Biologisch abbaubare Implantate

Medizintechnik 08. 06. 2022
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Paderborner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen forschen an sich auflösenden Medizinprodukten

Ob Knochenschrauben, Platten oder Stents – täglich werden in Deutschlands Krankenhäusern Implantate eingesetzt. Nicht selten müssen diese in einer Folgeoperation allerdings wieder entfernt werden, zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen, da sich ihre Knochen noch im Wachstum befinden. Doch jede weitere Operation birgt ein Risiko und kostet Geld. Eine mögliche Lösung: Stents und Co, die nach einigen Wochen oder Monaten – je nach Anwendungsfall – abgebaut und vom Körper verstoffwechselt werden. Noch sind diese Medizinprodukte selten im Einsatz – an der Universität Paderborn arbeitet ein interdisziplinäres Team daran, leistungsfähige Implantate zu entwickeln.

Die Herausforderung ist, Materialien zu finden, die stabil genug sind und so lange halten, wie der Körper sie zur Heilung benötigt, und die dann problemlos und vor allem kontrolliert abgebaut werden. Im Fokus der Forschung stehen aktuell Eisen, Magnesium und Zink. Reines Eisen löst sich extrem langsam auf, Magnesium extrem schnell. Zink an sich korrodiert gut, jedoch ist seine Festigkeit oft nicht ausreichend. Forschende weltweit sind auf der Suche nach der perfekten Legierung, dem optimalen Implantat für die jeweilige Anwendung. Dabei müssen neben dem Anwendungsfeld auch Biokompatibilität – also die Verträglichkeit mit dem Körper –, Produktion und Herstellungskosten berücksichtigt werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert verschiedene Projekte in dem Bereich, einige davon werden in Paderborn umgesetzt.

Eisenlegierungen im Test

An der Universität Paderborn forschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der Technischen und Makromolekularen Chemie sowie Werkstoffkunde seit einigen Jahren in diesem Bereich. Sie haben den Fokus gemeinsamer Arbeiten auf das Metall ­Eisen gelegt. Das Team untersucht ­speziell Eisen-Mangan-Legierungen, da reines Eisen viel zu lang zum Auflösen bräuchte. In Eisen-Man­gan-Legierungen sehen wir großes Potenzial, da die Kombination aus mechanischen Eigenschaften, Biokompatibilität und den Korrosionsraten vielversprechend ist, ­erklärt PD Dr. Adrian Keller. Wer jedoch medizinische Produkte entwickeln möchte, muss zwangsläufig auch die physiologische Umgebung betrachten. Dafür werden beispielsweise Körperflüssigkeiten simuliert und die Proben in Experimenten getestet.

In einer kürzlich veröffentlichen Studie im Fachjournal Materials and Corrosion [1] analysierten die Paderborner ­Wissenschaftlerin Jingyuan Huang und ihre Kollegen die Oberflächenkorrosion, also das gewünschte Auflösen des Materials, und Ermüdungserscheinungen der Legierung in einer künstlichen Körperflüssigkeit. Um das im Körper den Knochen umgebende Gewebe zu simulieren, trugen sie ein Hydrogel auf die Probe auf. Ihr Ergebnis: Diese Gewebeschicht beeinflusst die Korrosionsgeschwindigkeit zwar nicht maßgeblich, verhindert jedoch den Niederschlag von Korrosionsprodukten wie Oxiden und Phosphaten auf der Eisenoberfläche.

Proteine beeinflussen die Korrosionsrate

Kollegen aus dem Lehrstuhl für Werkstoffkunde arbeiten mit dem Team aus der Technischen und Makromolekularen Chemie an der Herstellung und Analyse ­neuartiger Legierungen. Für eine Veröffentlichung im Fachmagazin Corrosion Science [2] produzierten die Maschinenbauer Implantate mittels pulverbettbasiertem selektivem Laserstrahlschmelzen (engl. Laser PowderBed Fusion, LPBF). Bei diesem Verfahren werde metallisches Pulver schichtweise in der Fertigungsanlage abgelegt und lokal von einem Laser aufgeschmolzen, erklärt Dr.-Ing. Kay-Peter Hoyer. So werde das Produkt Schicht für Schicht aufgebaut und extrem komplexe, filigrane Strukturen mit zum Teil neuen und innovativen Werkstoffen seien realisierbar.

In dieser Studie verglichen die Forschenden Proben aus reinem Eisen sowohl mit einer Eisen-Mangan-Legierung, die gewalzt wurde, als auch mit einer durch LPBF hergestellten Probe. Die LPBF-gefertigten Eisen-Mangan-Legierungen wiesen die höchste Korrosions­rate auf. Ein weiterer Fokus lag auf den Prozessen an der Oberfläche der Implantate. Denn: In Körperflüssigkeiten wie Blutplasma sind beispielsweise Proteine vorhanden, die in Wechselwirkungen mit der Oberfläche des Implantats treten können. Wir haben herausgefunden, dass sowohl die Mikrostruktur der Implantate als auch die umgebenden Proteine einen Einfluss auf die Abbaurate der Legierungen haben, sagt Keller. Die LPBF-gefertigten Proben haben aus unserer Sicht mehr Chancen, in Zukunft eingesetzt zu werden.

Neu sind biologisch abbaubare ­Implantate also nicht – doch bis zum perfekten ­Produkt ist noch einige Forschung zu leisten. Forschende aus Paderborn arbeiten daran. Genau das sei es, was die Forschung so spannend mache: Es gebe noch so viel zu entdecken und es werde dauern, bis wir die komplexen Prozesse – zum Beispiel an der Grenzschicht zwischen Implantat und der jeweiligen Umgebung – verstanden haben, so Keller. Besonders wichtig für ihn: Dieses Thema sei nicht nur im Labor spannend, sondern für die Gesundheit der Gesellschaft relevant.

Literatur:

[1] J. Huang, M. Voigt, St. Wackenrohr, Chr. Ebbert, A. Keller, H. J. Maier, G. Grundmeier: Influence of hydrogel coatings on corrosion and fatigue of iron in simulated body fluid; Materials and Corrosion, 10.02.2022, Wiley-VCH GmbH, doi.org/10.1002/maco.202112841

[2] J. Huang, A. Gonzalez Orive, J. T. Krüger, K.-P. Hoyer, A. Keller, G. Grundmeier: Influence of proteins on the corrosion of a conventional and selective laser beam melted FeMn alloy in physiological electrolytes; Corrosion Science, Vol. 200 (2022), 110186, ISSN 0010-938X, doi.org/10.1016/j.corsci.2022.110186

Kontakt:

PD Dr. Adrian Keller, Technische Chemie, Arbeitskreis Grundmeier, E-Mail: adrian.keller@upb.de

Dr.-Ing. Kay-Peter Hoyer, Werkstoffkunde,
E-Mail: hoyer@lwk.upb.de

Text zum Titelbild: Prototypen eines vom Lehrstuhl Werkstoffkunde mittels LPBF gefertigten Stents aus einem Eisen-Mangan-Silber-Mischmaterial im Vergleich zu einer 1-Cent-Münze (Foto: Universität Paderborn/Jan Tobias Krüger)

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