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Atmosphärendruckplasma30.07.2018
Umweltfreundlich reinigen, aktivieren und beschichten: Durch die Entwicklung und den Einsatz von Plasmadüsen hat die Plasmatreat GmbH, Steinhagen im Jahr 1995 eine Atmosphärendruckplasma-Technologie (Bezeichnung: Openair-Plasma) in der Fertigungstechnik etabliert, die in kontinuierliche und vollautomatische Produktionsprozesse integrierbar ist. Besonderer Vorzug der Technologie ist der Betrieb unter Normaldruck, anstatt im Vakuum. Daraus ergibt die einfache und umfangreiche Einsatzmöglichkeit für die Vorbehandlung von Materialoberflächen als in-line-Technologie. Heute ist das Verfahren weltweit in nahezu allen Industriebereichen im Einsatz. Die zugeführte Energie wird beim Kontakt mit Oberflächen von Metallen, Kunststoffen, Glas oder Keramik, auf diese übertragen und steht so für nachfolgende Reaktionen auf den Materialen zur Verfügung. Auf diese Weise entstehen Oberflächen mit idealen Eigenschaften zum Beschichten, Bedrucken, Kleben oder Schäumen.
Umweltfreundliche Vorbehandlung in Sekundenschnelle. Openair-Plasma bewirkt die mikrofeine Reinigung und simultane Aktivierung von Materialoberflächen
(Quelle: Plasmatreat)
Reinigung und Aktivierung in nur einem Schritt: Der Vorbehandlungsprozess ist sehr schnell und insbesondere umweltfreundlich: Die Düsen werden nur mit Druckluft und Hochspannung betrieben. Als besonderes Merkmal verfügt die Technik über spezielle Düsen, bei denen der austretende Plasmastrahl praktisch potentialfrei ist, wodurch selbst empfindliche elektronische Komponenten durch das Plasma nicht geschädigt werden. Die Plasmaintensität selbst ist so hoch, dass beim Einsatz von statischen Feindüsen Bearbeitungsgeschwindigkeiten von mehreren 100 m/min erreicht werden können. Je nach Geschwindigkeit und Abstand des zu behandelnden Materials wird eine unterschiedliche Aktivierung der Oberflächen erreicht. Feindüsen mit relativ kleinem Austrittswinkel eignen sich zur Behandlung schmaler Profile und komplexer Geometrien, während patentierte Rotationsdüsen Flächen bis zu 50 mm Breite oder als Doppeldüse bis zu 100 mm bearbeiten. Für noch größere Bearbeitungsflächen werden mehrere Plasmadüsen miteinander kombiniert.
Die Kunststoffoberfläche wird nach der Behandlung polar und die Oberflächenenergie steigt auf >72 mJ/m² bei großem Prozessfenster (Quelle: Plasmatreat)
Das Plasmasystem ist durch eine dreifache Wirkung gekennzeichnet: Innerhalb von wenigen Sekunden und in nur einem Arbeitsschritt bewirkt es die mikrofeine Reinigung, statische Entladung sowie die simultane ortsselektive Aktivierung (reaktive Veränderung) einer Oberfläche.
Zu einer Erhöhung der Oberflächenenergie, kommt es bei einer Aktivierung durch die chemische und physikalische Wechselwirkung des Plasmas mit dem Substrat. Trifft das Plasma auf eine Kunststoffoberfläche, so werden dabei Sauerstoff- und stickstoffhaltige Gruppierungen in die meist unpolare Polymermatrix eingebaut. Die ortsselektive Plasmabehandlung bewirkt, dass das unpolare Substrat an dieser Stelle polar wird und damit seine Oberflächenenergie ansteigt. Dabei lassen sich sogar Oberflächenenergien von über 72 mJ/m² erzeugen. Aluminium oder Glas haben von sich aus bereits polare Oberflächen, deren Energie jedoch durch Schichten von Oxiden, Staubablagerungen, Fetten, Ölen oder anderen Kontaminationen in Hinblick auf gute Haftungseigenschaften nicht zur Wirkung kommen kann. Hier ist es der Feinstreinigungseffekt des Plasmas, der reinigend und abtragend wirkt und die im Substrat bereits vorhandene hohe Oberflächenenergie wieder freilegt. Materialien können nach einer Reinigung und Aktivierung mit AD-Plasma sofort weiterverarbeitet werden.
Funktionale Plasmabeschichtung unter Normaldruck: Durch die Entwicklung spezieller Düsensysteme und dem Zusatz eines Precursors wurde die Openair-Plasmatechnik in enger Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IFAM, Bremen zu Zwecken der Nanobeschichtung weiterentwickelt und wird (Markenname: PlasmaPlus) in unterschiedlichen Industriebereichen zur Schichtabscheidung und Funktionalisierung von Oberflächen genutzt.
Mit dem Verfahren können dünne Plasma-Polymerschichten unter Atmosphärendruck – und somit unter normalen Produktionsbedingungen – erzeugt werden. Bei der Beschichtung werden speziell auf den Anwendungsbereich zugeschnittene Substanzen, sogenannte Precursor, bis in die Nanostrukturen der Materialoberfläche abgeschieden. So kann bei einer gewählten haftvermittelnden Funktion eine solche Schicht zum Beispiel im Automobilbau lösemittelhaltige Primer komplett ersetzen. Durch die hochenergetische Anregung im Plasma wird der Precursor fragmentiert. Er scheidet sich auf der Substratoberfläche als glasartige Schicht ab. Die hocheffektive Funktionsbeschichtung bewirkt, dass Materialien völlig neue Oberflächeneigenschaften erhalten.
Beim PlasmaPlus-Verfahren können mit Hilfe eines Precursors nanofeine Funktionsschichten ortsselektiv auf Materialoberflächen aufgebracht werden (Quelle: Plasmatreat)
Forschung und Anwendung: Der universellen Anwendung der atmosphärischen Plasmatechnologie sind kaum Grenzen gesetzt. Neben bereits realisierten Möglichkeiten des Einsatzes, beispielsweise in der Spritzgusstechnik oder im Extrusionsprozess, bei Aluminiumbauteilen, in der Elektronik, Medizin- und Verpackungstechnik oder beim Einsatz im Automobil-, Schiff- und Flugzeugbau, bietet die Technologie gute und einfach umzusetzende Ansatzpunkte zur Nutzung für nahezu jede Art von Produkt und festem Werkstoff.
Wasser- und schmutzabweisend: Mittels PlasmaPlus werden Oberflächen gebildet, die hydrophob, also Wasser abweisend sind. Sie wirken per se auch schmutzabweisend und ermöglichen die einfache Selbstreinigung ohne mechanische Einwirkung.
Barrierebeschichtung: Ein wichtiges Forschungsziel sind mittels Plasma gebildete Barriere- oder Diffusionsschichten. Sie gelten als sicherer Schutz bei Verpackungen für Lebensmittel, Getränke und Medizin und sind eine wirksame Sperre gegenüber Kohlenstoffdioxid, Sauerstoff und Wasser. Sie können auf unterschiedlichste Kunststoffe aufgebracht werden und ermöglichen so beispielsweise die Produktion von Barrierefolien oder PET-Flaschen mit CO2-Barriere.
Medizintechnik: Mittels Atmosphärendruckplasma ist zum Beispiel die Abscheidung fotokatalytisch wirksamer Titandioxidschichten möglich. Diese Schichten haben unter Einwirkung von Sonnenlicht und Feuchtigkeit einen selbstreinigenden und keimtötenden Effekt. Insbesondere zur Beschichtung von medizinischen- und Sanitärprodukten ist diese Anwendung interessant, da manuelle Reinigungsintervalle verlängert werden oder komplett entfallen können.
Hybrid-Spritzguss: Die Praxis zeigt, dass auch ein ursprünglich dichter Verbundspritzguss nach einiger Zeit undicht werden kann und in Folge sein Zusammenhalt und die Funktion der Bauteile nicht mehr gegeben sind. Das vorzeitige Haftungsversagen beruht in vielen Fällen auf einer Feuchtigkeitsaufnahme in Kombination mit Sauerstoff, die eine Unterwanderung der Grenzfläche mit sich bringt. Nach intensiven Forschungsarbeiten ist es mit einer neuen Beschichtungstechnologie (Markenname: Plasma-SealTight) gelungen, nicht nur eine bedeutende Haftungsverbesserung zwischen Kunststoff-Metall im Hybrid-Spritzguss zu erreichen, sondern auch einen mediendichten Verbund. Dazu wird eine haftungsaktive und korrosionsschützende Nanobeschichtung auf die Metalloberfläche aufgebracht, die sich mit einem anschließend angespritzten und kundenspezifisch hergestellten Kunststoff-Compound stoffschlüssig verbindet.
Antihaft-Beschichtungen: Die Plasmaschicht kann auch als universelle Trennschicht für Spritzgusswerkzeuge eingesetzt werden. Für eine Vielzahl unterschiedlicher Spritzgussmaterialien auf Polymer- und Kautschukbasis bietet sie ausgezeichnete Trenneigenschaften. Der Anti-Haftungseffekt entsteht allein durch die Plasmapolymerisation auf der Werkzeugoberfläche. Nasschemische Trennmittel werden durch das Verfahren komplett ersetzt und auch der Ausbau der Form zur Neubeschichtung entfällt, denn abgenutzte Schichten brauchen nicht mehr entfernt werden. Die neue Schicht kann direkt auf die eingebaute Form aufgebracht werden.
Solarenergie: Wurde bislang ein erforderlicher Korrosionsschutz durch polymere Beschichtungen im µ-Bereich erzeugt, so ermöglicht die atmosphärische Plasmapolymerisation den gleichen Schutz, jedoch bei weit geringerer Schichtdicke und zwar im Nanometerbereich, was eine deutliche Reduzierung der Lichtabsorption der Schicht zufolge hat.
Nanobeschichtung komplexer dreidimensionaler Bauteile: Mit der auf dem Openair-Verfahren basierenden PlasmaPlus-Technik ist auch eine Beschichtung von komplexeren 3D Bauteilen mit Atmosphärendruckplasma möglich. Das Beschichtungsmaterial erreicht dabei auch schwer zugängliche Bereiche wie tiefe Nutgeometrien oder Hinterschnitte. Es gelingt so beispielsweise, bestückte Leiterplatten auf und unter den Bauteilen vollständig zu beschichten.
Korrosionsschutz von Aluminium: Die Korrosionsschutzwirkung durch die atmosphärische Plasmapolymerisation ist besonders effektiv bei Aluminiumlegierungen und erfüllt die Anforderungen der DIN EN ISO 9227. Über das Plasma trägt das Düsensystem den Korrosionsschutz berührungslos auf die Aluminiumoberfläche auf. Die PlasmaPlus-Schicht verbindet sich stoffschlüssig mit dem Metall und gewährleistet optimalen Schutz gegen eindringende Feuchte. Aktuell durchgeführte Salzsprühtests zeigen, dass mit ihr abhängig von Legierung und Dichtkonzept sogar 960 Stunden bis zum Durchbruch erreicht werden. Gleichzeitig bildet die plasmapolymere Schicht einen exzellenten Haftgrund für sowohl Flüssigdichtungen, als auch für Feststoffdichtungen aus beispielsweise EPDM.
Die Korrosionsschutzwirkung durch die atmosphärische Plasmapolymerisation ist besonders effektiv bei Aluminiumlegierungen (Quelle: Plasmatreat)
Direktverglasung: Plasmatreat hat zusammen mit Ford Automotive ein Verfahren entwickelt, um im Prozess der Direktverglasung eine umweltfreundliche Vorbehandlung ohne jegliche VOC Emissionen zu ermöglichen.
Ausblick: Zu den besonderen Vorteilen des Openair-Plasma-Verfahrens zählen außer der Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit im Produktionsprozess insbesondere seine ortselektive Anwendung. In Hinblick auf das PlasmaPlus-Verfahren bedeutet die Möglichkeit der Herstellung von Produkten mit gezielt funktionalisierten Oberflächen eine vollkommen neue Dimension der Innovationsfähigkeit. Alle Systeme sind uneingeschränkt roboterkompatibel und sowohl für den in-line wie auch den externen Einsatz konzipiert. Ferner lässt sich die einfache Integration in die Prozessabläufe ebenso erfüllen wie Einsparungen an Material- und Prozesskosten im Vergleich zu herkömmlichen Methoden und dies bei absoluter Umweltverträglichkeit.
Autor: Inès Melamies