Das elementare Wirkprinzip der Schraubenverbindung
Bei Schraubenverbindungen stellen die Reibungseigenschaften der Oberflächen und deren Wechselwirkung zu den Verbindungspartnern (Auflagen / Klemmteilen) eine bedeutende Rolle dar in Bezug auf die spätere Qualität einer Schraubenverbindung. Die Montagevorspannkraft wird beeinflusst durch die Reibung in der Reibauflage und dem Gewinde. Moderne Mess- und Prüfsysteme ermöglichen das reproduzierbare Messen von Drehmomenten und Vorspannkräften und damit die Berechnung der Reibungszahlen. Zur Absicherung einer anspruchsvollen Verschraubung gehören die Festlegung der Reibungszahlen und deren regelmäßige Überprüfung.
Friction coefficient for screw connections – the elementary of operation principle
At fastener joints the friction caused through the fastener coating and the interference between the joint components (Contact surface / clamping part) has a majority influence to the quality of fastener joints. The assembly clamp load is influenced through the friction at the veering surface as well as in the thread. Modern measuring systems and test benches make it possible to measure torque and clamp load repeatable and allows to calculate the friction coefficient. To validate an sophisticated fastener joint it is needed to determine the friction coefficient as well as periodically tests.
1 Schraubenverbindungen und ihre Wirkungsweise
Schraubenverbindungen werden seit dem Mittelalter zum Befestigen von Bauteilen eingesetzt. In den überwiegenden Fällen wird diese Art der Befestigungstechnik heute dazu genutzt, Bauteile durch eine in Schraubrichtung aufgebrachte Vorspannkraft aneinander zu fügen. Je nach Anforderung und konstruktiver Auslegung muss die erforderliche Vorspannkraft einen bestimmten Betrag haben, damit die Bauteile sich unter Betriebslast nicht gegeneinander verschieben (Querlast) oder gar klaffen (Axiallast).
In der VDI 2230 [1] wird auf diesen Zustand explizit eingegangen und bewusst die Auslegung von Schrauben mit ihren Werkstoff-, Oberflächen- und Geometrieeigenschaften sowie mit den zu verbindenden Bauteilen beschrieben. Hiernach lässt sich eine Schraubenverbindung theoretisch auslegen und die erforderlichen Montagebedingungen oder gar Montagestrategien ableiten. Zu den getroffenen Annahmen zählen die Reibungszahlen in den meisten Fällen dazu.
Um das Wirkprinzip besser zu verstehen, kann ein einfaches Model herangezogen werden, das die Schraube als elastische Feder beschreibt und die zu verklemmenden Bauteile ebenfalls als elastische Glieder annimmt (Abb. 1).
Abb. 1: Zustand Montage und Betriebszustand Schraube – Klemmteil
Bei der Vorstellung, dass nun die Schraube eingeschraubt in eine Mutter als Zugfeder wirkt, lässt sich erkennen (Abb. 2), dass die verklemmten Bauteile wie eine Druckfeder solange elastisch verspannt bleiben, solange die Dehnung der Zugfeder (fSM) größer ist als die elastischen Deformation der Klemmteile (fPM). Wird eine Betriebskraft (FA) direkt unter dem Kopf bzw. der Mutter aufgebracht verkürzt sich die Schraube um den selben Betrag wie sich die Klemmteile ausdehnen (fSA = fPA). Wird die Belastung zu groß, kann es dazu führen, dass die Restklemmkraft (FKR) gegen Null geht und die Teile unter Last klaffen. Je nach Reibungsverhältnissen in den Trennfugen könnte bei einer Querkraft auch eine Querverschiebung eintreten. Die Folge wäre zwangsläufig auch eine Biegebelastung, so dass sich die Schraube gegebenenfalls lösen würde oder es im Extremfall es final zu einem Biegewechselbruch kommen könnte.
2 Montagedrehmoment und Montagevorspannkraft
Bei der Schraubenverbindung ist das Messen der Vorspannkraft während der Montage nur sehr aufwändig möglich (Ultraschall, Kraftringsensoren) und daher in den meisten Serienprozessen unwirtschaftlich. Aus diesem Grund wird als Messgröße das Drehmoment und gegebenenfalls der Drehwinkel herangezogen. Das Aufbringen der Drehmomente beziehungsweise Winkel lässt sich über direkt messende oder wirkende Werkzeuge oder Messwertgeber (Sensoren) erreichen.
Der Zusammenhang zwischen dem Drehmoment (T) und der Vorspannkraft (F) einer Verschraubung wird im elastischen Fall in der Regel mit einer lineare Funktion beschrieben. Die Kenngröße K-Wert (K) beschreibt diesen Zustand referenziert auf den jeweiligen Schraubennenndurchmesser (d) und stellt damit die einfachste Art der Überprüfung der Reibungszahl dar. Verändert sich der K-Wert bei einer Überprüfung von Drehmoment und Vorspannkraft bei sonst identischen Versuchsbedingungen hat sich die Reibungszahl verändert. Das K-Wert-Analyseverfahren ist bekannt aus der amerikanischen Automobilindustrie und wird heute im großen Umfang bei Miniaturschrauben in der Elektronikindustrie (Asien) eingesetzt.
Hierfür gilt folgende Beziehung [2]:
T = m · F ⇒ K = T / ( F · d ) <1>
Tatsache ist jedoch, dass die Geometrie der relativ zueinander bewegten Bauteile – in der Regel sind dies der Schraubenkopf zur Auflage oder die Mutter zur Auflage sowie das Schraubengewinde zum Mutterngewinde – direkten Einfluss auf das Verhältnis aus Vorspannkraft zu Drehmoment nehmen. Die Formel zur Berechnung der Vorspannkraft einer Schraubenverbindung [2] zeigt die folgende Abhängigkeit:
F = T · (0,5 · P + 1,154 ·p·mth· d2 + mb· Db/2)-1
p– 1,154 ·mth· P/d2
<2>
In der Berechnung werden die Reibungszahlen der Auflagereibung µb, der Gewindereibung µth sowie die Geometrieparameter mittlerer Kopf-Reibradius Db/2, Gewindeflankendurchmesser d2, sowie die Gewindesteigung P benötigt.
Die Geometriedaten einer Schraubenverbindung sind bekannt oder lassen sich einfach durch Messung bestimmen. Die Reibungszahlen jedoch lassen sich dagegen nicht messen, sie müssen berechnet werden. Die DIN EN ISO 16047:2013-01 beschreibt das Verfahren detailliert. Da zur Bestimmung von Reibungszahlen die Reibpartner entscheidend sind, wird auf die Beschreibung der Referenzteile großen Wert gelegt, da sie zur objektiven Beurteilung einer Reibungszahl zum Beispiel im Gewinde oder an der Auflage von größter Bedeutung sind. Es kann je nach Vereinbarung aber auch von den Referenzteilen abgewichen werden und gegebenenfalls die in der Serie eingesetzten Bauteile in die Bestimmung der Kräfteverhältnisse für die Drehmomente eingesetzt werden. Dazu sind jedoch in den meisten Fällen Bauteilsegmente zu präparieren, was wiederum voraussetzt, dass bei der Präparation die ursprünglichen Beschichtungseigenschaften nicht verändert werden.
3 Momente und Vorspannkraft – synchrone Messung
Um die Reibungszahl im Gewinde oder der Auflage berechnen zu können, müssen zunächst die Drehmomente lokal in den Bereichen Gewinde und der Auflage bekannt sein. Allgemein gilt:
Ttot = Tth + Tb <3>
Damit genügt es beispielsweise, das Gesamtdrehmoment sowie ein so genanntes Teilmoment zu messen, um wiederum mathematisch das zweite Teilmoment zu berechnen:
Tb = Ttot – Tth <4>
Dabei stellt die Messung des Gesamtdrehmomentes, gegebenenfalls sogar mit dem Drehwinkel, in der Regel keine große Herausforderung für einen Schraubenprüfstand dar. Die Messung der Teilmomente synchron mit den Vorspannkräften hingegen ist deutlich aufwändiger, da der Sensor eine physikalische Entkopplung der Messgröße erforderlich macht. Dabei sind Lager die denkbar ungünstigste Lösung, da der Fehler der Lagerreibung die Messung unbrauchbar macht. Korrekturen sind ebenfalls durch die veränderten Lagerverschleißbedingungen nicht zielführend.
Aus der Forderung nach reproduzierbaren verlässlichen Messsystemen zur Bestimmung von Reibungszahlen bei Schraubverbindungn entwickelte REC® Engineering GmbH ein neuartiges Sensorsystem, das auf einer so genannten Strukturentkopplung basiert. Dabei werden die physikalischen Wirkrichtungen genutzt, um das Übersprechen der Signale (Teilmoment und Vorspannkraft) zu vermeiden. Der Sensor kommt gänzlich ohne Software-Korrektur aus und lässt sich auch durch gemischte Kraft-Momenten-Kalibrierungen in dem ausgewiesenen Messbereich mit kleinsten Messunsicherheiten reproduzierbar betreiben.
Der Anwender kann grundsätzlich entscheiden, welches der Teilmomente – Gewinde oder Auflage – er messen möchte. Beide Betriebsarten sind grundsätzlich möglich. In der Basisversion ist der Messkopf jedoch zur Bestimmung des Gewindemomentes vorgesehen.
Das gesamte Messsystem (Abb. 3 und 4) besteht aus dem Mehrkomponenten Messkopf, dem Drehmoment-Drehwinkel-Messwertgeber sowie der mit 10 kHz getaktenden 4 Kanal-Messelektronik mit life-Messkurvenanzeige. Das Messsystem basiert auf der neuesten A/D-Wandlertechnik mit Ethernet Datenübertragung an einen Standard WIN7 PC. Mittels einer speziell für die 64Bit – Microsoft Office™ Umgebung entwickelten Software MESStec proWIN™ lassen sich Reibzahlversuche vorkonfigurieren, reproduzierbar durchführen und automatisiert auswerten. Standard ist dabei die Datenübertragung (Statistik, Messwerte, Grafiken) an die bekannten MS Office™ Programme (z.B. Excel, Word) via Maus-Klick.
4 Mehrfachverschraubungen, Drehzahleinflüsse und sonstige Einflüsse
Bei der Prüfung der Reibungszahlen bei Schrauben und Muttern stellen die Beständigkeiten der Auflagen in Bezug auf ihre Eignung zur Mehrfachmontage eine alltägliche Fragestellung in der Automobilindu-
strie dar (z.B. Servicemontage). Die Prüfung wird diesbezüglich lediglich um einen mehrfachen Anzug sowie das danach erfolgende Lösen ergänzt. Konkret wird nach dem ersten Anzug die Verbindung gelöst und um weitere zwei beziehungsweise vier (3-fach oder 5-fach) Wiederholverschraubungen erweitert. Ausgewertet werden die Reibungszahlen bei einem definierten Drehmoment oder einer Vorspannkraft. Das Ergebnis im vorliegenden Beispiel (Abb. 5) zeigt, dass sich die Beschichtung bei den Mehrfachmontagen deutlich verändert und die erzielte Vorspannkraft von etwa 50 kN beim Erstanzug auf ein Niveau zwischen 30 kN und 25 kN beim 5. beziehungsweise 15. Anzug verringert bei gleichbleibendem Montagedrehmoment (230 Nm). Das bedeutet gleichzeitig, dass sich die Reibungszahl deutlich verändert und die Oberfläche somit in Bezug auf ihre Verschleißfestigkeit nicht optimiert ist.
Bei bestimmten Oberflächen können sich durch die Bestandteile in der Beschichtung (z.B. PTFE) die Reibungszahlen in Abhängigkeit der Montagedrehzahlen und der Vorspannkraft nicht linear verhalten. Dieses aus der Polymerchemie bekannte Verhalten birgt – sofern es nicht in Betracht gezogen wird – eine erhebliche Gefahr beim Anwender. Sofern die Reibungszahl bei der Prüfdrehzahl von n = 20 U/min im geforderten Soll-Bereich liegt, kann sie bei einer Montagedrehzahl von 500 U/min bereits durch die Plastifiziereffekte in der Molekülstruktur des Polymers deutlich unter den Grenzwert fallen. Die Gefahr, dass durch zu hohe Montagevorspannkräfte Schäden in Schraubenverbindung entstehen sind dann keine Seltenheit.
Ein anderer Problemkreis in der Montagelinie stellen die so genannten Stick Slip Effekte dar. Hier kommt es bei der Montage zu einem kurzzeitigen anhaften der Schraube und ein anschließendes losreißen, was zu Fehlverschraubungen führen kann. Die Reibungszahl hat nachgewiesener Weise einen Einfluss auf dieses Phänomen jedoch sind noch andere Einflussfaktoren wie die Anlagensteifigkeit oder die Montageparameter für das Auftreten von Stick Slip verantwortlich.
5 Make or buy
Wir alle leben in einer Industriewelt, die sich durch Qualitätsvereinbarungen und Haftungsverbindlichkeiten absichert, um möglichst bei gleichbleibender vereinbarter Qualität keine Regressansprüche durch Kunden oder gar Dritter zu bekommen. Sofern also ein Kunde eine Oberflächenvorschrift zitiert beziehungsweise fordert, die eine definierte Schmierung oder eine definierte Reibungseigenschaft der Verbindungselemente vorschreibt (hier sollten beispielsweise die Rohrverschraubungen, Hydraulik, Pneumatik oder Fitting nicht vergessen werden), sind diese auch regelmäßig im Beschichtungsprozess zu prüfen. Ein Schaden, der durch eine nicht korrekt eingestellte Reibungszahl entstehen kann, übertrifft in den meisten Fällen die Kosten für die Investition in eine Reibzahlprüfmaschine. Jedoch ist es aus Erfahrung sinnvoll die Maschine an die Anforderungen anzupassen und nicht umgekehrt. Das heißt, die Prüfmaschine sollte das einfach und schnell tun können, was für die Qualitätsanforderung erforderlich ist. Modulare Systeme von REC® Engineering sind so ausgelegt, dass sie mit den Anforderungen wachsen. Sie lassen sich beispielsweise von einer einfachen Prüfmaschine für die Gesamtreibzahl zu einem high-end-Schraubenprüfstand mit Mehrkomponentenmesstechnik ausbauen.
Selbstverständlich ist die Investition in eine eigene Anlage immer mit der externen Vergabe der Prüfung, beispielsweise zum Dienstleister REC® Fastening, abzuwägen. In einem solchen Fall ermöglicht eine Expressdienst-Vereinbarungen die Übermittlung von Prüfberichten innerhalb von 24 Stunden nach Probeneingang.
Verwendete Formelzeichen
Db = Reibradius – Durchmesser (mm)
F = Vorspannkraft (N)
FA = Axialkraft (N)
FM = Montagevorspannkraft (N)
FPA = Anteil der Axialkraft, der die Belastung der verspannten Teile verändert, Plattenzusatzkraft (N)
FSA = axiale Schraubenzusatzkraft (N)
K = K-Faktor (dimensionslos)
P = Gewindesteigung (mm)
T = Drehmoment (Nm)
Ttot = Gesamtmoment (Nm)
Tth = Gewindemoment (Nm)
Tb = Auflagemoment (Nm)
d = Gewindenenndurchmesser (mm)
d2 = Außendurchmesser Schraube (mm)
fSA = Verlängerung der Schraube durch FSA (mm)
fPA = elastische Längenänderung der verspannten Teile durch FPA (mm)
fSM = Verlängerung der Schraube durch FM (mm)
fPM = Verkürzung der verspannten Teile durch FM (mm)
m = Linearitätskonstante (mm)
µtot = Gesamtreibungszahl (dimensionslos)
µth = Gewindereibungszahl (dimensionslos)
µb = Auflagereibungszahl (dimensionslos)
Literatur
[1] VDI 2230 Blatt 1:2003-02 Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen; Zylindrische Einschraubverbindungen, Beuth Verlag, Berlin
[2] DIN EN ISO 16047 :2005-10 Verbindungselemente – Drehmoment/Vorspannkraft-Versuch, Beuth Verlag, Berlin
[3] Reck, B., REC® Consulting, Reibzahlanalysen zur Beurteilung der Verschleißneigung bei unterschiedlichen Beschichtungsstoffen. Analyse Bericht 2013 R 550
Hinweise
REC® ist ein eingetragenes Warenzeichen der REC® Fastening GmbH
Weitere Informationen unter:
- REC Engineering GmbH, Breidenbach;
www.rec-engineering.de
DOI: 10.7395/2013/Reck1