Substitution von chrom(VI)basierten, funktionalen Beschichtungsprozessen

Oberflächen 05. 04. 2023

– Gemeinsame Entwicklung
von Strategien und Lösungen

Von Dr. Uwe König, Berthold Seßler, Ernst-Udo Sievers (eiffo eG); Matthias Enseling, Marita Voss-Hageleit (Vecco e. V.); Christian Herzog (AOT), Arjan de Bruin (V.ION)

Am 1. Juli 2021 ist das Netzwerk vecco:net mit einer Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie an den Start gegangen. Das Konzept des Unternehmensnetzwerks sowie Motivation und Hintergrund der Initiative des Vecco e. V. und der eiffo eG zusammen mit dem Verband der niederländischen Oberflächentechnik Vereniging ION und der österreichischen AOT wurden in WOMag 11/2021 ausführlich beschrieben. Das Netzwerk ist inzwischen erfolgreich etabliert und seit Januar 2023 läuft mit derzeit 37 teilnehmenden Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Verbänden die Umsetzung der erarbeiteten Roadmap für Forschung und Entwicklung zur Substitution chrom(VI)basierter Beschichtungsprozesse. Für die teilnehmenden Unternehmen ist die Netzwerkarbeit eine wesentliche Komponente des Substitutionsplans im Kontext ihrer REACh-Autorisierungen.

1 vecco:net – ­Rahmenbedingungen und aktueller Stand

Die Motivation der Netzwerkpartner, gemeinsam Strategien und Lösungen für chrom(VI)-
freie Alternativen zu den bisherigen Hartchrom-, Glanzchrom-, Schwarzchrom- und weiteren chrom(VI)basierten Beschichtungsprozessen zu finden, hat sich im Verlauf der bisherigen gemeinsamen Arbeit weiter verstärkt. Hierzu trug die zunehmende Verschär­fung der Umweltgesetzgebung mit einer strikten Umsetzung des European Green Deal und der politisch auch in diesem Kontext verorteten REACh-Verordnung erheblich bei. Die aktuelle Diskussion über die Anträge der Autorisierungskonsortien von CTAC und Hapoc, deren Substitutionspläne aufgrund der Breite der darin betrachteten Anwendungen als nicht spezifisch genug beurteilt wurden, markiert dabei einen vorläufigen Höhepunkt. Es ist damit noch klarer geworden, dass die Substitution von chrom(VI)basierten Beschichtungsverfahren für die gesamte Branche der Oberflächentechnik zwingend ist. Offen ist lediglich der für den Substitu­tionsprozess erforderliche beziehungsweise genehmigte Zeitraum, der von der Verfügbarkeit geeigneter Ersatztechnologien für die vielfältigen, unterschiedlichen Anwendungen abhängig ist. Hier sind viele Betriebe allein überfordert, weil alternative Technologien für
viele Anwendungen noch nicht ­verfügbar beziehungsweise nicht reif genug sind. Dies kann allerdings nur mit aufwendigen Technologievergleichen und gezielten Anwendungstests mit ausgewählten Verfahren ermittelt werden.

Die Synergien im vecco:net und der Erfahrungsaustausch mit Branchenkollegen wie Technologieexperten von anderen ­Disziplinen stellt hier für die Netzwerkteilnehmer eine erhebliche Unterstützung dar. Derzeit koope­rieren im vecco:net 23 Unternehmen aus Deutschland, der Niederlande und Österreich, deren Zusammensetzung mit zahlreichen Beschichtungsunternehmen, kleinen, mittle­ren und großen Herstellern von Zwischen- und Endprodukten ebenso wie Technologie­partnern beispielsweise aus Anlagenbau, Chemie, Werkstoffe oder ­Steuerungstechnik die Lieferketten der Oberflächentechnik und ihre zahlreichen Anwendungen gut abbildet. Weiterhin gehören dem Netzwerk acht Forschungseinrichtungen und fünf Verbände und Cluster sowie das Netzwerkmanagement mit eiffo eG und dem niederländischen Partner Innovat.ION an. Mit mehr als zehn weiteren Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Industrieorganisationen besteht eine projektbezogene Zusammenarbeit.

Perspektivisch für die weitere Arbeit sind hier insbesondere die begonnenen Kooperationen mit der Gemeinschaft Thermisches Spritzen e. V. (GTS) sowie der Europäischen Forschungsgesellschaft Dünne Schichten e. V. zu nennen. Der damit mögliche fachübergreifende Austausch stellt eine zuverlässige Grundlage für die im Autorisierungsprozess geforderte, kompetente und neutrale Technologiebewertung dar.

2 Gemeinsames ­Entwicklungskonzept

Im Zentrum von vecco.net steht die gemeinsame Bearbeitung von Themen im Prozess der Substitution von sechswertigem Chrom, im Verbund von Beschichtungsbetrieben, Anwendern, Technologielieferanten und Forschungseinrichtungen unter Einbindung der relevanten Akteure entlang der Lieferkette. Ziel ist eine weitgehende Erhaltung der bestehenden Lieferketten, um damit auch Produktionssicherheit, Arbeitsplätze, Fachwissen und Märkte bestmöglich zu erhalten.

Die Kernpunkte der Netzwerkarbeit sind (Abb. 1):

  • Vergleich und Bewertung von Alternativen zu chrom(VI)basierten Beschichtungen
  • Gemeinsamer F&E Entwicklungsplan (Roadmap) für die Entwicklung von Alternativen; Basis für die Substitutionsplanung im Prozess der Re-Autorisierung
  • Konkrete Entwicklung von alternativen Technologien zum Ersatz chrom(VI)basierter Beschichtungen für spezifische Anwendungen (Durchführung in gemeinschaft­lichen F&E-Projekten)
  • Erprobung und industrielle Umsetzung der entwickelten Technologien

Abb. 1: Kernpunkte der Netzwerkarbeit

 

Für die Finanzierung von Entwicklung und industrieller Umsetzung von alternativen Technologien werden dabei soweit wie möglich öffentliche Fördermittel mit Unterstützung von vecco:net beantragt.

Das Technologiekonzept von vecco:net für den Substitutionsprozess folgt der Vision, die notwendige Entwicklung zur Vermeidung schädlicher Stoffe mit der Weiterentwicklung von Produktqualität, Prozesseffizienz und Nachhaltigkeit zu verknüpfen und so gleichzeitig mit der Erfüllung der REACh-Vorgaben die Energiekosten und Emissionen an Kohlenstoffdioxid (CO2) zu reduzieren. Die Umsetzung dieses Technologiekonzepts erfolgt in drei wesentlichen Handlungsfeldern (Tab. 1).

 

3 Gemeinsame ­Umsetzung im Netzwerk

Großes Gewicht wird insbesondere auf die anwendungsspezifische Bedarfsermittlung einschließlich spezifischer Kundenanforderungen der Netzwerkpartner gelegt. Die Markt-/Kunden- und Produktanforderungen sind hier durch folgende kritische Merkmale bestimmt:

  • Die Umsetzungsmöglichkeiten der potenziellen Alternativen zur Verchromung auf Basis von Chrom(VI) sind sehr stark abhängig von den individuellen Anforderungen der Produkte. Die häufigsten kritischen Anforderungen an Alternativen sind dabei:
    – Korrosionsschutzeigenschaften von vielen Alternativen nicht ausreichend
    – Abscheidbare Schichtdicken und wirtschaftliche Beschichtungsraten (besonders bei Prozessen auf Basis von dreiwertigen Chromverbindungen, aber auch bei physikalischen Verfahren)
    – Stabilität der Schichten, besonders Abrieb- und Kratzfestigkeit
    – Rauigkeit und Polierfähigkeit der Schichten
    – Farbe (besonders bei Chrom(III)prozessen)
    – Beschichtbarkeit von unterschiedlichen Substraten
    – Beschichtung von komplexen Produktgeometrien (3D, Hohlteile)
    – Aufwand für Vor- und Nachbehandlung
  • Verfügbare Informationen zu generischen Alternativprozessen besitzen somit keine allgemeine Gültigkeit; die detaillierte Analyse der Anforderungen und der Abgleich mit den Eigenschaften von alternativen Beschichtungen und Prozesse sind entscheidend.
  • Für viele Produkte und Einsatzbereiche ist die Anwendbarkeit von Alternativen noch nicht untersucht. Gleichzeitig sind die Informationen über den Entwicklungsstand alternativer Technologien in aller Regel nicht ausreichend, insbesondere im Hinblick auf die Erfüllung spezifischer Anforderungen beziehungsweise Funktionalitäten.
  • Die Identifikation von ­Entwicklungsthemen bedingt somit konkrete Angaben der Betriebe zum Produktprogramm und den spezifischen Anforderungen.
  • Kundeninformationen oder Unterstützung von Kunden im Substitutionsprozess für die Beschichtungsbetriebe sind dabei nur bedingt verfügbar.
  • Ein wachsendes Kundenbewusstsein für die Notwendigkeit der Chrom(VI)substitution ist festzustellen. In der Planung vieler Kunden wird Verchromung nur noch solange einbezogen, wie das Verfahren auf Basis von Chrom(VI) noch verwendet werden kann. Neue Produkte werden oft nicht mehr auf Verchromung abgestellt.
  • Einige Verchromungsbetriebe werden daher aus dem Markt ausscheiden, wenn eine Abscheidung aus Chrom(VI)prozessen nicht mehr möglich ist. Diese Einschätzung ist unabhängig von möglichen Alternativen und basiert auf den individuellen Entwicklungsmöglichkeiten der Betriebe.

In Technischen Arbeitsgruppen mit Netzwerkpartnern und externen Technologiefachleuten werden die spezifischen Anforderungen der Netzwerkpartner und die Eigenschaften von relevanten Alternativtechnologien abgeglichen und so aussichtsreiche Verfahren bedarfsgerecht für die weitere Entwicklung ausgewählt, bewertet und relevante Entwicklungsthemen definiert. Zu folgenden Themen wurden Technische Arbeitsgruppen etabliert:

  • Chrom(III)basierte Verchromungsprozesse als Ersatz für Hartchrom
  • Laserauftragschweißen mit Schwerpunkt auf dem EHLA-Verfahren (Extremes Hochgeschwindigkeits-Laserauftragsschweißen)
  • PVD/CVD- und Plasma-Beschichtungs­verfahren
  • Thermisches Spritzen; hierzu ist eine weitere Arbeitsgruppe im Aufbau in Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft Thermisches Spritzen GTS. Basis dafür ist das Statusseminar am 10./11. Mai 2023 bei der Linde AG in München (siehe Anhang zum Beitrag)
  • Ersatz von Schwarzchrom und weiteren Sonderanwendungen von chrom(VI)basierten Elektrolyten.
  • Komplementäre Systementwicklung, besonders zu Digitalisierung, intelligenter Prozess­überwachung und -simulation.

3.1 Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Einige wichtige Ergebnisse dieser Technischen Arbeitsgruppen sind nachfolgend zusammengefasst:

Eine Verchromung aus Chrom(III)elektrolyten ist überwiegend noch Wunschalternative von vielen Anwendern, auch als Ersatz für die funktionale Verchromung und insbesondere die Hartverchromung. Allerdings sind bei den hier erforderlichen Schichtdicken die Zusammensetzung und Struktur der Chromschicht sowie die erreichten Eigenschaften ­häufig noch nicht eindeutig reproduzierbar. Oftmals werden andere Stoffe (u.a. Fremdmetalle) eingearbeitet, welche die Eigenschaften der Beschichtung beeinflussen. Die Eigenschaften von konventionellen Hartchromschichten ­werden damit bisher nicht erreicht. Auch sind Produktionstechnik und Entsorgung noch kritisch und bleiben voraussichtlich deutlich aufwendiger als in der Hartverchromung. Darüber hinaus sind die für diese Prozesse benötigten Additive möglicherweise in Zukunft ebenfalls von Nutzungsbeschränkungen betroffen. Trotz dieser Einschränkungen wurden in vecco:net relevante Entwicklungsthemen identifiziert und in erste F&E-Projekte und Förderanträge umgesetzt. Primär erfolgen weitergehende Untersuchungen zu Chrom(III)elektrolyten allerdings eher individuell zwischen einzelnen Anwendern und wenigen großen Chemielieferanten und in der Regel ohne den kooperativen Ansatz eines Netzwerks. Eine breiter angelegte Bewertung des aktuellen Entwicklungsstands der Verchromung aus Elektrolyten auf Basis von Chrom(III)verbindungen innerhalb des Netzwerks wird in einem in Kürze geplanten vecco:net Statusseminar vorgenommen.

Der Fokus in vecco:net hat sich deshalb stärker auf physikalische Beschichtungstechnologien für den Ersatz der Verchromung aus Elektrolyten mit Chrom(VI) verlagert. Hierfür wurden bereits eine Reihe aussichtsreicher Beschichtungsverfahren und Technologie­anbieter identifiziert.

Eine wichtige Alternative zur Hartverchromung von rotationssymmetrischen, teils auch von planen Bauteilen kann besonders das Extreme Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen (EHLA) darstellen. Praktische Industrieanwendungen des Verfahrens gibt es seit etwa vier Jahren. In Webinaren und einem ganztägigen Technologie-Workshop am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik (ILT) mit 20 Teilnehmenden wurden konkrete Anwendungsmöglichkeiten für Produkte der Netzwerkpartner bewertet und weitere Entwicklungsschritte festgelegt.

Weitere physikalische Beschichtungsverfahren, die für den Ersatz funktionaler Chromschichten aussichtsreich sind, wurden in Workshops mit ausgewählten Technologieanbietern identifiziert. Zu nennen sind hier PA-CVD-Verfahren, teils in Kombination mit Plasmanitrieren, Hochenthalpie-Plasmabeschichten (HE-MVD) und der Inorcoat PVD-Prozess. Die Verfahren haben jeweils für unterschiedliche Anwendungen unterschiedliche Vor- und Nachteile. Die Entwicklung in diesem Bereich soll auch durch eine Zusammenarbeit mit der EFDS Europäische Forschungsgesellschaft Dünne Schichten e. V. weiter vorangetrieben werden.

Als eines der Ergebnisse der Technischen Arbeitsgruppen wurde eine F&E-Roadmap (Tab. 2) erstellt, die jährlich fortgeschrieben werden wird.

 

3.2 Umsetzung der F&E-Roadmap

Erste Projekte zur Umsetzung der F&E-Roadmap wurden bereits auf den Weg gebracht; hierzu zählen die Kontrolle des Abscheideprozesses aus Chrom(III)elektrolyten, die Online-Überwachung von sechswertigen Chromverbindungen und die chrom(VI)freie Passivierung mit verbesserten Korrosions­inhibitoren. Für diese Vorhaben sind auch Forschungsfördermittel beantragt.

Für die breite Umsetzung von Alternativen zur funktionalen Verchromung stehen jedoch zunächst Anwendungsversuche/Praxistests zur weiteren Charakterisierung von konkreten Anwendungen im Vordergrund der Entwicklung. Hierzu laufen derzeit unterschiedliche Versuchsprogramme mit den oben genannten physikalischen Beschichtungsverfahren für verschiedene Produkt- und Anforderungsklassen:

  • EHLA-Verfahren (Extremes Hochgeschwindigkeits-Laserauftragsschweißen; Abb. 2)
  • Hochenthalpie-Plasmabeschichten (HE-MVD; Abb. 3); der Prozess verbindet vom Ergebnis die Vorteile des Plasmaspritzens mit den Vorzügen von PVD-Verfahren
  • Inorcoat PVD-Verfahren – Ersatz von Hartchrom bei strukturierten Oberflächen
  • PA-CVD, auch in Kombination mit Plasmanitrieren
  • Erste Tests mit Thermisch Spritzen in Verbindung mit einem abgestimmten Schleifprozess

Abb. 2: EHLA - Laserkopf und Werkstück

Abb. 3: Hochenthalpie Plasmabeschichtung – Blick in die Plasmakammer (Bild: 4th Condition GmbH)

 

Die Versuchsergebnisse werden nach den Kriterien in Tabelle 3 ausgewertet und die Verfahren verglichen. Die Ergebnisse aus dem Versuchsprogamm stehen den Netzwerkpartnern zur Verfügung.

Darauf aufbauend werden aussichtsreiche Substitutionsverfahren für die unterschiedlichen Anwendungen ausgewählt und konkrete Anwendungsentwicklungen geplant. Als Fazit sind folgende Punkte zu nennen:

  • Die Anwendungsmöglichkeiten potenzieller Alternativen sind sehr stark abhängig von den Anforderungen der Produkte
  • Verfügbare Informationen zu alternativen Prozessen zur funktionalen Verchromung besitzen keine allgemeine Gültigkeit; Informationen über den Entwicklungsstand von alternativen Technologien sind häufig nicht ausreichend
  • Erst auf Basis gezielter Applikationstests für spezifische Produktklassen und Einsatz­anforderungen können aussichtsreiche Alternativen ausgewählt werden
  • Darauf aufbauend sind in der Regel für die tatsäch­liche Technologiesubstitution noch konkrete Anwendungsentwicklungen nötig
  • vecco:net hat mit einer Reihe von Technologieanbietern und -entwicklern diesen Qualifizierungsprozess für Alternativtechnologien aufgenommen
  • Die Umsetzung erfolgt im Rahmen einer F&E-Roadmap, die laufend fortgeschrieben wird.

Statusseminar zum ­Thermischen Spritzen

vecco:net ist eine offene Entwicklungs- und Innovationsplattform, die Teilnahme interessierter Unternehmen, Technologieanbieter, Forschungseinrichtungen und Fachverbände ist grundsätzlich jederzeit möglich. Um einen persönlichen Eindruck zu gewinnen, sind Interessenten zum Statusseminar Anwendungspotential des Thermischen Spritzens als Substitution für die funktionelle Verchromung, das in Zusammenarbeit mit der GTS Gemeinschaft Thermisch Spritzen e. V. am 10. und 11. Mai 2023 im Linde Technology Center in Unterschleißheim stattfindet, eingeladen.

Weiterführende Informationen zum vecco:net sind zu finden auf

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