Entgrattechnologien und Präzisionsoberflächen

Werkstoffe 07. 05. 2017
Bericht über die 5. Fachtagung der fairXperts in Nürtingen - Teil 1

Die Herstellung von Präzisionsteilen durch mechanische Verfahren oder Gießen von Metallen oder Spritzen von Kunststoffen ist stets mit der Bildung von unerwünschten Kantenverläufen oder Graten verbunden. Dadurch zählen die unterschiedlichen Arten der Entgratung oder Kantenformung zu den unentbehrlichen Arbeitsschritten in der Produktion. Dazu hat die fairXperts auch in diesem Jahr wieder eine Tagung in Nürtingen angeboten, die von mehr als 100 interessierten Fachleuten besucht wurde. Die Themen der 19 Fachvorträge boten einen Einblick in die Grundlagen und Weiterentwicklungen der unterschiedlichen mechanischen und chemischen Bearbeitungsverfahren sowie die erforderlichen Verfahren zur Prüfung und Kontrolle von Teilen mit Fokus auf Kanten und Grate.

Entgraten im Überblick

Entgraten ist nach Aussage von Sascha Reinkober, Fraunhofer IPK, Bestandteil fast jeder mechanischen Bearbeitung. Dies erfolgt vor allem aus funktionellen Gründen wie dem Verhindern des Bauteilsversagen, dem späteren Verunreinigen durch Ablösen von Graten oder zur Vermeidung der Verletzungsgefahr beim Verarbeiten oder Verwenden, aber auch zur Aufrechterhalten des dekorativen Erscheinungsbildes. Dabei muss die Geometrie einer Kante vorgegeben sein. Allerdings wird hier nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass die gewünschte Kantengeometrie herstellbar oder kontrollierbar sein muss. Technisch eingeordnet wird des Entgraten in die Arbeitsgänge des Trennens (Hauptgruppe 3) und der Untergruppe Abtragen (3.4).

Arten und Kenngrößen von Kanten bei mechanisch gefertigten Teilen (Bild: S. Reinkober)

 

Einteilung der Entgratverfahren in der mechanischen Fertigung (Bild: S. Reinkober)

 

Am häufigsten angewandt wird das Handentgraten mit Werkzeugen wie Feile oder Bürste. Aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels wird zunehmend auf maschinelles Entgratgen unter Einsatz von Robotern ausgewichen. Hier spielt vor allem die hohe Reproduzierbarkeit eine wichtige Rolle, die bei kleinen Stückzahlen allerdings unwirtschaftlich ist. Relativ günstig ist dagegen das Gleitschleifen, das zudem eine hohe Freiheit in Bezug auf die Geometrie besitzt. Aus diesem Grund werden etwa die Hälfte der Entgratprozesse durch Gleitschleifen gelöst. Nachteilig ist die Tatsache, dass keine partielle Bearbeitung möglich ist.

Ein weiteres, in breitem Umfang eingesetztes Verfahren ist das elektrochemische Entgraten. Stark spezifisch wirkt das elektrochemische Formentgraten (ECM), bei dem Formelektroden eingesetzt werden. Bei innen liegenden Kanten stellt das Heranführen der Elektrode an die zu bearbeitenden Oberflächenbereichen die Hauptschwierigkeit dar. Beim thermischen Entgraten werden die Grate mit einem Brenngas verbrannt, so dass auch schlecht zugängliche Grate bearbeitet werden können. Schnelles Entgraten insbesondere bei spröderen Werkstoffen ist mit dem Hochdruckwasserstrahlen möglich. Herausforderung ist die Zugänglichkeit der Gratbereiche.

Beim Strömungsschleifen werden Pasten (Medium mit Schleifkörnern) oszillierend an der zu bearbeitenden Oberfläche entlang bewegt. Diese Technik ist vorwiegend für Bohrungen geeignet und bei Flächen mit einem relativ hohen Aufwand verbunden. Ultraschall wird bei einem speziellen Verfahren des Feinschleifens eingesetzt, das für harte und spröde Werkstoffe gute Ergebnisse möglich macht. Eine Art des Ultraschallbearbeitens findet beim Kavitätsentgraten Einsatz.

Werkzeugoptimierung zum gratminimalen Bohren

Gratbildung kommt nach Aussage von Adrian Meinhard, TU Darmstadt, bei nahezu allen Arten der Bearbeitung von Metallen vor. Die Gratbildung birgt die Gefahr der Verletzung des Werkers, Reduzierung der Lebensdauer und Minderung der Produktqualität. Parameter der Gratbildung sind z.B. die Werkzeuggeometrie, die Prozessparameter oder die technologischen Größen. Zur Beschreibung der bisher fehlenden systematischen Zusammenhänge wurden im Institut des Vortragenden Untersuchungen vorgenommen.

Die Klassifizierung von Bohrgraten erfolgt beispielsweise aufgrund der Gratart und der Grathöhe. Als Parameter für eine erkennbare Veränderung der Gratentstehung wurden beispielsweise die Werkzeuggeometrie, Vorschubgeschwindigkeit und Umdrehungszahl des Werkzeugs ermittelt. Die Bewertung erfolgt nach Art des Grates, wobei ein Ringgrat als akzeptables Qualitätsmerkmal eingestuft wird.

Gratmerkmale als Basis für eine vergleichende Untersuchung zur Ausgestaltung von Bohrwerkzeugen (Bild: A. Meinhard)

 

Von vier geprüften Werkzeugen überzeugte eines mit deutlich geringerer Gratbildung (in i.O.-Qalität) bei allen Vorschub- und Drehzahlen. Bei diesem Werkzeug traten Grate prinzipiell mit Grathöhen zwischen 30 µm und 40 µm auftraten, unabhängig von der Vorschubgeschwindigkeit. Dies deutete darauf hin, dass die Werkzeuggeometrie bei der Gratbildung den größten Einfluss hat. Genauere Untersuchungen des Werkzeugs zeigen, dass das Anlegen einer Schälfase den Vorteil ausmacht. Die Schälfase führt dazu, dass der entstehende Grat abgeschert und damit entfernt wird.

Kantenbearbeitung

Wie Jens Giller, August Rüggeberg GmbH & Co. KG, eingangs betonte, müssen Werkzeug und Werkzeugantrieb zur Erzielung der besten Ergebnisse aufeinander abgestimmt sein. Dabei können die Anforderungen an beide Größen in den einzelnen Anwendungen deutlich voneinander abweichen. Probleme für die Kantenbearbeitung ergeben sich beispielsweise aus der Art der vorliegenden Kante, die scharf, mechanisch vorverformt oder undefiniert sein kann. Darüber hinaus sind Kanten häufig in den Vorgaben zur Produktherstellung nicht exakt definiert.

Die Weiterbearbeitung durch Fügen kann beispielsweise unterschiedliche Kanten erforderlich machen, wie V- oder X-Form. Auch die Eigenschaften von Beschichtungen, zum Beispiel als Korrosions- oder Verschleißschutz, hängen von der Kantengeometrie ab.

Undefinierte Kanten lassen sich relativ einfach mit Bürsten oder Schleifkörpern herstellen. Der Spanwinkel des Schleifkörpers bestimmt darüber, ob eine Bearbeitung durch Schälen oder durch Schaben erfolgt. Für das Schälen ist ein positiver und für das Schaben ein negativer Spanwinkel erforderlich, wobei die Härte beziehungsweise Duktilität des zu bearbeitenden Werkstoffs einen wesentlichen Faktor darstellen. Undefinierte Kanten werden beispielsweise mit Schrubbscheiben oder Hartmetallfrässtiften bearbeitet.

Abnutzung von Diamantkörner bei der abtragende Bearbeitung (Bild: J. Giller)

 

Definierte Kanten lassen sich nur mit definierten Schneiden erzeugen. Dies wird mit Geräten mit Zwangsführung beispielsweise in Form einer Führungsplatte erzielt. Zum Einsatz kommt die Technik beispielsweise bei Teilen oder Einrichtungen, die lackiert werden. Möglich ist hier auch die Nutzung von Wendeschneidplatten am Werkzeug.

Entgraten mit Ultraschall

Dr. Thomas Dreyer, Weber Ultrasonics, stellte die neue Möglichkeit des Entgratens unter Einsatz von Ultraschall vor. Relevant sind bei dieser Technologie die Gratparameter wie Grathöhe oder Werkstoff auf Seite des Teils und die Kavitationswirkung seitens der Schalleinwirkung. Durch die Kavitation soll vor allem die Gratwurzel erodiert werden, wobei die Wirkung gut über die eingesetzte Energie und das Übertragungsmedium steuerbar ist. Dazu stehen unterschiedliche Arten von Sonotroden zur Verfügung. Je nach Ausführung der Elektrode lässt sich die Wirkungsfläche anpassen.

Prinzip des Entgratens mit Ultraschall (Bild: Dr. Dreyer)

 

An Aluminium wurden mit derartigen Elektroden Versuche durchgeführt, die im ersten Ansatz erkennen lassen, dass der Grat gut und die Gratwurzel nur sehr bedingt entfernt werden kann. Vergleichbare Ergebnisse wurden bei Zinkdruckguss erzielt. Als Vorteil zeigt sich, dass die Kanten dabei nicht beeinflusst das heißt verrundet werden. Je nach Geometrie der Sonotrode lassen sich Bohrungen mit selbem Ergebnis bearbeiten. An Messingbauteilen kann gezeigt werden, dass neben dem Entgraten auch eine Reinigung der Oberfläche auftritt.

Ähnlich gut sind die Ergebnisse bei Kunststoff, trotz der Tatsache, dass der Werkstoff elastischer als Metall ist. Das Verfahren kann unter Einsatz entsprechender Einrichtungen gut automatisiert werden, wodurch der wichtige Abstand zwischen Sonode und Kunststoffoberfläche als wichtige Prozessgröße gut eingehalten werden kann. In der Entwicklung ist derzeit noch die Verbesserung der Standzeit der Elektroden, da diese ähnlich wie die Werkstückoberfläche belastet werden. Inzwischen laufen erste Umsetzungsprojekte in der Industrie.

Robotereinsatz

Carsten Krewet befasst sich mit der robotergesteuerten Nachbearbeitung von Gussteilen zum Entfernen von Graten. Wie er einführend betonte, erfordert die Durchführung derartiger Nacharbeiten ein sicheres Erkennen von Unzulänglichkeiten als Auslöser für die Bearbeitung. Zu diesem Zweck kommt optische Messtechnik zum Einsatz, die speziell auf Abweichungen von Sollzustand ausgelegt ist. Darüber hinaus ist bei diesen Arbeitsgängen die Einhaltung einer vorgegebenen Taktzeit essentiell. Als typische Nachbearbeitungsverfahren werden Fräsen, Trennen, Schleifen und Entgraten betrachtet. Beim Entgraten lassen sich unter anderem Werkzeugarten oder Werkzeugführungen einsetzen, die die Notwendigkeit zur begleitenden visuelle Kontrolle über automatisierte Systeme reduzieren.

Verschleißteilwechsel im laufenden Betrieb (Bild: C. Krewet)

 

An einem Praxisbeispiel bei Heidenreich & Harbeck zeigte der Vortragende an Gußteilen die Arbeitsweise eines Robotersystems. Das seit 2014 in Betrieb befindliche System wird kontinuierlich auf Grund der gewonnenen Erfahrungen erweitert. Ein entscheidendes Kennzeichen der Teile ist, dass die vorliegenden Gussgrate nicht definiert sind, das System also selbsttätig über die Bearbeitung entscheiden muss. Als Bearbeitungswerkzeugen stehen Werkzeuge für das Putzen, Trennen und Schleifen zur Verfügung.

Inline-Vermessung von Präzisionsoberflächen

Für das Entgraten von Teilen erfordert die Bearbeitung neben der eigentlich Entgrataufgabe eine geeignete Methoden zur Prüfung der durchgeführten Entgratung auf ihre Qualität. Für diese Aufgabe stellte Dr. Markus Fratz, Fraunhofer IPM, die 3D-Holographie vor, für die reflektierte Lichtwellen zur Gewinnung der Oberflächentopographie verwendet werden. Die Messung erfolgt mit einzelnen Wellen, wobei nur Höhenunterschiede von l/2 bei ebenen Flächen zugänglich sind. Dieser Nachteil wird durch Einsatz von zwei unterschiedlichen Wellenlängen beseitigt. Damit lassen sich Messbereiche axial bis 10 mm mit Mikrometergenauigkeit erreichen. Im allgemeinen werden derzeit Sensoren mit einem Bildfeld von 20 mm Durchmesser, einer axialen Auflösung von unter 1 µm und Messzeiten von 60 ms sowie 150 ms Auswertezeit benötigt (9 Mio. Messpunkte). Die Streuung der Messwerte an einem Kalibrierbauteil liegen deutlich unter 1 µm.

Teilungsgrat mit Fehler als Beispiel für die Mess- und Darstellungsmöglichkeiten (Bild: Dr. M. Fratz)

 

Gute Ergebnisse werden an flachen Teilen ebenso wie an stark strukturierten Oberflächen (z.B. Leiterplatte) erhalten. Neben Oberflächenrauheiten lassen sich auch Geometriekenngrößen (z.B. Winkel) mit gleicher Genauigkeit erfassen. Neu ist die Verwendung von grünen anstelle von roten Lasern zur Verbesserung der Genauigkeit. Damit sind derzeit Stufenhöhen von 2 µm oder Kratzer mit Tiefen von etwa 2 µm gut erkennbar. Die besonderen Vorteile der Technologie sind die hohe Messgeschwindigkeit (100 Mio. 3D-Punkte pro Sekunde), die hohe Genauigkeit und sehr gute Integrierbarkeit in bestehende mechanische Fertigungen.

Kanten und Oberflächen messen

Bernhard Heneka, RJL Micro & Analytic GmbH, gab einen Einblick in das Vermessen von Kanten und Oberflächen mittels Micro-Computertomographie, Rasterelektronenmikroskop und Ramannmikroskopie. Für die Mikro-CT werden in Schritten von etwa 1° mehr als 400 Bilder aufgenommen und mittels Software verarbeitet. Die Aufnahmedauer hängt stark von der Dichte der zu messenden Werkstoffe ab. Das Verfahren scheitert dann, wenn die Absorption zu klein oder zu groß wird. Vorteil des Verfahrens ist, dass beliebige Schnitte oder Ansichten des Inneren eines Teils darstellbar sind, also beispielsweise der Anteil an Poren oder Rissen in einem Material.

Kunststoffteil mit Graten bei der Analyse mittels Mikro-CT (Bild: B. Heneka)

 

Das REM erlaubt die Darstellung von Oberflächen in hoher Tiefenschärfe und in Kombination mit EDX die Analyse der vorhandenen Stoffe. Dabei lassen sich auch Partikel im Bereich ab einigen 10 nm Durchmesser auflösen. Nachteilig ist, dass die maximalen Probengrößen bei wenigen 10 cm liegen.

Bei der Verwendung der Raman-Laser-Lichtmikroskopie werden die sogenannten Raman-Streuung bei organischen Molekülen ausgewertet, wodurch die Technologie also beispielsweise für die Analyse von und an Kunststoffen geeignet ist. Des Weiteren lassen sich organische Verunreinigungen (Öl, Waschmittel) auf Probenoberflächen erkennen und identifizieren.

Lasermesssystem für Inline-Inspektion

Das Lasermesssystem zur inline-Messung, vorgestellt von Gerhard Waldemar, QSO Interferometer Systems AB, wurde im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts über das automatisierte Polieren entwickelt. Hauptmotivation für das automatisierte Polieren ist die zu erwartende Kosten- und Zeiteinsparung in der Größenordnung von 70 % bis 80 %. Basis der neuen Messtechnologie ist die Laserlichtstreuung, die mit statistischen Verfahren verarbeitet wird. Das System zeichnet sich durch eine hohe Messgeschwindigkeit und hohe Robustheit aus. Dadurch ist die erforderliche schnelle inline-Messung möglich. Mit der Technologie werden statistische Werte für Glanz und Welligkeit sowie der Strukturen und deren Richtung erzeugt - damit ist eine Zuordnung zu den üblichen Angaben der Rauheit möglich. Der Messwert Rq liegt damit im Bereich zwischen 10 nm und 350 nm. Die Tauglichkeit zur Inline-Messung begründet sich in den kurzen Messzeiten von 1 ms.

Beispiele für die mit einer Messung erfassbaren Oberflächenqualität (Bild: G. Waldemar)

 

In einer Untersuchung mit dem System konnte gezeigt werden, dass von ursprünglich fünf Polierschritten zwei entfallen können, da damit nur die Richtung der Polierriefen verändert, die Rauheit aber nicht verbessert wird.

Vorteile der Technologie ist die Tatsache, dass es sich um eine objektive Messung handelt, der Bearbeitungsprozess schnell optimiert werden kann oder auch Schritte ohne messbaren Effekt entfallen können, vor allem aber das Erzeugen von Produktionsausschuss drastisch reduziert wird.

wird fortgesetzt

 

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