Maßgeschneidert zum künstlichen Fingerdruck

Werkstoffe 06. 11. 2015
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Hautoberfläche, Handschweiß, Reibbewegung – mit Tribotouch den Handabrieb auf Oberflächen bis ins kleinste Detail simulieren

Wenn die Oberfläche eines Produkts berührt wird, kommt es zu Reibung. Geschieht dies immer wieder über einen längeren Zeitraum, kann die Oberfläche selbst oder können Beschichtungen sowie Bedruckungen darauf wegen zu hoher tribologischer Belastung angegriffen und beschädigt werden. Das Resultat dieser beschädigten Oberflächen ist eine verminderte Qualitätswahrnehmung eines Produkts. Aus diesem Grund ist es nach Aussage von David Ziltener vom St. Galler Unternehmen Tribotron für viele Produzenten entscheidend, den Handabrieb verstehen und simulieren zu können. Nur so lassen sich nach seiner Erfahrung Produktoberflächen testen und langfristig optimieren.

Seit Ende 2013 arbeitet Ziltener, dessen Unternehmen auf innovative Verfahren für Oberflächen- und Materialprüfung spezialisiert ist, zusammen mit den Vorarlberger Experten von Mäser Technik an der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung einer Maschine, die den Handabrieb bis ins kleinste Detail simuliert. Ein schwieriges Unterfangen, denn der Handabrieb ist ein sehr komplexer chemischer und mechanischer Prozess. Zuallererst führt das Auftreffen des Fingers auf der Oberfläche zu einer lokalen mechanischen Quetschung. Beim Berühren einer Oberfläche erwartet das Gehirn eine Rückmeldung vom Finger. Da unsere Finger auf Reibkräfte sehr empfindsam sind, wird die Rückmeldung der Hand durch eine – wenn auch oft nur kurze – Reibbewegung auf der Oberfläche hervorgerufen. Dabei bewirken die viskoelastischen Materialeigenschaften der menschlichen Hand in Kombination mit der rauen und strukturierten Oberfläche der Haut hohes Abriebpotenzial. Darüber hinaus schaffen Handschweiß oder Handcreme eine aggressive chemische Umgebung.

Wie David Ziltener erläutert, simuliert der Tribotouch diese komplexen mechanischen und chemischen Belastungen des Fingerabriebs unter realen Bedingungen. Oberstes Gebot sind kontrollierte Prüfbedingungen und reproduzierbare Messergebnisse. Die Maschine wurde gemäß zahlreichen internationalen Standards genormt, sowohl im Hinblick auf die Prüfung der Oberfläche, als auch auf die Zusammensetzung von Kunstschweiß, Textilien und anderen Parametern.

Technischer Hintergrund

Bei der Mechanik hinter dem Gerät handelt es sich um einen von einem Linearmotor angetriebenen Kolben, der den menschlichen Finger repräsentiert. Dieser bewegt sich mit einer genormten und definierten Geschwindigkeit und unter einem Winkel von 45° gegenüber der zu testenden Oberfläche. Der künstliche Finger bewegt sich aber nicht nur linear: Ein Gegengewicht erzeugt über die Hebelwirkung den nötigen Druck, um die Reibung des Fingers auf dem Material zu simulieren. Die Fingerkuppe ist aus einem Silikonmaterial hergestellt, das der Viskoelastizität des Fingers sehr nahe kommt. Zwischen Finger und Testobjekt befindet sich ein normierter Stoff aus Baumwollgewebe, der die Struktur der menschlichen Haut simuliert. Der Stoff kann mit Kunstschweiß, Körperölen oder Pflegeprodukten befeuchtet werden, um das Umfeld je nach Bedürfnissen genau simulieren zu können.

 

Grenzüberschreitende Kooperation

Auf dem Weg von der Idee und ersten Skizzen hin zu Konstruktion und Produktion ­eines Prototyps kooperierte Tribotron mit der Vorarlberger Fertiger Mäser Technik. Nach Aussage von Geschäftsführer Christian­ Mäser wurde eine erste Version der Maschine mit Konstrukteur Andreas Huchler konzipiert und die Teile hergestellt.

Die Prüfeinheit – also der künstliche Finger – ist das Herzstück des Geräts. Sowohl für die Konstruktion als auch für die Fertigung war das die größte Herausforderung, so Mäser. Die Prüfeinheit besteht aus acht Aluminiumteilen, in jedem Detail ist höchste­ Genauigkeit gefragt. Dazu wurden die Gelenke definiert, ebenso die Materialien der verschiedenen Trägerbauteile. Jeder bewegte Punkt musste nach den Worten von Christian Mäser in der Entwicklung analysiert werden, weil es um die Präzision der Maschine geht. Für die Bolzen fiel die Entscheidung auf austenitischen Chrom-Nickel-Stahl, Kunststoff-Gleitbuchsen von Igus und Trägerbauteile aus hochfestem Aluminium. Wie Mäser betont, wurde somit eine langlebige und hochwertige Materialpaarung geschaffen; zudem lassen sich die gewählten Materialien einfach und effizient verarbeiten.

Besonderes Augenmerk legte der Fertiger auf den Faktor Nachhaltigkeit. Als erklärter Ökobetrieb setzt die Mäser Technik nicht nur auf Ökostrom, sondern es werden auch die Fertigungsverfahren möglichst ökologisch sowie ressourcen- und materialschonend angewandt. Darüber hinaus werden CO2-neutrale Öle und umweltschonende Kühlschmierstoffe verwendet.

Mit Liebe zum Detail

Nach einer ersten Montage und einer Testphase gingen die Experten an die Feinabstimmung: Anfangs waren weder der Fingerdruck des Kolbens noch das Gewicht der Prüfeinheit optimal. Die Prüfeinheit wurde daraufhin Schritt für Schritt optimiert: Der Grundkörper aus Aluminium wurde anstatt wie bislang aus zwei Teilen nur noch aus einem gefertigt. Das bedeutete einerseits eine kompliziertere Fertigung, andererseits aber auch verbesserte Rigidität, Stabilität und Genauigkeit. Dazu wurde durch Ausnehmungen das Gewicht der Prüfeinheit reduziert und gleichzeitig durch Verstrebungen im Biodesign die Stabilität erhöht. Die Ausnehmungen wurden mithilfe modernster CAM-Programmiertechnik trochoidal gefräst. Wie Mäser erläutert, wird dabei auf OneCNC gesetzt, um den Schritt von der Konstruktion zur Bearbeitung so reibungslos wie möglich zu gehen.

Ausnehmungen und Biodesign-Verstrebungen sorgen für weniger Gewicht und gleichzeitig höhere Rigidität der Prüfeinheit

 

Durch die Gewichtsoptimierung und die verbesserte Rigidität konnte die bestmögliche Genauigkeit der Prüfeinheit und schließlich der perfekte Fingerdruck erreicht werden. Entscheidend in Sachen Fingerdruck war auch eine punktgenaue Abstimmung des Gegengewichts, das durch die Hebelwirkung im Zusammenspiel mit der durch den Längsmotor angetriebenen Bewegung des Bolzens die Reibung auf der Oberfläche generiert.

Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen, betont David Ziltener, umfasste viele Detailbereiche. Mäser Technik fertigte nicht nur alle Teile, sie unterstützte auch beratend im Laufe des ganzen Projekts und war pro-aktiv in der Konstruktion und im Trouble-Shooting. Als zum Beispiel die Silikonteile, die im Tribotouch die Fingerkuppen repräsentieren, nicht in der geeigneten Form zugekauft werden konnten, konstruierte Mäser Technik kurzerhand eine zylinderförmige Gussform aus Aluminium, um die künstlichen Fingerkuppen selber herzustellen. Auf das Flattern und die Instabilität des Baumwollstoffs zwischen Prüfeinheit und zu prüfender Oberfläche wurde mit der Befestigung eines magne­tischen Gegengewichts reagiert.

Vielseitigkeit als Trumpf

Die Fertigung der verschiedenen Teile­ erforderte unterschiedlichste Bearbeitungsmethoden, die alle in den Produktionsräumlichkeiten des österreichischen Unternehmens umgesetzt werden konnten: von der Aluminium- und Chromstahlfertigung, der Dreh- und Fräsbearbeitung, aufwändigen Querbohrungen und der Blechbearbeitung bis hin zum Flachschleifen und Wasserstrahlschneiden. Die Entwicklung eines solchen Prototyps verlangt vom Fertiger ein hohes Maß an Vielseitigkeit und Flexibilität. Die Zusammenarbeit von Entwicklern, Konstrukteuren und Fertigern muss sehr eng sein, um die Produktionsschritte effizient gestalten zu können, wie Christian Mäser ausführt.

Nach intensiven und erfolgreichen Testläufen ist der Tribotouch mittlerweile marktfähig. Gegenüber der Konkurrenz will sich Ziltener vor allem technologisch absetzen:­ Während andere Systeme beispielsweise Pneumatikzylinder einsetzen, wird beim neuen Gerät ein Linearmotor verwendet, um eine präzise Bewegung gemäß allen Normen über die ganze Lebensdauer sicher­zustellen. Dieser topmoderne Linear­motor, die ausgefeilte Konstruktion und die präzise Fertigung aller Teile sind verantwortlich dafür, dass nach Aussage von David Ziltener genaueste und reproduzierbare Messergebnisse garantiert werden können.

Potenziale sieht der Tribotron-Chef viele, und zwar sowohl im In- als auch im Ausland: lackierte Oberflächen bei Küchengeräten, Bedruckungen oder Beschichtungen im Automobilbereich, Computertastaturen, Oberflächen von Telefonen, verschiedenste Schalter – die Qualität und Langlebigkeit von Oberflächen und Beschriftungen ist nach seinen Erfahrungen in zahlreichen Branchen entscheidend.

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