Neue Chromstähle für Hochtemperaturanwendungen

Werkstoffe 03. 02. 2017
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– höhere Beständigkeit unter chemischen und mechanischen Belastungen

Als wichtigster Industriewerkstoff ist Stahl mit mehr als 2500 Sorten hoch spezialisiert für unterschiedliche Anwendungen. Kleinste­ Änderungen der Zusammensetzung können das Materialgefüge auf atomarer Skala ändern und das Materialverhalten im Großen verbessern. Das Konsortium des EU-Projekts Z-Ultra unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM entwickelte neue 12-%-Chrom-Stähle für Hochtemperaturanwendungen, die bis zu 30 % fester als herkömmliche 9-%-Chrom-Stähle sind und im Kraftwerk längere Zeit höheren Temperaturen und Drücke widerstehen. Atomistische Simulationsmethoden unterstützten die Stahl-Entwickler dabei, die Legierungen zielgerichtet zu entwickeln.

Höhere Betriebstemperaturen in Gas- und Kohlekraftwerken bedeuten höhere Wirkungsgrade und damit weniger Ausstoß an Kohlenstoffdioxid (CO2) pro Kilowattstunde Strom. Der Temperaturerhöhung sind jedoch von Natur aus Grenzen gesetzt. Die in Kraftwerken eingesetzten Werkstoffe, in der Regel Stähle, verlieren mit steigender Temperatur ihre Festigkeit und halten den in Turbinen und Rohrleitungen herrschenden Belastungen nicht mehr stand. Zudem nimmt die Korrosion mit steigender Temperatur deutlich zu. Generationen von Ingenieurinnen und Ingenieuren arbeiteten deshalb an der weiteren Verbesserung der Stähle, sodass mit den heutigen 9-%-Chrom-Stählen Betriebstemperaturen von 615 °C möglich sind gegenüber maximal 300 °C vor 100 Jahren.

Mehr Chrom im Stahl hat Vor- und Nachteile

Um die Betriebstemperatur weiter zu steigern, ist ein höherer Chromgehalt im Stahl erforderlich. Das Element Chrom hat die angenehme Eigenschaft, eine schützende Chromoxidschicht auf der Stahloberfläche zu bilden und das umso wirkungsvoller, je höher der Chromgehalt ist. Der dadurch verbesserte Korrosionsschutz erlaubt nicht nur höhere Temperaturen, sondern auch den Einsatz von biologischen Abfällen und anderen erneuerbaren Brennstoffen, deren Verbrennungsprodukte sehr aggressiv sein können. Nun gibt es aber leider einen Pferdefuß, der die Nutzung höherer Chromgehalte bisher verhindert hat: Die bemerkenswerte Festigkeit der derzeit besten warmfesten Stähle beruht nämlich auf fein verteilten Nitridteilchen, wie Prof. Dr. Hermann Riedel, Projektleiter am Fraunhofer-IWM erklärt. Chromatome können bei den Betriebstemperaturen in diese Teilchen einwandern und sie damit in die sogenannte Z-Phase umwandeln. Auf Kosten der feinen Nitride entstehen dann grobe Z-Phasenteilchen, die für die Festigkeit nutzlos sind. In den derzeitigen 9-%-Chromstählen dauert diese unerwünschte Umwandlung laut Riedel Jahrzehnte, während sie bei 12 % Chromgehalt schon in einem Jahr zu einem nicht tolerierbaren Festigkeitsabfall führt. Deshalb sind die 12-%-Chromstähle bisher nicht in Kraftwerken einsetzbar, da diese ja für eine Lebensdauer von mehr als zehn Jahre ausgelegt werden.

Z-Phase als Stabilisator nutzen

Die IWM-Forscher haben sich im Projekt Z-Ultra nach Aussage von Riedel das Ziel gesetzt, die grobkörnige, spröde Z-Phase in ihrem Wachstum so zu beeinflussen, dass sie nicht mehr schädlich ist, sondern den Stahl im Gegenteil stabiler macht. Dazu wurden Legierungszusammensetzungen und Herstellungsverfahren gesucht und gefunden, welche die Z-Phase sehr fein im Stahl verteilt – das führt zu einer langfristig stabilen Teilchenstruktur, so der Physiker. Die besten der sieben im Projekt neu entwickelten Legierungen sind rund 30 % fester als die herkömmlichen 9-%-Chromstähle, haben eine zehnmal höhere Lebensdauer unter gleichen Belastungsbedingungen und ihre Korrosionsfestigkeit ist erheblich besser.

Rohre aus den neuen Werkstoffen wurden unter Bedingungen getestet, die denen im Überhitzer eines Kraftwerkswärmetauschers nahekommen: heißer Wasserdampf im Inneren und korrosive Verbrennungsgase und Aschepartikel an der Außenseite. Die Versuche zeigten, dass das Korrosionsverhalten der Werkstoffe bis 647 °C immer noch sehr gut war. Die schützenden Oxidschichten waren gleichmäßig gewachsen – auf der Außenseite dicker als auf der Innenseite. Einige Rohre wurden auch im echten Kraftwerksbetrieb getestet. Sie wurden inzwischen entnommen, untersucht und erneut für Langzeittests in ein Kohlekraftwerk eingesetzt.

Um die Praxistauglichkeit zu zeigen, hat der beteiligte Stahlhersteller nach den Worten von Riedel ein großes, zwölf Tonnen schweres Schmiedestück angefertigt, denn nicht allein die chemische Zusammensetzung des Stahls sei für die Werkstoffeigenschaften verantwortlich, sondern auch der Herstellungsprozess, insbesondere die Wärmebehandlung. Schließlich ist es wichtig, dass die herausragenden Materialeigenschaften beim Schweißen der Rohrleitungen und anderer Kraftwerksteile erhalten bleiben. Ein Schwerpunkt im Projekt war deshalb die Entwicklung von geeigneten Schweißverfahren, bis hin zu Ringen aus dem großen Schmiedeteil als Modell für geschweißte Turbinenrotoren.

Simulations-Tools für zielgerichtete Legierungsentwicklung

Bei der Entwicklung der genauen Zusammensetzung der neuen Stähle und den Parametern für den Schmiedeprozess ließen­ sich die Stahlentwickler kontinuierlich von atomistischen Simulationen leiten. Um die Materialentwicklung durch den Einsatz von numerischen Simulationsmethoden zu beschleunigen, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer-IWM mit atomistischen und thermodynamischen Simulationen Fragen wie die Art und Weise der Bildung der Z-Phase oder den während der Herstellung und später im Betrieb auf atomarer Skala ablaufenden Vorgänge. Sie untersuchten gezielt das Verhalten und den Einfluss der unterschiedlichen Legierungsbestandteile und optimierten die atomare Zusammensetzung der Legierung. Mit den Ergebnissen lässt sich zum Beispiel sagen, bei welchem Gehalt an Kohlenstoff, Stickstoff, Niob oder Tantal der Prozess der Z-Phasenumwandlung am schnellsten oder am langsamsten­ vonstattengeht. Atomistische Simu­lationen trugen so maßgeblich dazu bei, die einzelnen Schritte in diesem komplexen Umwandlungsprozess zu identifizieren und deren gegenseitige Abhängigkeiten und Beeinflussung zu verstehen.

An dem EU-geförderten Projekt Z-Ultra beteiligten sich unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM sechs weitere Forschungsinstitute sowie je ein Stahlhersteller, ein Kraftwerksbetreiber und eine Ingenieur-Beratungsfirma aus der EU und aus den östlichen Partnerländern Ukraine, Georgien und Armenien.

 

Schritte bei der Z-Phasenbildung: Einzelne Chromatome (Cr) aus der Eisenmatrix (Fe) (links) diffundieren in Metallnitridteilchen hinein, bilden flache Cluster (Mitte) und diese wachsen zu periodischen Schichten (rechts) (© Fraunhofer-IWM)

 

Titelbild: Im Projekt Z-Ultra wurde ein 12-Tonnen-Schmiede­stück als Demonstrator hergestellt© Saarstahl

 

 

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