Industrie 4.0 in der Bauteilreinigung – Intelligente und vernetzte Reinigungsprozesse

Werkstoffe 07. 10. 2018
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Der Trend zu intelligenten und vernetzten Fertigungsprozessen macht auch vor der Reinigungstechnik nicht halt. Welche Entwicklungen stehen für die Integration der Bauteilreinigung in Industrie 4.0-Fertigungsumgebungen zur Verfügung und was ist für eine weitere Umsetzung erforderlich?

Industrial Internet of Things, Industrie 4.0 oder Digitalisierung, zu diesen Schlagworten existieren zahlreiche Definitionen und Interpretationen. Doch unabhängig der Bezeichnung, am Ende der vierten industriellen Revolution steht die Smart Factory: Eine Produktionsumgebung, die sich weitgehend ohne menschlichen Eingriff selbst organisiert und flexibel auf sich verändernde Anforderungen reagiert. Dies erfolgt auf Basis von mittels Informations- und Kommunikationstechnologie erfasster, vernetzter und intelligent verarbeiteter Daten über die Zustände von Maschinen- und Anlagenkomponenten sowie über Prozesse und Produkte. Ziel ist, die betriebliche Effektivität zu optimieren, verbesserte Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, weiteres Wachstum zu generieren und dadurch die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu sichern.

Dadurch verändern sich sowohl industrielle Fertigungs- und Logistikprozesse als auch nachgelagerte Geschäftsbereiche wie beispielsweise der Kundenservice.

Die Zustände sind meist schon bekannt

Um reinigungstechnische Herausforderungen analysieren und meistern zu können, wurden in den letzten Jahren verschiedene Verfahren und Lösungen entwickelt, mit denen sich umfangreiche Daten zu Fertigungsprozessen in Echtzeit inline erfassen lassen. Im Bereich der nasschemischen Reinigung ist die permanente Erfassung, Kontrolle und Dokumentation von verschiedenen Anlagenparametern häufig bereits Stand der Technik. Dazu zählt unter anderem die automatische Überwachung und Nachsteuerung von Drücken und Temperaturen. ­Entsprechende Lösungen existieren auch, um den Zustand wässriger Reinigungs- und Spülbäder hinsichtlich der Konzentration der Reinigerbestandteile (Builder und Tensid) sowie der Verschmutzung mit Partikeln und Ölen zu überwachen. Dies ermöglicht, dass unabhängig vom Aufenthaltsort des Maschinenführers die Reinigerdosierung automatisch bedarfsgerecht angepasst oder ein Badwechsel ausgelöst werden kann.

Der in die Hauptstromleitung integrierte Sensor misst Konzentration, Nachdosierung und Verschmutzung des Reinigungsmediums kontinuierlich. Die ermittelten Messwerte werden über den Controller an die Anlagensteuerung weitergeleitet und die Reinigernachdosierung automatisch ausgelöst (Bild: SensAction AG)

Das komplett in Reinigungsanlagen integrierbare Messsystem Puricheck ermöglicht die automatisierte kontinuierliche Inline-Partikelgrößenanalyse in Flüssigkeiten. Die Mess­ergebnisse können direkt den Bauteilen/der Charge zugeordnet werden (Bild: Nägele Mechanik /Fraunhofer IPA)

 

Die Überwachung des Filterzustands und ein selbstständiger Wechsel zwischen entsprechend ausgeführten Filtersystemen sind ebenfalls realisierbar. Auch die Auswahl unterschiedlicher, teilespezifischer ­Programme kann automatisiert erfolgen, beispielsweise durch Barcodes und integrierte Barcode-Scanner, RFID-Chips oder Transponder. Sowohl für die partikuläre als auch für die filmische Sauberkeitskontrolle stehen inzwischen Lösungen zur Verfügung, mit denen sich die Restschmutzprüfung automatisiert inline durchführen lässt. Innovative Generatoren für die Ultraschallreinigung sind in der Lage, sich selbst zu konfigurieren, zu überwachen, zu optimieren und mit übergeordneten Systemen zu kommunizieren. So wird beispielsweise die Arbeitsfrequenz vor der Schallabgabe automatisch ermittelt und selbstständig eingestellt.

Durch einfache intelligente Regelungskreise lassen sich also bereits heute Reinigungsprozesse teilweise digitalisieren und automatisieren, wobei erhebliche Einspar- und Qualitätspotenziale ausgeschöpft werden können.

Rückschlüsse auf vorgelagerte Prozesse

Da in der Reinigungsanlage praktisch der aus den Vorprozessen stammende Schmutz gesammelt wird, erlauben die bei der Prozessüberwachung gewonnenen Daten zum Teil auch Rückschlüsse auf die Qualität dieser Fertigungsschritte. Verändern sich beispielsweise die bei der partikulären Sauberkeitskontrolle erfassten Partikel, kann dies ein Zeichen sein, dass ein Werkzeugwechsel erforderlich ist.

Modulare Systemlösung zur Prozessdatenerfassung

Ein Problem bei der Digitalisierung von Reinigungsprozessen ist häufig die Vielzahl unterschiedlicher digitaler und analoger Schnittstellen. Darüber hinaus erweist sich die automatisierte Erfassung von relevanten Prozessdaten oft als unwirtschaftlich oder technisch nicht möglich. Hier eröffnet eine modular aufgebaute Systemlösung zur Prozessdatenerfassung die universelle Nutzung entlang der Prozesskette. Sie basiert auf modularer, kostengünstiger Hardware sowie Softwarebausteinen für jeden Schnittstellentyp, die – per Kabel oder WLAN – an einen gemeinsamen OPC-Server angebunden sind. Der Datenaustausch erfolgt im OPC UA-Datenformat. Der Einsatz handelsüblicher, mit einer anwendungsspezifisch entwickelten App ausgestatteten Smartphones oder Tablets ermöglicht die Ein- und Ausgabe von Daten sowie die Erfassung von QR-Codes, beispielsweise für das Teile-Tracking.

Die modular aufgebaute Systemlösung zur Prozessdatenerfassung ermöglicht die universelle Nutzung entlang der Prozesskette (Bild: Fraunhofer IVV)

 

Apps zur Steuerung der Reinigungsanlage

Zur Überwachung und Steuerung von Reinigungsanlagen haben Hersteller inzwischen auch verschiedene intelligente Apps wie beispielsweise Reinigermanagement, Abluftmanagement, Trocknersteuerung, Werkstück­identifikation und Data Logger entwickelt. Dahinter verbergen sich letztendlich verschiedenste automatische Steuerungen, die Operationen übernehmen, die bisher manuell durchgeführt wurden. So regelt beispielsweise die App Abluftmanagement den Frischluftbedarf der Anlage, der sich unter anderem abhängig von der Temperatur der Hallenluft und dem Feuchtegrad der Bauteile in der Anlage ändert. Dies trägt zu einer energiesparenderen Betriebsweise der Anlage bei. Neu dabei ist auch die Werkstückidentifikation mit einem bildgebenden System, das nicht nur das Bauteil erkennt, sondern auch dessen richtige Platzierung im Warenträger kontrolliert.

Schneller Zugriff über die Cloud

Die Anbindung an eine Cloud-Lösung in Verbindung mit Augmented Reality ermöglicht insbesondere für Service und Wartung bei einem ungeplanten Stillstand gezielte und schnelle Unterstützung. Dabei werden sämtliche Anlagenkomponenten und erfasste Prozessdaten in die Cloud eingespielt. Auf die virtuell dargestellte Anlage und die eingeblendeten Daten kann über Handy, Tablet oder VR-Brille praktisch von überall in Echtzeit zugegriffen werden. Dabei lassen sich aktuelle Pumpendrücke oder Volumenströme ebenso anzeigen wie Wartungsintervalle oder die zuletzt durchgeführte Wartung. Darüber hinaus können die für eine Störungsbehebung oder die Wartung der Anlage erforderlichen Informationen und Instruktionen übermittelt werden. Der Servicetechniker des Anlagenherstellers kann die Arbeiten dabei genau verfolgen und unmittelbar einschreiten falls etwas schiefläuft.

 

Forschungsprogramm QSREIN 4.0

Adaptive Reinigungsprozesse, bei denen die Anlage erkennt, wie stark die gerade zu behandelnden Werkstücke verschmutzt sind und den Prozess automatisch entsprechend anpasst, sind derzeit noch nicht realisierbar. Doch arbeiten die Unternehmen der Branche sowie Verbände an Lösungen, um die maßgeschneiderte Teilereinigung Realität werden zu lassen. Zu den Aktivitäten zählt das vom Fachverband industrielle Bauteilreinigung gestartete Forschungsprogramm QSREIN  4.0 – Chancen für die Reinigungstechnik. Schwerpunkt der F&E-Arbeiten ist die Erschließung von Industrie-4.0-Innovationen zur Qualitätssicherung in der Teilereinigung. Das Programm gliedert sich in drei Etappen; in deren Mittelpunkt stehen die Steuerung der Prozessqualität, Lösungen zur Inline-Verschmutzungs- und Sauberkeitskontrolle sowie innovative Systemlösungen (Chemie, Verfahren und Technik) für adaptive Reinigungsprozesse mit maßgeschneiderter Prozessführung. Doris Schulz

Text zum Titelbild: Die Fluoreszenzmesstechnik ermöglicht die Inline-Messung hinsichtlich filmischer Restverschmutzung (Bild: Fraunhofer-IPM)

 

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