür jedoch bei den Atomradien in Verbindungen mit deren Bindungslängen zu Kohlenstoff. Das heißt, allein geometrische Parameter sind für die Optimierung der Reibung von Bedeutung, verdeutlicht Reichenbach die Überraschung. Mit diesen grundlegenden Erkenntnissen konnte das Team um Reichenbach auch gleich die Vorteile der Fluorpassivierung bei planen Dia­mantoberflächen begründen. Durch die größeren Atomradien wird bei zwei fluorpassivierten Reibpartneroberflächen das Ineinandergreifen der beiden Flächen verhindert: Die Reibpartner gleiten recht ­störungsfrei anein­ander vorbei, da sich der atomare Reißverschluss nicht schließen kann. Bei den kleineren Wasserstoffatomen ist das hingegen möglich: Sie können sich verzahnen und so die Reibung vergrößern. Fluor-­Kohlenstoff-Bindungen sind die stärksten aller chemischen Bindungen. Durch ihre Langlebigkeit ist die Fluorpassivierung daher sehr interessant für tribologische Anwendungen. Ihr Nachteil: Die größeren Fluoratome können bei nicht planen DLC-Oberflächen zu Hindernissen werden, wenn sie sich an Oberflächenerhöhungen anhängen, wodurch sich die Reibung wieder erhöhen würde.

Elektronendichte zweier wasserstoffterminierter (links) und fluorterminierter (rechts) Diamantoberflächen: Große Fluoratome verhindern das Ineinandergreifen der Oberflächen und verringern so Reibung (© Fraunhofer IWM)

 

Die Forschung an den Passivierungen steht nach den Worten des stellvertretenden Gruppenleiters Dr. Gianpietro Moras noch am Anfang. Wir haben mit unserer Grundlagenforschung jetzt eine Tür aufgestoßen, aber die Ergebnisse müssen auch noch mit hochpräzisen Experimenten überprüft werden. Die neue Schalter-Methode aus Freiburg ­ließe sich jedenfalls ohne Probleme auf andere Reibkontakte übertragen. Dazu müsste das Kraftfeldmodell an die speziellen Rahmen­bedingungen angepasst werden, beispielsweise an andere Passivierungsatome oder Oberflächengeometrien. Die Methode ermöglicht, Designregeln für optimal ­terminierte reibungsarme Systeme zu entwickeln. Zum Beispiel könnten systematisch ­Alternativen zur Fluorpassivierung gefunden werden. Denn fluorierte Kohlenstoffmoleküle ­besitzen zwar hervorragende tribologische Eigenschaften, werden aber aufgrund der negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einigen Anwendungsbereichen zunehmend gemieden.

Die Forschungen der Gruppe Multiskalenmodellierung und Tribosimulation zu den Passivierungen waren Teil geförderter Forschungsprojekte vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie von der Deutsche Exzellenz Strategie – EXC.

Kontakt

Thomas Reichenbach
E-Mail: thomas.reichenbach@iwm.fraunhofer.de

Dr. Gianpietro Moras
E-Mail: gianpietro.moras@iwm.fraunhofer.de

Originalpublikation:

T. Reichenbach, L. Mayrhofer, T. Kuwahara, M. Moseler, G. Moras: Steric Effects Control Dry Friction of H- and F-Terminated Carbon Surfaces; ACS Applied Materials & Interfaces 12, 7 (2020) 8805-8816; DOI: 10.1021/
acsami.9b18019

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