Der Alterung von Werkstoffen auf der Spur

Werkstoffe 09. 09. 2016

Zahlreiche Interessenten beim ABC-Workshop des NMI in Reutlingen

Das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut (NMI) an der Universität Tübingen betreibt anwendungsorientierte Forschung an der Schnittstelle von Bio- und Materialwissenschaften. Mit seinen Kompetenzen in der Mikro-, Nano- und Oberflächentechnologie unterstützt es Kunden mit werkstoff- und fertigungsorientierten Fragestellungen. Der im Rahmen des NMI-Innovationsforums stattfindende ABC-Workshop befasste sich in diesem Jahr mit der Alterung von Werkstoffen durch thermische und mechanische Belastung, Korrosion, Strahlung und weiteren Umwelteinflüssen. Gemäß den Schwerpunkten des Workshops – Analyse (A: Analytics), Klebetechnik (B: Bonding) und Beschichten (C: Coating) – standen Vorträge zur Untersuchung von Klebverbindungen sowie der Beschichtung von Werkstoffen im Vordergrund.

Das NMI kann hier auf ein breites Spektrum an hochauflösenden Untersuchungsmethoden zurückgreifen, um die Mechanismen bei Haftung, Verschleiß oder Korrosion detailliert zu untersuchen. Die Verfahren tragen darüber hinaus stark zum Verständnis von Verbindungen durch Kleben bei. Kleben erfährt beispielsweise im Fahrzeug- und Flugzeugbau ein immer größeres Interesse, weshalb sich das NMI hier mit hoher fachlicher Kapazität der Entwicklung neuer Verfahren widmet. Im Bereich der Beschichtung arbeiten die Experten des NMI mit umweltfreundlichen Verfahren daran, Werkstoffe gegen Korrosion zu schützen, aber auch optimale Oberflächen für Klebeverbindungen zu schaffen.

Auf dem ABC-Workshop wurden Entwicklungsarbeiten, oftmals mit Partnern aus der Industrie, vorgestellt. Dazu konnte Alfred Stett im Namen der Institutsleitung wieder zahlreiche Interessenten aus allen Industriebereichen begrüßen.

Alterung von Werkstoffen

Eröffnet wurde die Reihe der Fachvorträge durch Sebastian Wagner, der sich mit den Herausforderungen in der Produktentwicklung durch die Alterung von Werkstoffen auseinandersetzte. Dabei zählen Korrosion und Verschleiß zu den häufigsten Beanspruchungsformen der Praxis, die bei Metallen ebenso zu finden sind, wie bei Polymeren. Er wies einleitend darauf hin, dass wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Zerstörung der Werkstoffe es erfordern, die Beanspruchungsauswirkungen detailliert zu kennen. Je nach Zusammensetzung des Beanspruchungskollektivs aus Werkstoff, Wirkmedium und Rahmenparametern kann es notwendig werden, die Veränderungen bei den Werkstoffen bis in den Nano­meterbereich zu beobachten.

Am Beispiel einer tribologischen Beanspruchung zeigte Sebastian Wagner die in Betracht zu ziehenden Einflussbereiche auf. So spielen unter anderem die kristallographischen Veränderungen der Werkstoffe im Oberflächenbereich durch mechanische Bearbeitung oder die Bildung von Deckschichten während der Be- und Verarbeitung eine Rolle. Des Weiteren können sich unter der Oberfläche befindliche Strukturen wie Risse oder Lunker auswirken. Um diese unterschiedlichen Erscheinungsformen detailliert zu untersuchen, empfiehlt sich die Nutzung der Verfahren vom metallographischen Schliff über REM-EDX-Analysen bis hin zum Einsatz von FTIR.

Insbesondere im Bereich der Medizintechnik haben sich spezielle polymere Schichten, wie zum Beispiel Parylen oder Hartstoffschichten wie DLC, bewährt. Sie sind vollständig biokompatibel, was für Geräte und Einrichtungen im medizinischen Bereich Grundvoraussetzung ist.

Alterung von Elastomeren

Elastische Materialien kommen in großem Umfang in Form von Dichtungen in unterschiedlicher Ausführung zum Einsatz. Ihnen kommt die Aufgabe zu, Funktion über die gesamte Lebensdauer von Systemen zu gewährleisten oder beispielsweise Bauteile vor Beschädigungen zu schützen. Dr.-Ing. Kurt Marchetti gab einen Einblick in das Alterungsverhalten von Elastomeren, wie es sich in der Praxis darstellt. Die Schädigungen der elastischen Werkstoffe zeigen sich in unterschiedlicher Weise, wie Aufquellen, Schrumpfen, Verfärben oder der Bildung von Rissen. Darüber hinaus ändern sich je nach Art des Kunststoffs und der einwirkenden Größen die Härte beziehungsweise die Elastizität.

Wichtige Gründe für die Alterung sind vor allem Einwirkungen von Licht und Sauerstoff oder sonstige reaktive Gase, aber auch Schwermetalle. Diese verändern den chemischen Aufbau der Elastomere insbesondere die vorhandenen Vernetzungen zwischen den organischen Molekülketten.

Um die Beständigkeit zu ermitteln, stehen verschiedene Prüfverfahren zur Auswahl, die sich mit den üblichen Schadensmerkmalen beziehungsweise den Ursachen zu deren Auftreten befassen. Wichtige Kenngrößen sind die Rissbildung, das Quellen oder Schrumpfen sowie die Härte der Elastomere. Der Vortragende wies darauf hin, dass der Vergleich zwischen Prüfung und dem Verhalten im Feld jedoch relativ problematisch ist, da im praktischen Einsatz meist unterschiedliche Belastungen mit nur sehr schwer eingrenzbarer Dauer und Intensität auftreten. Darüber hinaus kommen in der Praxis in der Regel beliebige Mischungen von Belastungen vor, die eine Vorhersage über die mögliche Einsatzdauer mit hohen Schwankungen belegen.

Verschleißschutzschichten

Besonders für spanabtragende Werkzeuge werden heute in breitem Umfang Hartstoffschichten eingesetzt. Wie Dr. Wolfgang Engelhart betonte, spielt zur Auswahl und Weiterentwicklung die Charakterisierung der Schichten eine wichtige Rolle, um für unterschiedliche Anforderungen, auf verschiedenen Grundwerkstoffen und Werkzeuggeometrien aus den möglichen Abscheidetechnologien die geeignetsten Verfahren auswählen zu können.

Als Abscheideverfahren sind derzeit vor allem die PVD-Technologien wie Magnetronsputtern oder HiPIMS und die CVD-Verfahren relevant. Die bei relativ hohen Temperaturen von etwa 1000 °C arbeitenden CVD-Technologien ergeben relativ grobe Strukturen, während diese bei den PVD-Techniken mit Arbeitstemperaturen von etwa 500 °C feinkristalliner Natur sind. Interessant ist die Tatsache, dass die mit verschiedenen Verfahren hergestellten Schichten zwar die selbe Zusammensetzung aufweisen, die Eigenschaften aber deutlich voneinander abweichen können. Dies belegt, dass die kristallinen Parameter vorwiegend vom Verfahren bestimmt werden, oftmals über die Art und Menge der sich bildenden Fehlstellen im Kristallgitter.

Haftschichten auf Edelstahl

Edwin Büchter stellte Arbeiten zur Erzeugung von funktionalen Oberflächen unter Einsatz der Lasertechnik vor. Dabei stand die Haftung von Verklebungen im Vordergrund. Neben der Verbesserung der Haftkraft einer Klebung muss auch die Korrosions­beständigkeit der Oberfläche garantiert werden. Ansatzpunkt für eine diesbezüglich optimale Oberfläche ist die Herstellung einer 1 µm bis 2 µm dicken amorphen, mikro­kistallinen Struktur. Die Schicht ist gegen das Unterwandern weitgehend beständig und erfährt kaum einen Korrosionsangriff. Besonderer Vorteil bei der Behandlung ist, dass die Reinigung der Edelstahloberfläche­ auch zugleich deren Konditionierung bedeutet. Versuche zeigen, dass die Laserbehandlung eine deutliche Verbesserung der Dauerfestigkeit unter der Prämisse der notwendigen Reinigung und Desinfektion zeigt.

Alterungsverhalten – Ursache und Prüfung

Prof. Dr. Andreas Hartwig befasste sich mit den Möglichkeiten, die Qualität von Verklebungen zu charakterisieren und daraus Verfahren zur Beschleunigung der Einwirkung von Belastungen während der Lebens­dauer zu entwickeln. Während die Temperatur bei vielen Werkstoffen eine gute Möglichkeit ist, die Belastung mit deren Einwirkung auf Systeme zu beschleunigen, kann dies für organische Systeme wie Klebstoffe­ nur bedingt genutzt werden. Dies liegt an den sich ändernden Reaktionsarten bei der Erhöhung der Temperatur. So tritt mit Steigerung der Temperatur ab bestimmten Werten Hydrolyse auf, in deren Folge­ die Haftung zwischen Untergrund und Klebstoff verloren gehen kann. Kritisch und schwer zu fassen sind Wechselbelastungen. Zur Entwicklung von Klebstoffen ist es nach Aussage von Dr. Hartwig notwendig, dass allgemein übliche Handlungsanleitungen für Klebstoffe­ festgelegt werden, wie sie beispielsweise in Form der DIN 2304 erarbeitet werden.

Prüfmethoden für Umweltsimulationen

Mit der Qualifizierung von Klebeverbindungen im Automobilbau beschäftigte sich Heiko Walter. Für den Automobilbau muss die neue Technologie der Klebeverbindungen den selben Bedingungen in der Entwicklung, Produktion und insbesondere der Gewährleistung unterworfen werden, wie die bisherigen Verbindungstechniken, beispielsweise durch Schweißen oder Schrauben. Eine große Herausforderung liegt darin, eine beschleunigte Prüfmethode mit zuverlässiger Aussagekraft verfügbar zu machen. Dazu ist in der Regel eine Anpassung von Verfahren wie der Salzspühnebelprüfung gemäß DIN EN ISO 9227 oder dem Einfluss der Sonneneinstrahlung (DIN 75220) erforderlich.

Lebensdauerbetrachtungen

Dr. Claudia Stern informierte die Teilnehmer über Lebensdauerbetrachtungen von Fluorpolymeren, den unter dem Begriff PTFE zusammengefassten Werkstoffen. PTFE hat im Anlagenbau vor allem zur Auskleidung von Behältern weite Verbreitung gefunden. Aufgrund der guten Beständigkeit gegen UV-Strahlung und Witterungseinflüssen eignet sich die Werkstoffgruppe auch für den Einsatz als Textilien in der ­Architektur oder auch im Fahrzeugbau.

Bisherigen Erfahrungen zufolge sind für diese Anwendungen Lebensdauern von bis zu 30 Jahren zu erwarten, was für die ­Architektur erforderlich ist. Für den Einsatz in Fahrzeugen spricht die gute Temperaturbeständigkeit, woraus sich die Bemühungen zum Einsatz als Dichtwerkstoff herleiten. Weitere Ansätze sind der Einsatz in Hochdruckpumpen und Hochdruckeinspritzventilen moderner Dieselmotoren als Direkteinspritzsysteme. Hier müssen Drücke bis 200 bar bewältigt und die sichere Trennung zwischen Kraftstoff und Motoröl gewährleistet werden.

Korrosionsschutz

Im letzten Beitrag des Workshops behandelte Thomas Merkle den Korrosionsschutz­ an Pumpen und Schwimmbadeinrichtungen­ für Solebäder. Auch wenn nichtrostende Stähle aufgrund ihres hohen Chromgehalts von circa zehn Prozent korrosionsgeschützt sind, reicht dieser Schutz bei Einwirkung von hochaggressiven Medien, wie sie beispielsweise in Soleschwimmbädern vorliegen, nicht aus. Nichtrostender Stahl zeigt dort Lochfraß.

Entwicklungsarbeiten haben hierfür Lösungen erbracht, die zunächst konstruktive Anpassungen sowie Änderungen bei den Fertigungsverfahren zur Herstellung der verschiedenen metallischen Komponenten beinhalteten. Des Weiteren wurden unterschiedliche Behandlungsverfahren nach Fertigstellung der Metallkomponenten sowie Beschichtungsmethoden untersucht. Gute Ergebnisse werden durch den Einsatz der Plasmareinigung sowie der nachfolgenden Beschichtung mit transparenten Schichten aus Aluminiumoxid in Kombination mit Parylene C als Deckschicht beziehungsweise mit DLC und Parylene C erzielt.

Fazit

Der regelmäßig stattfindende ABC-Workshop am NMI in Reutlingen zeigte auch in diesem Jahr wieder die Vielfalt der Oberflächenverfahren zur Analyse oder Modifikation der Werkstoffe auf, die in jedem Bereich unserer heutigen Fertigungsprozesse stets Neuerungen und Verbesserungen der Produkte in Aussicht stellen. Besonders zu betonen ist die Tatsache, dass der fachübergreifende Wissenstransfer eines der wichtigsten Schlüsselelemente des technischen Fortschritts ist – Verbesserungen bei Produktionsprozessen in der Medizintechnik sind immer auch interessante Ansatzpunkte für Verbesserungsmöglichkeiten in Bereichen wie dem Fahrzeugbau oder der Anlagentechnik. Dafür bietet das NMI ein gutes Beispiel. Charlotte Schade

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