Plasma – ungewöhnlicher Aggregatzustand für medizinische Anwendungen

Werkstoffe 10. 12. 2017
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Plasmaionen und heiße Elektronen für die Gesundheit

Von Harald Holeczek, Fraunhofer IPA, Stuttgart

Geheimnisvolles Glühen bei technischen Plasmen oder krachende Helligkeit bei ­Blitzen sind die Erscheinungsformen, in denen wir Plasma zumeist kennen. Es ist ein eigener Aggregatzustand, denn die im Plasma vorkommenden Teilchen sind ionisiert, also eines Teils ihrer Elektronen beraubt, und daher elektrisch geladen. Je nach Anteil der geladenen Teilchen haben Plasmen verschiedene Eigenschaften, immer sind diese jedoch überraschend und ungewöhnlich. In Vakuumkammern wird Plasma für verschiedene technische Prozesse genutzt; es kann aber auch unter atmosphärischen Bedingungen erzeugt werden. Insbesondere kalte atmosphärische Plasmen bieten die Möglichkeit, ihre speziellen Eigenschaften auch in der Inter­aktion mit biologischem Gewebe oder allgemeiner mit biologischen Systemen zu nutzen.

Die Plasmamedizin beschäftigt sich mit der Wirkung von Plasmen auf den menschlichen Körper sowie mit der Anwendung von Plasmen als therapeutisches Mittel. Sie ist höchst interdisziplinär, denn es müssen Physiker, Elektrotechniker, Biologen und Mediziner zusammenarbeiten, um geeignete Plasmaquellen zu entwickeln, zu bauen, ihre Wirkung auf biologische Systeme grundsätzlich zu untersuchen und all diese Erkenntnisse schließlich zum Wohle von Patienten einzusetzen. So befruchten sich die Entwicklung von neuen Plasmaquellen und die Erschließung von neuen therapeutischen Anwendungen gegenseitig, denn oft erschließen neue technische Konzepte für Plasmaquellen auch ganz neue Anwendungsmöglichkeiten. Andererseits können nur mit Erfahrungen aus klinischen Anwendungen wiederum Anforderungen an neue Quellen definiert werden.

Plasmaquellen für medizinische Anwendungen

Zwei Arten von Plasmaquellen haben sich in der Anwendung etabliert. Die Flächenplasmaquellen erzeugen großflächig ein kaltes Plasma, welches direkt auf der damit behandelten Haut- oder Wundoberfläche entsteht, wie in Abbildung 1 gut zu erkennen ist. Dabei ist das Gewebe mit dem Plasma in direktem Kontakt. Mit diesen Quellen lassen sich größere Flächen sehr einfach bearbeiten.

Abb. 1: Flächenplasmaquelle PlasmaDerm®, mit der ein kaltes Plasma direkt auf der Haut erzeugt werden kann (Quelle: Fraunhofer IST)

Abb. 2: Indirekten Plasmaquelle Plasma-Jet kINPen® MED von neoplas tools, bei der das ionisierte Gas ausgeblasen wird und lokal bei Wunden appliziert werden kann (Quelle: neoplas tools, Greifswald)

 

Die zweite Art von Plasmaquellen sind sogenannte Plasma-Jets, bei denen ein Gasstrom durch eine Entladungszone geleitet und dabei ionisiert wird. Dieser ionisierte Gasstrom tritt danach aus der Elektrode aus und kann zur Behandlung eingesetzt werden. Eine kommerzielle, für medizinische Anwendungen zugelassene Plasma-Jet-Quelle ist der kINPen® MED, dessen Elektrode in Abbildung 2 zu sehen ist. Dies ist ein indirektes Plasma, das lokal sehr spezifisch eingesetzt werden kann.

In Deutschland gibt es derzeit drei Hersteller von zugelassenen Quellen, die alle intensiv mit Forschungsinstituten kooperieren. Neben neoplas tools in Greifswald sind dies die Cinnogy GmbH in Duderstadt und die terraplasma GmbH in Garching. So steht eine große Bandbreite verschiedener Plasmaquellen für Mediziner und die medizinische Forschung zur Verfügung. Zudem werden diese Quellen ständig weiter entwickelt und gerade an Universitäten entstehen auch immer wieder neue Konzepte für Plasmaquellen mit neuen Eigenschaften, wie die Mikroplasmaquelle der Universität Ilmenau in Abbildung 3 zeigt. Diese Quelle kommt mit geringen Spannungen aus, da der Abstand der Elektroden durch die Verwendung sehr dünner Keramikschichten zur Isolierung sehr klein ist.

Abb. 3: Mikroplasmaquelle für die lokale Anwendung flächiger Plasmen (Quelle: Michael Fischer, Ady Naber, Technische Universität Ilmenau)

 

Medizinische Anwendungen

Heute werden atmosphärische Plasmen in der Medizin in einer Vielzahl von Anwendungsgebieten eingesetzt. Dies beginnt bei der Desinfektion von Oberflächen oder In­strumenten, setzt sich bei der Beschichtung beispielsweise von Implantatoberflächen fort und reicht bis zur direkten Anwendung des Plasmas am Körper. Gerade hier wurden in den letzten Jahren viele Anwendungsmöglichkeiten bei der Behandlung chronischer Wunden und Entzündungen, beispielsweise aber auch in der Zahnmedizin, erschlossen.

Vor allem die Wirkung von Plasma auf Hautzellen und die Wundheilung wurde intensiv erforscht. Sehr wichtig im Wundheilungs­prozess sind die reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies. Sie verändern unter anderem das Redox-Gleichgewicht, das insbesondere bei schlecht heilenden Wunden gestört ist. Ebenso fördern sie aber auch die Bildung von Wachstumsfaktoren in den oberen Hautzellen sowie die Produktion von kleinen ­Eiweißmolekülen, sogenannten Defensinen, welche unter anderem der Abwehr von Bakterien, Pilzen und Toxinen dienen. Zusätzlich fördert die Plasmabehandlung die Bildung neuer Blutgefäße in der Haut und sie regt die Mikrozirkulation in den oberen Hautschichten und damit die Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff an. Das Immunsystem in den behandelten Geweben wird stimuliert und verschiedene Zellarten beeinflussen sich gegenseitig in positiver Weise. All diese und noch eine Reihe weiterer Effekte sorgen dafür, dass unter einer Plasmabehandlung, welche nur etwa 90 Sekunden am Tag dauert, selbst jahrelang offene Wunden innerhalb von Wochen oder einigen Monaten verheilen. Teilweise können solche Erfolge selbst bei nur einer oder zwei Behandlungen pro Woche beobachtet werden. Ähnlich positive Effekte zeigen sich im Übrigen auch an Schleim­häuten, beispielsweise in der Mundhöhle.

Trotz bereits vieler vorliegender Studien sind heute bei weitem noch nicht alle Mechanismen der Interaktion von Plasma und Haut oder anderen Geweben wissenschaftlich verstanden, was unter anderem daran liegt, dass die reaktiven Spezies, aber auch die entstehende UV-Strahlung in Summe eine große Zahl systemischer Wirkungen auslösen, die in ihrem Zusammenspiel die überaus positiven Effekte verursachen. Auf der anderen Seite tötet Plasma Bakterien sehr effektiv ab, ohne dass bis jetzt Resistenzeffekte beobachtet wurden.

Verschiedene Tierstudien (beispielsweise [1]) haben bis jetzt keine Hinweise darauf geliefert, dass gesundes Gewebe durch Plasma verändert oder geschädigt würde, wenn bestimmte Anwendungsdauern nicht überschritten werden. Alle biochemischen Eigenschaften und Marker waren unauffällig, dabei wurden verschiedene Gewebe untersucht und eine Vielzahl von Markern für Zellveränderungen berücksichtigt.

Neben der Wundbehandlung können auch Ekzeme wie Neurodermitis behandelt werden; die zusätzlich zur normalen Behandlung von Narben oder Hauttumoren eingesetzten Plasmen hatten ebenfalls positive Wirkungen. Trotz all dieser Erfolge sind noch viele Fragen in der praktischen Anwendung offen, so vor allem die notwendige Dauer und Intensität von Plasmabehandlungen sowie mögliche Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Auch ist unklar, ob und wo Plasmen auch innerhalb des Körpers eingesetzt werden können.

Plasmaaktivierte Medien

Ein bisher wenig untersuchtes Feld ist die Nutzung von plasmaaktivierten Medien in der Medizin. Zellkulturmedium, welches zunächst mit Plasma behandelt wird, löst ähnliche Wirkungen auf gesunde Zellen aus wie der direkte Kontakt dieser Zellen mit ­einem Plasma. Dieser Effekt ist sogar nach zwanzig Tagen Lagerdauer zwischen der Plasmaaktivierung und dem Kontakt mit den Zellen noch nachweisbar, wie an der Universitätsmedizin Rostock [2] gezeigt wurde. Hierbei spielen verschiedene reaktive Spezies wie unter anderem Peroxid, Nitrit- und Nitrationen eine wichtige Rolle, die in behandelten Medien sehr langlebig sind. Der Einsatz unterschiedlicher Plasmaquellen führt zu ebenfalls unterschiedlichen Konzentrationen der verschiedenen reaktiven Spezies und damit auch zu unterschiedlichen zytotoxischen Wirkungen [3, 4]. Hier könnten sich noch viele Möglichkeiten bieten, den Plasmaeffekt über flüssige Medien dorthin zu transportieren, wo das Plasma nicht appliziert werden kann und dies sozusagen in für die Anwendung maßgeschneiderter Weise.

Beschichtungen

Auch in der Medizin werden Plasmen für die klassische Aufgabe der Oberflächenbehandlung und der Oberflächenbeschichtung eingesetzt. So können beispielsweise Wund­auflagen sterilisiert oder aber mit anti­bakteriell wirkenden Stoffen beschichtet werden.

Sehr interessant ist die Beschichtung von Implantatoberflächen oder Rekonstruktionsmaterialien, welche in den Körper ein­gebracht werden sollen. Durch eine plasmavermittelte dünne Beschichtung mit Allylamin kann das Anhaften von Zellen an der Oberfläche deutlich verbessert werden, welches den allerersten Schritt der Besiedlung und damit des Einwachsens darstellt [5]. Durch lokale Beschichtungen kann beispielsweise auch die Zellbesiedlung von Oberflächen gezielt gesteuert und auf bestimmte Bereiche konzentriert werden [6].

Forschungsbedarf

Trotz der inzwischen vielfältigen Erfolge gibt es noch einen großen Forschungsbedarf. Anders herum begründen die Erfolge natürlich auch die Notwendigkeit, die überaus positiven Wirkungen noch besser zu verstehen und weitere Anwendungen zu erschließen. So bestehen nach wie vor Unsicherheiten darüber, welche Art von Plasmen oder Quellen für welche Anwendungsfelder jeweils am besten geeignet sind oder nach welchen Kriterien bei einem gegebenen Fall die am besten geeignete Quelle ausgewählt wird. Wie bereits oben erwähnt, werden auch immer wieder neue Quellen entwickelt, die jeweils ­eigene, spezifische Eigenschaften aufweisen und durch ihre jeweiligen Konstruktions­ansätze auch spezifische Einsatzarten ermöglichen. Dies kann sich unter anderem in neuen Anwendungsszenarien widerspiegeln wie etwa in dem 2016 gestarteten Verbundforschungsprojekt KonChaWu, in dem das Fraunhofer IST und die CINOGY GmbH gemeinsam an der nächsten Generation von Gerätesystemen arbeiten. Das Projektziel besteht darin, die Konzepte der kalten Plasmatechnologie sowie der Wundauflage miteinander zu verbinden. Eine plasmabasierte Wundauflage soll bis zu mehrere Tage unterhalb eines Verbands auf der Wundoberfläche verbleiben können. Über eine externe, durch den Verband geführte Steckverbindung kann, je nach Therapiemodalität, das Luftplasma ohne Verbandwechsel für den gewünschten Zeitraum, typischerweise 90 Sekunden, erzeugt werden. Die Behandlung kann bei ­Bedarf mehrmals täglich wiederholt werden.

Viele Aktivitäten der Plasmamedizin werden in Deutschland durch das Nationale Zentrum für Plasmamedizin e. V. koordiniert, einem deutschlandweiten Netzwerk aller Forschergruppen auf dem Gebiet der Plasmamedizin. Es wurde 2013 in Berlin gegründet und vereint Unternehmen, Forschungsinstitute und Universitäten aus den Bereichen Medizin, Biologie, Pharmazie, Physik und Ingenieurwissenschaften. Der Verein fördert Forschung und Entwicklung im Bereich ­Plasmamedizin durch Information, Koordination von Forschungsprojekten und die Durchführung von Veranstaltungen zum Thema.

Für die Information über konkrete Arbeiten und Projekte ist auch der Arbeitskreis Atmosphärendruckplasma (ak-adp) eine gute Quelle. Bei regelmäßigen Veranstaltungen des Arbeitskreises, unter anderem auch zum Thema Plasmamedizin, ist ein Austausch mit Praktikern aus Forschung und Industrie möglich.

Literatur

[1] A. Schmidt, S. Bekeschus, J. Stenzel, T. Lindner, Polei, V. Vollmar, T. von Woedtke, S. Hasse: Evaluation of general risk and wound closure after cold plasma treatment in a dermal full-thickness mouse ­model; Experimental Dermatology, Vol 26, Issue 3, S. E14, 2017

[2] C. Bergemann, C. Hoppe, C. Karmazyna, M. Höntsch, M. Eggert, T. Gerling, et al.: Physicochemical Analysis of Argon Plasma-Treated Cell Culture Medium; Plasma Science and Technology – Progress in Physical States and Chemical Reactions, Tetsu Mieno (Ed.), InTech, 2016, S. 155–172

[3] P. Lu, et al: Controlled cytotoxicity of plasma treated water formulated by open-air hybrid mode discharge; Appl. Phys. Lett. 110, 264102, 2017;
doi: http://dx.doi.org/10.1063/1.4990525

[4] Boehm & Bourke: Hydrogen peroxide and beyond - the potential of high-voltage plasma-activated liquids against cancerous cells; Anti-Cancer Agents Med. Chem., 17 (2017);
doi: 10.2174/1871520617666170801110517

[5] M. Schnabelrauch, R. Wyrwa, H. Rebl, C. Bergemann, B. Finke, M. Schlosser, U. Walschus, S. Lucke, K. D.  Weltmann, J. B. Nebe: Surface-Coated Polylactide Fiber Meshes as Tissue Engineering Matrices with E-hanced Cell Integration Properties; International Journal Of Polymer Science, 2014, Article Number: 439784;
doi: 10.1155/2014/439784

[6] C. Bergemann, M. Cornelsen, A. Quade, T. Laube, M. Schnabelrauch, H. Rebl, V. Weissmann, H. Seitz, B. Nebe: Continuous cellularization of calcium phosphate hybrid scaffolds induced by plasma polymer activation; Materials Science & Engineering C-Materials For Biological Applications, Volume: 59, S. 514-523;
doi: 10.1016/j.msec.2015.10.048, published Feb. 2016

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