Energiesparen durch schaltbare Magnetwerkstoffe

Werkstoffe 05. 09. 2021
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Ein internationales Forschungsteam erreicht erstmalig eine Magnetisierungsumkehr in magnetischen Schichten über eine Ionenbewegung durch elektrische Felder

Der ansteigende Energieverbrauch durch die Digitalisierung unserer Lebensweise stellt ein globales Problem dar. In magnetischen Datenspeichermedien wie Festplatten werden die Informationen in Bereichen mit verschiedener Richtung der Magnetisierung gespeichert. Die Kontrolle der Magnetisierungsrichtung erfolgt dabei durch elektrische Ströme oder über äußere Magnetfelder, die wiederum über stromdurchflossene Mikrospulen erzeugt werden. In beiden Fällen kommt es durch den elektrischen Stromfluss zu Energieverlusten. Die Kontrolle der Magnetisierungsrichtung über elektrische Felder ist daher ein vielversprechender Ansatz, um den Energieverbrauch von magnetischen Speichermedien zu senken. Bisher war dies meist nur mit hohen Spannungen oder bei sehr niedrigen Temperaturen möglich.

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Technischen Universität Chemnitz und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW Dresden) konnte nun an magnetischen Dünnschichten ein Schalten der Magnetisierung um 180° mit geringen elektrischen Spannungen demonstrieren. Das ist vielversprechend für eine signifikante Energieeinsparung in modernen Speichermedien auch unter alltäglichen Bedingungen.

Die Forscher nutzen dazu ferrimagnetische Dünnschichten. Ferrimagnete zeichnen sich durch magnetische Untergitter aus, die voneinander verschiedene und entgegengerichtete Spontanmagnetisierungen aufweisen. Die Gesamtmagnetisierung ergibt sich aus beiden Anteilen. Für das ferrimagnetische Material Gadolinium-Kobalt konnten die Forschenden nun zeigen, dass die relative ­Größe der Magnetisierungen der einzelnen Untergitter über eine elektrisch induzierte und reversible Wasserstoffbeladung, einem soge­nannten magneto-ionischen Schalten, beeinflusst werden kann. Das Schalten von Magnetwerkstoffen über magneto-ionische Prozesse ist ein neuer Ansatz, der elektrochemische Mechanismen, ähnlich wie in Batteriewerkstoffen, ausnutzt.

Mit dem zusätzlichen Einfügen einer antiferromagnetischen Schicht konnte das Material so modifiziert werden, dass der sogenannte Exchange-Bias-Effekt zum Tragen kommt. Dieser sorgt dafür, dass die Magnetisierungsrichtung der Untergitter gepinnt, also festgesteckt wird. Beim magneto-ionischen Schalten kehrt sich dann entsprechend die Gesamtmagnetisierung um. In diesem Fall wird die Magnetisierung eines Ferrimagneten also erstmals nur durch ein elektrisches Feld und ohne zusätzliches äußeres magnetisches Feld geschalten.

Schema der optimierten NiO-GdCo-Schichtstrukturen mit Exchange-Bias für das 180°-Schalten der Gesamtmagnetisierung (Mnet) über ein elektrisches Feld (Grafik: Mantao Huang)

 

Wir forschen sehr intensiv an der Kombination magneto-ionischer Systeme mit antiferromagnetischen Schichten und sind Experten für die magneto-ionische Kontrolle des Ex­change Bias, erklärt Prof. Karin Leistner, die seit Mai Professorin für Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung an der TU Chemnitz ist. Für den Übergang auf Exchange-Bias-Systeme konnten Karin Leistner und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Jonas Zehner ihre Expertise in die Forschungsarbeiten einbringen.

Jonas Zehner stellte in seiner am IFW Dresden angefertigten Doktorarbeit während eines Auslandsaufenthalts am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Dünnschichtabfolgen mit Verdampfungsverfahren für Dünnschichten im Vakuum her und optimierte die Dicken, die Zusammensetzung und die Abfolge der Materialschichten an einem Modellsystem, um den Exchange-Bias-Effekt in magneto-ionischen Schichtsystemen zu stabilisieren. Die magnetischen Eigenschaften während der Wasserstoffbeladung detektierte er mit einem oberflächensensitiven magneto-optischen Kerr-Aufbau. Der Forschungsaufenthalt wurde über ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu magneto-ionischen Systemen gefördert.

An den Arbeiten waren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der TU Chemnitz und des IFW Dresden, des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA), der University of Minnesota (USA), des Korea Institute of Science and Technology und dem ALBA Synchrotron in Barcelona beteiligt. Die Federführung lag bei den Materialwissenschaftlern Mantao Huang und Prof. Geoffrey Beach vom MIT als Experten für die wasserstoff-basierte Magneto-ionik. Die Projektarbeiten und die Zusammenarbeit mit dem MIT werden von Prof. Karin Leistner, Dr.-Ing. Jonas Zehner und weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an der TU Chemnitz in Kooperation mit dem IFW Dresden weiter­geführt.

Kontakt:

Prof. Dr. Karin Leistner, E-Mail: k.leistner@ifw-dresden.de, karin.leistner@chemie.tu-chemnitz.de

Originalpublikation:

M. Huang, M. U. Hasan, K. Klyukin et al.: Voltage control of ferrimagnetic order and voltage-assisted writing of ferrimagnetic spin textures; Nat. Nanotechnol. (2021), https://doi.org/10.1038/s41565-021-00940-1

 

Dr.-Ing. Jonas Zehner am MOKE-Aufbau zum Messen magnetoionischer Eigenschaften am MIT (Foto: Jonas Zehner/MIT)

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