Aktive implantierbare Knochendistraktoren

Medizintechnik 07. 10. 2018

- eine Herausforderung für Aktorik und Verkapselung

Von Florian Höschen, Andreas Dietz, Ulrich Mescheder und Volker Bucher, Hochschule Furtwangen,
Fakultät Mechanical and Medical Engineering

Mit dieser Studienarbeit soll ein umfangreicher Überblick zum Thema Aktive implantierbare Distraktoren gegeben werden. Ziel ist es dabei, Grundlagen für den Bau eines voll implantierbaren Kieferdistraktors zu betreiben. Zunächst wird der Begriff des Distraktors und dessen Einsatz geklärt. Im weiteren Verlauf wird eine Literaturrecherche zu bereits vorhandener Forschung und Entwicklung von intelligenten Distraktoren durchgeführt. Die relevantesten Produkte, deren Bau- und Funktionsweise werden aufgezeigt. Folgend werden unterschiedliche Antriebsarten erläutert und Motoren, die für den Bau eines intelligenten Kieferdistraktors in Frage kommen, aufgeführt. Schließlich wird die Frage nach den einzusetzenden Materialien geklärt. Dazu werden die gesetzlichen Richtlinien und Vorgaben erörtert. Die Inhalte der Recherche dienen als Basis für die nächste Entwicklungsphase zum Bau eines aktiven implantierbaren Kieferdistraktors.

Active Implantable Distractors - Challenge for Actuator Engineering and Encapsulation

With this study work a comprehensive overview of the topic Active Implantable Distractors should be given. The aim is to conduct basic research for the construction of a fully implantable jaw distractor. First, the term of the distractor and its use is clarified. In the further course a literature search was carried out on already existing research and development of intelligent distractors. The most relevant products, their construction and function are described. In addition, different drive types are explained and engines that are suitable for the construction of an intelligent jaw distractor are shown. ­Finally, the question of the materials to be used is clarified. For this purpose, the legal guidelines and requirements are discussed. This work provides the information for the next phase of development for the construction of an active implantable jaw distractor.

1 Einleitung

Das Ziel der vorliegenden Studienarbeit ist es, eine möglichst große und umfangreiche Recherche zum Thema Aktive implantierbare Knochendistraktoren beziehungsweise intelligenter Distraktor zu erstellen. Dabei sollen möglichst alle aktuellen und bereits abgeschlossenen Forschungen und Entwicklungen berücksichtigt werden.

Da mit dieser Arbeit die Grundlagen für den Bau eines intelligenten Kieferdistraktors geschaffen werden sollen, werden im Verlauf zuerst Distraktoren für den Kieferbereich, folgend auch andere bereits auf dem Markt erhältliche Geräte aufgeführt. Die gesammelten Informationen von bereits erhältlichen Geräten oder Patenten können dann für die praktische Umsetzung und den Bau eines Kieferdistraktors genutzt werden. Schließlich werden Auswahlkriterien für infrage kommende Materialien und Motoren aufgezeigt. Dabei liegt das Augenmerk, vor allem bei der Größe, darauf, einen aktiven, voll implantierbaren Distraktor für den Kieferbereich bauen zu können.

2 Erläuterungen – Distraktor

Im Folgenden soll zunächst die Begrifflichkeit eines Distraktors erläutert werden. Dazu werden verschiedene medizinische und technische Quellen genutzt.

Laut des klinischen Wörterbuchs Psychrembel ist eine Distraktion ein Verfahren zur offenen oder geschlossenen Reposition von dislozierten, ineinander verschobenen oder verkeilten Knochenfragmenten bei einer Fraktur. Dies geschieht durch manuelles oder instrumentelles Auseinanderziehen, zum Beispiel mittels Distraktor, Fixateur externe oder Extension, meist mit anschließender definitiver Osteosynthese [1]. Ein Distraktor wird demnach dazu benutzt, dass Frakturen in kontrollierter Weise repositioniert werden können.

Zuerst wurden Distraktoren zur Verlängerung von Knochen nur an Röhrenknochen verwendet. Nach weiterer Entwicklung wurden sie auch zur Verlängerung des Unterkiefers verwendet [2]. Dazu wird der Distraktor operativ an den Knochenfragmenten befestigt. Durch eine aus der Haut herausragende Stellschraube wird eine kontrollierte Bewegung des Distraktors eingeleitet. Diese Bewegung kann eine Distraktion oder eine Kompres­sion sein. Der Distraktor wird, wenn der Eingriff zu einem gewünschten Ergebnis geführt hat, wieder entfernt. Er ist nicht für den dauer­haften Verbleib im Körper gedacht [3].

Zum heutigen Stand der Technik werden verschiedene Distraktoren unterschieden. Der Hauptunterschied ist die Größe des Bauteils, die direkt dem Verwendungszweck angepasst ist. Demzufolge wird zwischen großen und kleinen Distraktoren unterschieden.

2.1 Aktueller technischer Stand

Große Distraktoren sind für eine offene oder geschlossene Reposition von Frakturen ausgelegt. Sie sind so dimensioniert, dass auch große Röhrenknochen damit in die gewünschte Position geschoben oder zusammengezogen werden können. Dies setzt eine hohe Stabilität voraus, da auf den Distraktor hohe Kräfte in verschiedene Richtungen wirken. Außerdem können auch mit Hilfe des Distraktors große Kräfte ausgeübt werden. Er lässt sich zudem so auslegen, dass er über ein Gelenk verwendet werden kann [3].

Abbildung 1 zeigt einen großen externen Distraktor, der mit Hilfe eines internen Fixateurs (Patent Liss-Fixateur) an einem Röhrenknochen (hier Femur) befestigt ist. Diese können auch als intelligente Distraktoren ausgelegt werden. Sie sind komplett motorgesteuert und werden zudem mit Sensoren überwacht. Jedoch sind die Aktoren und Distraktoren ­extern angebracht und nicht implantiert [5].

Abb. 1: Großer Distraktor [4]

 

Kleine Distraktoren sind so konzipiert, dass sie vor allem in schwer zugänglichen kleinen Frakturen und/oder anderen Deformationen zum Beispiel an Kiefer, Schädelplatten und kurzen Röhrenknochen im Hand- oder Fußbereich eingesetzt werden können [3].

Die Abbildungen 2 bis 6 zeigen Beispiele für einen kleinen Distraktor, der an den Hand- und Fußknochen eingesetzt wird. Ein kleiner Distraktor ist der GENOS mini Distraktor der Gebrüder Martin GmbH & Co. Er ist für den Einsatz an Fuß- und Handröhrenknochen konzipiert [7].

Abb. 2: Externer Distraktor mit Motorsteuerung [6]

Abb. 3: Kleiner Distraktor für kurze Röhrenknochen [7]

Abb. 4: Implantierter Distraktor in der Hand [7]

Abb. 5: Kleiner Distraktor, Röntgenaufnahme Fuß [7]

Abb. 6: Röntgenkontrolle während der Distraktion an der Hand [7]

Abb. 7: Entfernter Aktivator nach Distraktion [7]

Abb. 8: Horizontaler Distraktor [8]

Abb. 9: Horizontaler Distraktor [8]

 

Zu beachten ist dabei, dass der Aktivator des Distraktors außerhalb des Gewebes liegt. Er kann nach der Distraktion entfernt werden (Abb. 7, unten) [7].

Der Horizontal Distraktor von der Gebrüder Martin GmbH & Co. wird an den Unterkiefer montiert und dann mit der außenliegenden Einstellvorrichtung eingestellt (Abb. 8 und 9). Während der Behandlung wird durch weiteres Verstellen die Distraktion durchgeführt [8].

4 Intelligenter ­Distraktor - Bedeutung

Der eigentliche Unterschied zwischen ­einem intelligenten Distraktor und einem üblichen Distraktor ist, dass dieser selbstständig die Knochenbewegung und ­Heilungsprozesse misst und darauf reagiert. Außerdem sind solche intelligenten Distraktoren motorgesteuert und müssen nicht, wie sonst üblich, manuell verstellt werden.

Das Ziel dieser motorgesteuerten Implantate ist es, eine optimale Frakturheilung zu ermöglichen. Diese wird begünstigt durch eine automatische Modifikation der Form und Länge des Distraktors. Diese Funktion beinhaltet, dass er automatisch eine Distraktion oder eine Kompression beziehungsweise Reposition durchführt und diese sich, wie oben erwähnt, den individuellen Gegebenheiten des Knochenwachstums des Patienten anpasst. Daher ist es notwendig, dass der intelligente Distraktor mit verschiedenen Mess­einrichtungen ausgestattet ist und sich so selbst überprüft und stetig den Gegeben­heiten anpasst [6].

Ein weiterer wesentlicher Vorteil des voll implantierbaren intelligenten Distraktors ist die Verringerung von Infektionsgefahren. Da der intelligente Distraktor nicht von außen verstellt werden muss, gibt es keine offenen Wunden an sonst vorhandenen Durchgangsstellen von Trägern, Stellschrauben oder Ähnlichem. Das Muskel- und Hautgewebe wird nach dem Einsetzen des intelligenten Implantats nicht zusätzlich gereizt. Die Gefahr einer Sepsis kann daher verringert werden. Aber auch das Knochenwachstum wird durch eine Keimbelastung nicht mehr negativ beeinträchtigt, was bislang ein Risiko ist und ­einen erneuten Eingriff indizieren würde [6].

wird fortgesetzt

Literatur

[1] Pschyrembel Online | Distraktion; (online), available: https://www.pschyrembel.de/Distraktion/K063Q/doc/, accessed on May 14 2017

[2] T. H. Junger, V. Klingmuller, H. P. Howaldt: Standardisierte sonographische Verlaufskontrolle bei der ­Kallusdistraktion am Unterkiefer (ger); Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie: MKG, vol. 2 (1998), no. 6, S. 331–335

[3] R. Texhammar, C. Colton: AO-Instrumente und - Implantate: Technisches Handbuch; Berlin, Heidelberg, Springer, 1994

[4] R. Babst, M. Hehli, P. Regazzoni: LISS-Traktor; Der Unfallchirurg, vol. 104 (2001), no. 6, S. 530–535

[5] PD Dr. Med. Klaus Seide: Automatischer externer Fixateur für die optimierte klinische, autarke ambulante oder telemedizinisch gesteuerte Fraktur-Fehlstellungsbehandlung auf der Basis einer parallelen Roboterkinematik: „Intelligenter“ Fixateur externa;

[6] K. Seide, D. Wolter: Entwicklung und klinischer Einsatz eines „intelligenten“ Fixateur externe; Trauma Berufskrankh, vol. 2 (2000), no. S1, S35-S37

[7] Gebrüder Martin GmbH & Co. KG: Zurich II Modular Distraction Concept

[8] Gebrüder Martin GmbH & Co. KG: Zurich II Modular Distraction Concept

 

Relevante Unternehmen

Video(s) zum Thema

Top