Superhydrophobe Titanoberflächen für Anti-Eis-Anwendungen im Flugzeugbau

Oberflächen 10. 04. 2015
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Von Loreen Wermuth, München

Bei Flugzeugen führen Oberflächen, die das Entstehen von Vereisungen unterdrücken, zu einer deutlichen Steigerung der Sicherheit sowie zu einer Reduzierung der Kosten. Auf Titan können durch Anodisation offenporige Oxidstrukturen erzeugt werden, bei denen die Poren 60 nm bis 70 nm Durchmesser und etwa 650 nm Länge besitzen. Durch eine anschließende organische Beschichtung entstehen superhydrophobe Oberflächen, die zudem ihre Eigenschaften über einen weiteren Temperaturbereich beibehalten. Erste Anwendungen bei Kanten der Tragflächen in Kombination mit einer Heizeinrichtung zeigen vielversprechende Einsatzmöglichkeiten.

Superhydrophobic Titanium Surfaces for Anti-Ice Applications in Aircraft Construction

In aircraft manufacture, use of surfaces with anti-icing (icephobic) properties are valuable in increasing operating safety and cost-reduction. Anodising of titanium creates an open-pored oxide structure, such pores being typically 60 to 70 nm in diameter and some 650 nm deep. After application of a subsequent organic coating, a superhydrophobic surface results capable of retaining this function over a wide range of temperatures. Initial applications have been on the leading edges of wing surfaces combined with integral heating facilities, a combination which appears extremely promising.

Da Fluggesellschaften einem stetig zunehmenden wirtschaftlichen Druck unterliegen, erhöhen sich deren Anforderungen an moderne Flugzeuge. Im Fokus stehen dabei die Steigerung der Effizienz, die Erhöhung des Komforts sowie die Reduzierung der CO2-Emmisionen der eingesetzten Systeme. Dabei ist die Problematik der Eisbildung (Abb. 1) seit vielen Jahren eine stark diskutierte Thematik, da diese einerseits zur Veränderung der Aerodynamik und andererseits zur Beeinträchtigung der Funktion von Instrumenten führen kann.

Abb. 1: Vereiste Flügelvorderkante (Quelle: Aviation Education Multimedia Library)

 

1 Vereisung – Kosten zur Gefahrenminderung

Dies hat zur Folge, dass es zu einer Zunahme des Flugzeuggewichts, einer Reduzierung des Auftriebskoeffizienten und somit zu einer Erhöhung des Widerstandskoeffizienten kommen kann. Hierbei stellen vor allem die Start- und Landephase die größte Gefahr der Eisbildung dar, da zu diesen Zeitpunkten Luftmassen durchflogen werden, die unterkühlte Wassertropfen beinhalten, die auf den Instrumenten oder Tragflächen gefrieren können. Deshalb wurden bereits verschiedene De-Icing- (zur Eisentfernung) und Anti-Icing-Methoden (zur Verhinderung der Eisbildung) entwickelt, die sowohl in der in der Luft als auch am Boden eingesetzt werden. Allerdings bietet keines der derzeit verwendeten Systeme einen 100-prozentigen Schutz. Außerdem führen die zusätzlichen Installationen von Systemen im Flugzeug und die Enteisung am Boden (Abb. 2) zu zusätzlichen Kosten. Aus diesem Grund müssen neue Konzepte und Technologien zur Vermeidung der Eisbildung entwickelt werden. Deshalb sollte unter Betrachtung der genannten Aspekte­ die Entwicklung von innovativen Enteisungs­systemen auf Basis von intelligenten, langzeitbeständigen Oberflächen, welche die Eisbildung in Kombination mit aktiven Enteisungssystemen vermeiden und zusätzlich die Effizienz von Flugzeugen erhöhen, im Vordergrund stehen.

Abb. 2: Enteisung eines Flugzeugs am BodenQuelle: Fraport AG

 

2 Technologien gegen Eisbildung

Neben den bereits erwähnten System­aspekten spielen in modernen Passagierflugzeigen ebenfalls moderne Werkstoffe und Materialien, wie kohlenfaserverstärkte Kunststoffe, eine wichtige Rolle. Als Beispiel können hier der Airbus 350 XWB und die Boeing 787 angeführt werden, deren Struktur bereits aus über 50 Prozent kohlen­faserverstärktem Kunststoff gefertigt wird. Da an Verbindungsstellen zu metallischen Komponenten die galvanische Kompatibilität eine entscheidende Rolle spielt, wird zunehmend auf den korrosionsbeständigen Werkstoff Titan zurückgegriffen. Außerdem wird im Bereich der Flügelvorderkante der Einsatz dieses sehr erosionsbeständigen Werkstoffs diskutiert.

Fokus der Untersuchungen war, eine langzeitbeständige, superhydrophobe TiO2-Nanoröhren-Oberfläche zu entwickeln, die die Eisbildung beziehungsweise Eishaftung auf Titanoberflächen reduziert.

Für diese Untersuchung wird der durch die Lotusblume bekannte Effekt der geringen Benetzbarkeit für die superhydrophoben Titandioxid-Nanoröhren ausgenutzt. Hierfür besitzen die Lotusblumenblätter eine noppenartige Mikrostruktur, die mit einer dünnen, wasserabweisenden Beschichtung überzogen ist. Für den Effekt der geringen Benetzbarkeit sind zwei wichtige­ Komponenten erforderlich: Einerseits muss die Oberfläche eine ausgeprägte Mikro- beziehungsweise Nanostruktur aufzeigen, andererseits muss die Oberfläche mit einer wasserabweisenden Beschichtung überzogen sein. Durch das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten wird die Kontakt­fläche, beispielsweise für einen Wassertropfen, deutlich minimiert, sodass dieser dann einfach abperlen beziehungsweise abrollen kann.

Damit dieser Effekt auf eine Flügelvorderkante aus Titan übertragen werden kann, muss zunächst eine nanostrukturierte Oberfläche erzeugt werden. Hierfür gibt es für die Vorbehandlung beziehungsweise Konditionierung von Titan und Titanlegierungen eine Vielzahl bereits entwickelter Prozesse. Um eine nanostrukturierte Oxidschicht auf komplex geformten Bauteilen zu erzeugen, hat sich der Anodisierprozess als ein besonders effektives Verfahren ­herausgestellt, da sich durch das anodische Oxidieren die wirksame Oberfläche deutlich vergrößern lässt.

3 Nanostrukturierte Titanoberflächen

Das zu behandelnde Bauteil wird beim Anodisierprozess im Stromkreis als Anode geschaltet. Durch die Prozessparameter, wie Spannung, Stromdichte, Temperatur und Elektrolytzusammensetzung, ist es möglich, die Eigenschaften der zu erzeugenden Oxidschicht zu variieren und entsprechend einzustellen [1]. Beim Anodisieren in einer sauren oder neutralen Elektrolytlösung wird in der Regel eine relativ kompakte Oxidschicht erzeugt. Werden in die Elektrolytlösung allerdings Komplexbildner, wie in den hier genannten Untersuchungen in Form von Fluoridzusätzen, zugegeben, kann sich durch eine gleichzeitige Auflösung und Neubildung der Oxidschicht eine selbstorganisierende Nanoröhren­schicht ausbilden (Abb. 3) [2]. In Abbildung 4 ist die Morphologie einer solchen TiO2-Nanoröhrenschicht dargestellt.

Abb. 3: Entstehung der Oxidschichten beim anodischen Oxidieren von Titan in Abhängigkeit vom verwendeten Elektrolyt (nach Macak et al. [3])

     

Abb. 4: Auf- (a) und Seitenansicht (b) von TiO2-Nanoröhren, hergestellt durch Anodisation von Titan bei 30 V in einem fluoridhaltigen Elektrolyt

 

Bei einer Anodisierspannung von 30 V weisen die Nanoröhren einen Röhrendurchmesser von 60 nm bis 70 nm und eine Schichtdicke zwischen 635 nm und 650 nm auf. Durch diese Nanostrukturierung werden eine vergrößerte Oberflächenstruktur und eine erhöhte Nanorauigkeit erzeugt. Allerdings sind sie Nanoröhren in diesem Zustand hydrophil und zeigen einen Kontaktwinkel von circa 6°.

4 Bildung von superhydrophoben Oberflächen

Um eine superhydrophobe Oberfläche aus den hydrophilen Nanoröhren zu generieren, müssen die Proben beziehungsweise­ Bauteilkomponenten mit einem wasser­abweisenden Beschichtungssystem nachbehandelt werden. Die in der Untersuchung analysierten Beschichtungssysteme wurden mittels einer Tauchbeschichtung appliziert. Dabei weisen die zwei unter­suchten Beschichtungssysteme eine unterschiedliche chemische Zusammensetzung auf, wobei Coating 1 auf einem Fluoralkylsilan und Coating 2 auf einem Perfluorpolyether basiert. Bei der Funktionalisierung erfolgt die Anbindung der beiden Beschichtungssysteme an die Metalloberfläche über chemische Wechselwirkungen. Hierbei reagieren die Hydroxylgruppen auf der Metalloberfläche, die durch den Anodisierprozess ausgebildet wurden, mit den funktionellen Gruppen des jeweiligen Beschichtungssystems. Die superhydrophoben Eigenschaften sind demnach das Ergebnis aus der Kombination der nano­strukturierten Oxidschicht mit einer hydrophoben Beschichtung.

5 Eigenschaften der superhydro­phoben TiO2-Nanoröhren

Wie die Funktionalisierung mit den Beschichtungssystemen die Morphologie der TiO2-Nanoröhren verändert, wurde mittels Rasterelektronenmikroskopie untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die Morphologie der TiO2-Nanoröhren, wie in Abbildung 4 gezeigt, nicht durch das jeweilige Beschichtungssystem verändert oder in ­irgendeiner Weise beeinflusst wird. Um die genaue Dicke der Beschichtungssysteme zu bestimmen, wurden mittels Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS) Tiefenpro­file aufgenommen. Die Tiefenprofile lassen erkennen, dass die auf den Nanoröhren abgeschiedene, wasserabweisende Schicht nur wenige Nanometer dick ist mit Werten zwischen 5 nm und 15 nm. 

Bei der dynamischen Kontaktwinkelmessung weisen die neu entwickelten, superhydrophoben Oberflächen Kontaktwinkel zwischen 150° und 155° bei einer Kontaktwinkelhysterese von < 3,5° auf. Damit zählen die Schichten zu denen mit hervorragenden, superhydrophoben Eigenschaften, da diese mit einem Kontaktwinkel von > 150° und einer Kontaktwinkelhysterese < 10° definiert sind. Zusätzlich wurde der Kontaktwinkel bei einer Temperatur von -15 °C gemessen, da die Oberflächen auch hinsichtlich ihrer Anti-Eis-Anwendung untersucht werden sollten. Bei diesen Versuchen lag der Kontaktwinkel immer noch bei 152°. Dies bedeutet, dass die erzielten, ­superhydrophoben Eigenschaften bei tieferen Temperaturen erhalten bleiben.

Um die Beständigkeit und Stabilität in Bezug auf den Einfluss der Luftfeuchtigkeit der superhydrophoben Oberflächen zu untersuchen und zu beurteilen, wurden Auslagerungsversuche durchgeführt. Hierfür wurden die Proben bei 47 ± 9 % r. F. und 25 ± 1 °C bis zu 1000 h ausgelagert. Dabei zeigten sich kein Einfluss und keine Beeinträchtigung der superhydrophoben Eigenschaften. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die entwickelten, superhydro­phoben Oberflächen in feucht/warmen ­klimatischen Bedingungen stabil sind.

6 Effizienz beim De-Icing

Zur Untersuchung des Enteisungsverhaltens der superhydrophoben TiO2-Nanoröhren wurden in dem von Airbus Group Innovations entwickelten Eis-Windkanal Versuche zur Bestimmung der Eishaftung auf der Probenoberfläche durchgeführt. Hierbei erfolgte zunächst die Vereisung der Proben im Eis-Windkanal. Um dabei möglichst reale Vereisungsbedingungen zu erzeugen, können Prozessparameter wie Temperatur, Strömungsgeschwindigkeit der Luft und Größe der in den Kanal eingebrachten Wassertropfen gezielt eingestellt werden. Nach der Vereisung der Proben werden diese durch Verwendung eines Permanentschwingerregers angeregt, um ein Abplatzen des Eises von der Probenoberfläche zu initiieren. Anschließend kann durch eine von Strobl et al. [4] entwickelte Gleichung die daraus resultierende Adhäsionskraft über die Grenzflächenschubspannung ­berechnet werden.

Die Kombination einer nanostrukturierten Oberfläche und einer superhydrophoben Beschichtung führt diesen Untersuchungen zufolge zu einer signifikanten Reduzierung der Eisadhäsion (Reduzierung um bis zu 53 %) gegenüber einer nur alkalisch gebeizten Oberfläche (Abb. 5).

Abb. 5: Reduzierung der Eisadhäsion durch superhydrophobe Oberflächen

  

Um die Effizienz der neu entwickelten, superhydrophoben Oberfläche beim De-Icing zu untersuchen, wurden zyklische Enteisungsversuche unter realen Strömungs- und Vereisungsbedingungen durchgeführt. Hierfür wurde ein Flügelprofil, das in der Flügelvorderkante eine Kohlefaserheiz­matte besitzt, eingesetzt. Die zyklischen Ent­eisungsversuche zeigen, dass die Kombination einer superhydrophoben Oberfläche, basierend auf TiO2-Nanoröhren, mit einem elektrischen Heizsystem zu einer Leistungsersparnis von bis zu 66 Prozent gegenüber konventionellen, elektrischen Enteisungssystemen ohne superhydrophobe Oberflächen führen kann.

Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, dass durch die Kombination von einer nanostrukturierten Oberfläche mit einer­ superhydrophoben Beschichtung die Eis­adhäsion signifikant reduziert und der Leistungsbedarf zum Enteisen von Flugzeugen gesenkt werden kann. Die neu entwickelte Oberfläche bietet die Möglichkeit, zukünftige­ Flugzeuge noch sicherer, energiesparender und umweltverträglicher zu gestalten.

Die Ergebnisse und Erkenntnisse hinsichtlich Vereisung und Eishaftung können neben dem Bereich der Luft- und Raumfahrt auch auf andere Industriezweige, wie etwa Energieerzeugung- und transport (Flügelvereisung, Windenergieanlagen, Vereisung von Stromleitungen), übertragen und dort genutzt werden.

Literatur

[1] D. M. Brunette, P. Tengvall, M. Textor, P. Thomsen: Titanium in medicine: material science, surface science, engineering, biological responses, and medical applications; Berlin, Heidelberg, New York, Springer, 2001

[2] P. Roy, S. Berger, P. Schmuki: TiO2-Nanoröhren: Synthese und Anwendungen; Angew. Chem., 123(13), S. 2956–2995, 2011

[3] J. M. Macák, H. Tsuchiya, A. Ghicov, K. Yasuda, R. Hahn, S. Bauer, P. Schmuki: TiO2 nanotubes: Self-organized electrochemical formation, properties and applications; Current Opinion in Solid State and Materials Science, 11(1-2), S. 3–18, 2007

[4] T. Strobl, D. Raps, D. Paulus, M. Hornung: Evaluation of Roughness Effects on Ice Adhesion; 5th AIAA Atmospheric and Space Environments Conference, American Institute of Aeronautics and Astronautics, 2013

DOI: 10.7395/2015/Wermuth1

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