Deutschland ist Impulsgeber für Leichtbautechnologien und hybride Materialkonzepte im Automobilbau. Mit erheblichen Investitionen wird global ein massiver Wettbewerb aufgebaut. Um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, ist der Blick über den Tellerrand notwendig. Der Weg dorthin führt über Wissenstransfer und handfeste Kooperationen zwischen deutschen und internationalen Partnern. Sich nicht zu öffnen führt in die Sackgasse. Er darf jedoch nicht um jeden Preis beschritten werden. Was zu tun ist, wie Nach- wuchs- und Technologieförderung in die Köpfe kommen und intern Veränderungen angestoßen werden können, darüber diskutierten Experten beim 6. VDI-Leichtbaukongress am 5. und 6. Juli 2016 in Bremen.
Der Automobilmarkt ist in Bewegung. Aktuell tauchen in den USA Namen auf wie Tesla, Google sowie zahlreiche Startups, die den Automobilmarkt beleben. Insbesondere im Bereich der E-Mobilität tut sich viel: in China, Japan, Korea und in den USA. Die US-Regierung startete im Jahr 2012 große Förderprogramme für Technologieentwicklungen im Bereich Leichtbau. Sie geben ein rasantes Tempo vor. Aber nicht nur dort. Auch in China beispielsweise ist die Zahl der C-Faser-Lieferanten in kurzer Zeit auf 64 gestiegen. Deutsche Institute und Universitäten schließen fokussiert Kooperationen und Projektverträge mit Universitäten in Asien und Osteuropa ab.
Folgende Fragen drängen sich bei näherer Betrachtung auf: Ist die Bereitschaft der deutschen Industrie und Politik gesunken, im eigenen Land Technologien und Forschungsprojekte zu fördern? Wie groß ist die Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen und von anderen Playern beziehungsweise Ländern zu lernen? Wird es Deutschland gelingen, die lange Zeit beschworene Technologievorherrschaft insbesondere im Automobilbau zu halten? Was ist zu tun, um den Automobilstandort Deutschland attraktiv und innovativ zu halten?
Diesen Fragen gingen auf einer Panel-Diskussion zum Thema Inside out – Outside View for Insight – Wettbewerb der Kontinente: Durchbruch oder Stagnation? Experten der Leichtbau-Community jetzt nach. Die Runde moderierten Heinrich Timm, langjähriger Leiter des Audi Leichtbauzentrums, Inhaber zahlreicher Patente und Vorstandsmitglied des Carbon Composites e. V. (CCeV), und Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW, einer Agentur zur Technologieförderung des Landes Baden-Württemberg.
Wende den Blick nach außen, um richtige Schlüsse und Strategien zu entwickeln
Von der US-amerikanischen Industrie lässt sich nach Überzeugung von Prof. Dr. Volker Schindler von der TU Berlin lernen. Man arbeite schnell, flexibel und weniger starr oder bürokratisch. Die Frage sei, ob die europäischen OEMs ausreichend strategisch darauf reagierten. Hier sei noch einiges zu tun, äußert sich der langjährige Leiter des Fachgebiets Kraftfahrzeuge.
Auch der Blick nach China und Asien zeigt, wie Ideen durch Startups wie Pilze aus dem Boden schießen. Haben die deutschen OEMs eine Chance, bei diesem Tempo mitzuhalten? Was ist mit E-Fahrzeugen in modernster Leichtbautechnologie? Prof. Dr. Klaus Drechsler von der TU München, CFK- und Luftfahrtexperte, sieht für deutsche Universitäten in internationalen Kooperationen eine große Chance, um den Anschluss an diese Entwicklungen zu behalten. Gleichwohl bergen sie Risiken. Wissenstransfer und -abzug von jungen Talenten beziehungsweise Ideen müssten in beide Richtungen wohl überlegt und strategisch im Blick behalten werden.
Produkt- und Produktionsstrategie müssen im globalen Wettbewerb aufeinander abgestimmt werden
Neue Technologien müssen nach Ansicht von Dr. Karl-Heinz Füller von Daimler, als Vertretung für Peter Froeschle, Forschungsfabrik ARENA 2036, zukünftig global verfügbar sein. Die steigende Komplexität durch weltweite Produktion, Variantenbildung und alternative Antriebe erfordere eine effiziente Vorgehensweise und schnelle Standardisierung bei der Einführung von neuen Technologien. Bei den Leichtbautechnologien spielten dabei immer mehr die Wirtschaftlichkeit und Fabrikintegration eine entscheidende Rolle. Schlussendlich müsse sich die Wirksamkeit jeder Leichtbaumaßnahme gegenüber anderen Technologien im Fahrzeugbau behaupten. Den Vorzug für eine bestimmte Materialklasse gebe es dabei nicht. Alle Materialien stünden im Wettbewerb und würden für jedes Produkt auf Basis einer Gesamtbewertung ausgewählt. Deshalb werde in der ARENA 2036 auch der hybride Leichtbau in Verbindung mit neuen Produktionskonzepten verfolgt.
Aluminium gilt in der Automobilindustrie nach wie vor als eines der wichtigsten Leichtbaumaterialien. Um das Potenzial dieser Technologie effektiv zu nutzen, bedarf es materialgerechter Konzepte, wie beispielsweise dem Aluminium Space Frame (ASF). Hier wird das Spektrum alternativer Halbzeuge zur Funktionserfüllung genutzt. Mit Ausnahme von Firmen wie Trimet verweigern jedoch große Aluminiumkonzerne den OEMs die notwendige Halbzeugpalette. Die Aluminiumindustrie ist nach Meinung von Dr. Martin Iffert, Vorsitzender des Vorstands bei Trimet und gefragter Ansprechpartner des Wirtschaftsministeriums zur Innovation der Aluminiumindustrie, gefordert, mehr Lösungen anzubieten. Ansonsten sei die Gefahr groß, dass alternative Leichtbautechnologien den möglichen Platz von Aluminium in Fahrzeugen einnehmen. Dabei liege in der materialgerechten Anwendung von Aluminium echtes Leichtbaupotenzial, das es zu heben gelte.
Ähnlich bewertet Dr. Andreas Hennings von Nemak diese Entwicklung, weltweiter Spezialist für die Herstellung von komplexen Hightech-Aluminium-Gussbauteilen. Dass es gelingt neue Wege zu gehen, hat das Unternehmen unter Beweis gestellt. Mit dem neuen Geschäftsfeld für dünnwandigen duktilen Karosserie-Strukturguss ist Nemak erfolgreich. Für Hennings stellt sich stets die Frage, ob OEM-Partner auch bereit sind, sich auf neue Technologien einzulassen. Hennings sieht nicht nur die OEMs in einer Bringschuld, sondern fordert insgesamt, die Hausaufgaben in den Unterneh- men zu machen. Talententwicklung, kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie nachhaltiges Wachstum seien unerlässlich, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Die Einführung von modularen Plattform-Strategien im VW-Konzern hat zu erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen geführt. Allerdings wurde darin auch lange Zeit eine große Hürde gesehen. Flexibel auf neue Technologien zu reagieren ist schwierig. Audi hat es verstanden, dieses Dilemma zu lösen. Wir haben die Chance genutzt, um gleichzeitig in die Weiterentwicklung von hybriden Mischbauweisen neben Funktions-, Fertigungs-, und Leichtbaupotenzialen zu investieren, sagt Werner Holl, Leiter Karosseriekonzepte und Leichtbautechnologien bei Audi.
Veränderungen sind notwendig und erfordern mutiges Handeln
Die Panel-Teilnehmer sind allesamt davon überzeugt, dass der Automobilstandort Deutschland auf der Hut sein sollte. Prof. Schindler wünscht sich, sich mehr von der amerikanischen Innovationsdynamik anstecken zu lassen. Erfinder wie Elon Musk faszinieren. Prof. Drechsler sieht bei der Materialentwicklung der CFK-Composites noch reichlich Potenzial. Wenn die deutschen OEMs hier nicht am Ball blieben, ähnlich wie die Luftfahrt, und offen seien für Kooperationen mit beispielsweise asiatischen Partnern, werde es eng.
Notwendige Veränderungen auf dem Weg zu Innovationen sieht Dr. Iffert darin, die Energie- und Industriepolitik zum Nutzen der Energiewende zu verkoppeln. Wir arbeiten daran, die Aluminiumproduktion zum Nutzen der Energiewende zu flexibilisieren und nachhaltig zu gestalten. Mit solchen Innovationen werde es möglich, Aluminiumleichtbau flächendeckend und substanziell auch in der Großserie zu etablieren. Um dies nicht nur auf Karosserieanbauteile zu beschränken, sind nach Meinung von Dr. Hennings Know-how und Kapazität für Strukturgussbauteile erheblich auszubauen.
Die E-Mobilität und das autonome Fahren werden nach Ansicht von Dr. Füller den deutschen und europäischen Automobilmarkt und damit den zukünftigen Technologiebedarf in den nächsten Jahren nachhaltig verändern. Es bleibt spannend, welche neuen Player sich am Markt etablieren werden. Leichtbau wird hier zum herausfordernden Widerspruch. Leider werden beide Trends nach Aussage von Werner Holl zusätzliche Masse in die Fahrzeuge bringen und die Tragfähigkeit etlicher Bauteile, wie zum Beispiel die Reifentraglast, an ihre Grenzen führen. Für eine nachhaltige Mobilität bleibe der Leichtbaubedarf trotz oft gegenteilig diskutierter Meinungen von größter Bedeutung.
Ein tiefgreifender Kulturwandel ist angesagt
Als Fazit halten Heinrich Timm und Dr. Wolfgang Seeliger fest: Statt Angst vor Risiken mit Neuem, muss dringend Mut und Verantwortung zur Realisierung der Chancen mit Neuem in die Köpfe des Managements deutscher Konzerne.
Wer den globalen Wettbewerb fest im Blick behält und daraus resultierende notwendige strategische Veränderungen entwickelt, kann Technologieführerschaft erlangen und behalten. Materialkonzerne, die im Wettbewerb der Technologien aufgeschlossen handeln, sind Mitgestalter der Zukunft. Die Voraussetzungen für den Erfolg sind: Verantwortung, Intelligenz und Mut.
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