Plasma für höchste Beanspruchung

Oberflächen 10. 03. 2014

Zur Sicherung der immer höher werdenden Qualitäts- und Umweltansprüche von Automobilbauern an die Lackierprozesse von Kunststoffteilen für den Fahrzeuginnenraum werden bei einem süddeutschen Hersteller jährlich Millionen von Schaltern und Bedientasten mit Atmosphärendruckplasma vorbehandelt.

Lackierte Kunststofftasten einer Instrumen­tentafel werden im Leben eines Automobils tausendfach berührt. Mal sanfter, mal fester, mit sauberen oder auch schmutzigen Fingern. Egal, wie man sie anfasst – der Lack muss halten, Optik und Haptik sollen auch noch nach Jahren des Gebrauchs möglichst unverändert sein. So fordert BMW beispielsweise von der Abriebfähigkeit eines lackierten Drehschalters, dass dieser bei einer 360°-Umdrehung mindestens sechzigtausend Mal angefasst werden kann, bevor ein Mangel am Lack auftreten darf. Normale Druckschalter, wie die CD- oder Klimataste, müssen hier sogar mindestens einhunderttausend Berührungen standhalten. Dies entspricht einer angenommenen Belastung bei einem Zeitraum von 17 Jahren – dem gesamten bei dem Münchner Autobauer angenommenen Lebenszyklus des Fahrzeugs. Ähnliche Vorgabewerte haben auch andere Premiumanbieter, das heißt im Umkehrschluss für den Zulieferer, das er allen seinen Kunden praktisch ein gleich hohes Qualitätsniveau bieten muss.

Kein einfaches Unterfangen

Die Sicherung hoher Qualitätsansprüche an Lackierprozesse beginnt bei der Vorbehandlung der Materialoberfläche. Ohne eine Feinstreinigung und Aktivierung von haftungsunfreundlichen Kunststoffen wie Polycarbonat können ein makelloses Lackbild und eine langzeitstabile Haftung nicht gewährleistet werden. Für beides, Reinigung wie Aktivierung, stehen unterschiedliche Verfahren zur Verfügung und es empfiehlt sich, genau zu prüfen, welches Verfahren für den jeweiligen Zweck am besten geeignet ist. Da die zur Haftungserhöhung häufig eingesetzten lösemittelhaltigen Primer umweltschädigend sind und hohe Entsorgungskosten mit sich bringen, ist es nicht verwunderlich, dass im Rahmen eines gesteigerten Umweltbewusstseins von den Autoherstellern neue Wege gesucht werden und der Trend zu wasserlös­lichen Lacken und einer umweltfreundlichen Vorbehandlung geht.

Als Daimler vor einigen Jahren von seinem Zulieferer, der TRW Automotive Electronics & Components GmbH, Radolfzell, eine zusätzliche Reinigung – neben dem bereits verwendeten Ionisator zur Entstaubung der Bauteile – verlangte und zudem den Einsatz von Hydrolacken plante, stand das Radolfzeller Unternehmen vor einem Problem; das vom Autohersteller gewünschte Powerwash-Verfahren erwies sich schon in der Testphase als undurchführbar.

Kerstin Tietz, leitende Ingenieurin für den Bereich Industrial Engineering, Painting & Laseretching bei TRW Radolfzell, erinnert sich an die Versuche: Mit Powerwash lief es darauf hinaus, dass die kleinen, nur wenige­ Zentimeter messenden Bauteile einfach weg- oder aneinanderflogen und verkratzten. Zudem blieb das Wasser in den Formen, den so genannten Jigs, stehen. Auch nachdem Löcher in die Jigs gebohrt und die Behälter sogar geändert wurden, wurde nach Aussage von Kerstin Tietz keine Verbesserung der Situation erreicht. Nicht weniger enttäuschend endete auch eine alternativ in Betracht gezogene Behandlung mit Kohlenstoffdioxid: Wieder flogen die Bauteile aus ihren Formen, zudem war das Verfahren in den Ohren der Mitarbeiter nicht nur unerträglich laut, sondern es war auch aufwendig, da für die notwendigen Tanks extra ein Platz im Freien geschaffen werden musste.

Beide Verfahren besaßen zwar grundsätzlich eine gute Reinigungskraft und wären für schwerere Bauteile durchaus geeignet gewesen, was ihnen jedoch fehlte, war die Aktivierungsfähigkeit. Dies bedeutete, dass für die erforderliche Aktivierung beim Einsatz von Hydrolacken ein zusätzliches System notwendig geworden wäre. Glaubte TRW zunächst, ein solches in der Fluorierungstechnik gefunden zu haben, so zeigte sich schon bei den ersten Versuchen ein negatives Ergebnis: Die PC-Teile wurden nach ihrer Behandlung teils blau schillernd, teils transparent. Auch mussten sie zur Vorbehandlung an einen externen Dienstleister gesandt werden und diese Abhängigkeit war dem in Serie arbeitenden Hersteller ein zu großes Risiko. Zudem war der Prozess­ nicht umweltfreundlich.

TRW suchte weiter und fand ein Verfahren, das nicht nur in einem einzigen Arbeitsgang sowohl die Feinstreinigung als auch die ­Aktivierung der unpolaren Kunststoffoberflächen ermöglichte, sondern auch keine der vorgenannten oder gar neue Probleme mit sich brachte – die atmosphärische Plasmatechnologie Openair.

Reinigung und Aktivierung in einer Funktion

Die von der Plasmatreat GmbH, Steinhagen, bereits 1995 entwickelte Plasmadüsentechnologie ist heute weltweit in den unterschiedlichsten Industrien im Einsatz.­ Das umweltfreundliche Inline-Verfahren benötigt keine Vakuumkammer, sondern arbeitet unter normalen Umgebungsluftbedingungen. Das System bietet drei Arbeitsschritte in einem einzigen, sekundenschnellen Vorgang: Es sorgt für die mikrofeine Reinigung der Kunststoffoberfläche, bewirkt deren statische Entladung und gleichzeitig ihre hohe Aktivierung.

Die Aktivierung einer Materialoberfläche führt zu einer Erhöhung der Oberflächen­energie Letztere ist das wichtigste Maß für die Beurteilung der voraussichtlichen Haftung einer Lackierung oder Beschichtung. Kunststoffe haben meist eine geringe Oberflächenenergie zwischen unter 28 mJ/m2 und etwa 40 mJ/m2. Aber erst Oberflächen­energien ab 38 mJ/m2 bis 42 mJ/m2 erlauben erfahrungsgemäß gute Haftungsvoraussetzungen. Die sichere Haftung einer Lackierung setzt voraus, dass die Oberflächenenergie des Festkörpers größer ist, als die Oberflächenspannung (gemessen in mN/m) des flüssigen Lacks. Betrug bei TRW Radolfzell die Oberflächenenergie der PC-Teile gleich nach dem Spritzguss noch 32 mJ/m2 bis 34 mJ/m2, so stieg sie nach der Plasmabehandlung auf Werte von 56 mJ/m2 bis 58 mJ/m2, teils sogar auf über 72 mJ/m2.

Peter Langhof, Market- und Projektmanager bei Plasmatreat, erklärt hierzu, dass die Doppelwirkung der entsprechenden Technologie mittels Atmosphärendruckplasma (AD-Plasma) von mikrofeiner Reinigungskraft und simultaner Aktivierung die Effektivität herkömmlicher Systeme bei weitem übertrifft. Die Folge sind homogene Lackverläufe und eine langzeitstabile Haftung der Beschichtung auch bei allerhöchster Beanspruchung (Abb. 1). Die typischen Erwärmungen der Kunststoffoberflächen während der Plasmabehandlung betragen im Übrigen weniger als 30 °C.

Abb. 1: Die Effektivität herkömmlicher Systeme wird durch die Doppelwirkung der atmosphärischen Plasmabehandlung bei weitem übertroffenBild: Plasmatreat 

AD-Plasma im Lackierprozess

Heute werden von TRW Radolfzell Sensoren, schlüssellose Zugangssysteme, Schalter und Schaltermodule für Bedien- und Komfortsysteme im Fahrzeuginterieur für Autobauer wie Daimler, Ford und andere hergestellt. Vom Spritzguss über das Lackieren, vom Lasern bis hin zur Elektronikfertigung wird ein Großteil der zu verbauenden Komponenten im Werk selbst produziert, montiert und vor Ort getestet. Die erste­ von Plasmatreat gelieferte Leihanlage zur Ausführung der Testreihen verschaffte sich schnell Sympathien. Wie Tietz hierzu betonte, war die Anlage einfach zu bedienen, Platz sparend, übersichtlich, leise­ und ungefährlich.

Nach der Testphase wurde zunächst eine mit zwei Plasmadüsen ausgestattete Produktionsanlage eingesetzt. Doch mit ansteigendem Auftrags­volumen wurde eine größere Lackieranlage erforderlich und der Maschinenbauer, die Venjakob Maschinenbau GmbH & Co. KG aus Rheda-Wiedenbrück, erhielt den Auftrag, von vorneherein ein in Serie geschaltetes Plasmasystem direkt vor die Lackierstation zu integrieren.

Im Frühjahr 2011 wurde die neue 25 Meter lange Lackierstraße – von der die Plasmaanlage nur einen Meter beansprucht – in Betrieb genommen (Abb. 2). Sechs paten­tierte Rotationsdüsen vom Typ RD1004 arbeiten seitdem inline rund um die Uhr (Abb. 3). Sie reinigen und aktivieren etwa 180 000 zu lackierende Sichtteile aus Polycarbonat (PC) oder PC+ABS pro Woche, neben einfachen 2D-Teilen auch komplexe­ 3-D-Geometrien wie Lenkradblenden. Jedes einzelne Schalterteil wird noch einer Sichtkontrolle unterzogen, bevor ein Laser schließlich die Kennzeichnungen vornimmt (Abb. 4). Aus den zahlreichen kleinen Schaltern und Tasten entstehen im TRW-Werk pro Jahr rund zwei Millionen komplette ­Tastenfelder, die so genannten ICPs (Integrated Control Panels) (Abb. 5).

Abb. 2: Das Openair-Plasmasystem (3. Anlage von vorne) beansprucht nur einen Meter der insgesamt 25 Meter langen LackierstraßeBild: Plasmatreat

 

Abb. 3: Sechs Rotationsplasmadüsen arbeiten inline rund um die Uhr; sie reinigen und aktivieren in einer Funktion 180 000 Sichtteile aus PC und PC+ABS pro Woche / Bild: Plasmatreat

 

Abb. 4: Jedes einzelne Schalterteil muss sich noch einer Sichtkontrolle unterziehen, bevor ein Laser die Kennzeichnungen vornimmtBild: Plasmatreat

 

Abb. 5: ICP-Bedienfeld als Herzstück einer Instrumententafel; für ein makelloses Lackbild und eine über Jahre andauernde Haftung werden die Kunststofftasten vor der Lackierung mit atmosphärischem Plasma vorbehandeltBild: Plasmatreat

Fazit

Eine hohe Prozesssicherheit hat für TRW oberste Priorität und diese ist durch das computergesteuerte und monitorüberwachte Plasmasystem gewährleistet. Das Werk am Bodensee fertigt heute damit mehrere Millionen Tasten und Schalter im Jahr. Der Einsatz der Openair-Technik war für die TRW die richtige Entscheidung, wie Kerstin Tietz betont. Die Vorbehandlung ist für das Unternehmen gewinnbringend, einfach und effektiv. Sie hat dem Unternehmen dazu verholfen, die hohen Kunden­anforderungen zu erfüllen.

Seit dem Einsatz der neuen, mit dem Plasmasystem kombinierten Lackieranlage und dem Wegfall von Primer hat sich der Durchsatz verdreifacht. Zudem sind ein kompletter Durchlauf und damit sechs Arbeitsschritte entfallen; eingespart werden konnten auch gegenüber den anderen Reinigungssystemen und einer Primeraktivierung viel Zeit und 90 Prozent der sonst erforderlichen Energiekosten.I. A. Melamies

Plasmatreat GmbH
Bisamweg 10, D-33803 Steinhagen

 

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