Titanwerkstoffe für Implantate

Werkstoffe 08. 07. 2013
Von Andreas Flükiger 

Ti6Al4V (Titan 6 Aluminium 4 Vanadium) bezeichnet die einzelnen Bestandteile in Prozenten und ist die wohl am häufigsten verwendete Titanlegierung. Ursprünglich für die Luft- und Raumfahrt entwickelt, wird sie heute überall dort eingesetzt, wo höhere Festigkeitskennwerte als bei Reintitan verlangt sind. In der Praxis ist in Anfragen oft die Qualitätsangabe Grade zu finden, was im Zusammenhang mit Implantatwerkstoffen immer wieder zu Unklarheiten und Verwirrungen führt.

Industrienormen – Grade 5 und Grade 23

Die Grades sind in den ASTM-Normen (American Society for Testing and Materials / www.astm.org) definiert. Deren chemische Zusammensetzung und mechanischen Werte finden sich zum Beispiel in den Normen B265 (Flachmaterial) und B348 (Rundmaterial). Beide – Grade 5 und Grade 23 – gelten für Industriegüten (Standard Specification for Titanium and Titanium Alloy Strip, Sheet, and Plate, Bars and Billets).

Medizinalnorm – Ti6Al4V ELI

Im Gegensatz dazu ist nur in der ASTM F 136 sowie F 1472 die Legierung zu finden, welche für medizinische Implantate direkt verwendet werden kann (Standard Specification for Wrought Titanium 6 Aluminum 4 Vanadium ELI (Extra Low Interstitial) Alloy for Surgical Implant Applications).

Materialien für Implantate

Grade 5 und Grade 23 sind grundsätzlich ­Industriegüten und haben so keine automatische Zulassung als Implantatmaterial. Sollen sie dennoch für Implantate eingesetzt werden, so sind dafür entsprechende Untersuchungen und Abklärungen zu dokumentieren, die die Unbedenklichkeit dieser Materialien beim vorgestellten Implantat garantieren.

Titanhalbzeuge gemäß ASTM F 136 sowie 1472 sind von der FDA (Food and Drug Administration) als Implantatmaterial grundsätzlich zugelassen. Natürlich müssen die zu fertigenden Implantate selbst vor der Inverkehrsetzung noch zugelassen werden.

Ein Vergleich

Die in Tabelle 1 und 2 aufgeführten Werte sind der ASTM B 265 und ASTM F 136 entnommen. Titan Grade 5 und Titan Grade 23 sind Industriegüten gemäß ASTM B 265 / 348 und Titan Ti6Al4V ELI die Medizinalgüte für Implantate gemäß ASTM F 136 / 1472.

Verfügbarkeit von Halbzeugformen

Von Zeit zu Zeit werden Hersteller von Medizinalprodukten mit Anfragen für gezogene Rohre und Titanfolien in Ti6Al4V ELI konfrontiert. Dabei wird vergessen, dass die ASTM F 136 folgende Halbzeugformen einschließt: Strip, Sheet, Plate, Bar, Round bars and flats, Forging Bar and Wire, also keine Rohre. Diese werden üblicherweise in Grade 9 (Ti2.5Al2V) hergestellt. Mit Strip sind Folien eingeschlossen. Allerdings gilt zu beachten, dass Ti6Al4V grundsätzlich warm gewalzt wird, weshalb Coils und Endlosbänder nicht erhältlich sind. Im Warmwalzverfahren ist die minimale Dicke bei 0,4 mm erreicht. Auf Grund der sich beim Herstellen durchbiegenden Walzen muss mit entsprechend großen Dickentoleranzen sowie mit porösen Oberflächenstrukturen durch das Beizen gerechnet werden.

Verfügbarkeit von Titanfolie in Ti6Al4V

Um Folien – also Stärken unter 0,4 mm – herzustellen, müssen diese kalt gewalzt werden. Da es keine Endlosbänder gibt, scheint dies unmöglich. Ein Ansatz, diese Lücke zu schließen ergibt sich durch die Verwendung von Streifen, die aus dünnen Tafeln zugeschnitten wurden. Genau dies bietet Titanex seit einigen Jahren an: kalt gewalzte Titanfolien in Streifen von mindestens 1500 mm Länge. Derzeit wird eine Stärke von 0,08 mm bei einer Breite von 200 mm erzielt.

Zugfestigkeit

Wird für Ti6Al4V ELI zusätzlich eine Zugfestigkeit von mindestens 860 MPa gefordert, so hat dies weitreichende Konsequenzen. Dadurch werden faktisch die Streckgrenze und die Dehnung in ihrer Wichtigkeit zurückgestuft und müssen die ASTM F 136-Vorgaben nicht mehr erfüllen. Diesen Angaben zufolge ist nur die Zugfestigkeit wichtig, was sich meist bei genauer Betrachtung aber als Trugschluss erweist. Deshalb ist bei der ­Definition von bereits definierten Werten Vorsicht angebracht!

Ausblick

Dass in näherer Zukunft nahtlose Titanrohre in Ti6Al4V ELI verfügbar sein werden, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Vorher wird wohl Grade 9 in einer Implantatnorm aufgenommen. Titanfolien in Grade 5 gibt es bereits heute. In Medizinalgüte dürften sie über kurz oder lang ebenfalls in Kleinmengen verfügbar werden.

Die Titanex GmbH wurde 1996 von Andreas Flükiger, Dipl.-Wirtschaftsingenieur Fachrichtung Maschinenbau, gegründet. Als Handelsunternehmen bietet sie der Medizintechnik, Luft- und Raumfahrt, der pharmazeutischen und der chemischen Industrie Sonderwerkstoffe wie Titan, Tantal, Niob, Wolfram und Molybdän in allen Halbzeugformen an.

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