Plädoyer für ein galvanisiergerechtes Konstruieren

Oberflächen 07. 11. 2016
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Cost Engineering und Entwicklungspartnerschaft aus Sicht des Beschichters

Das Cost Engineering umfasst als Fachgebiet sowohl ingenieurwissenschaftliche Technikfelder als auch kaufmännische Aspekte und Punkte wie die Prozess- und Ablaufplanung im Projektmanagement. Ebenso werden aber entwicklungstechnische Gesichtspunkte ­betrachtet: Fertigungsprozesse beispielsweise in der Bauteilproduktion, der Galvanikabteilung und der Baugruppenmontage werden von Anfang an kostenoptimal gestaltet. Dazu ist eine interdisziplinäre, unternehmensübergreifende Kooperation zwischen Bauteilhersteller, Oberflächenbeschichter und Verfahrenslieferant sowie gegebenenfalls weiteren Akteuren unerlässlich.

Die fachliche Kommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette aller Lieferanten und die gemeinsame Bestimmung von Bauteilgeometrie, Design und Schichtsystem sind in der Zusammenarbeit essen­tiell. Unter Umständen wird sogar Einfluss auf das Grundmaterial des Bauteils und seine Qualität genommen, um später die gewünschten Material- und Oberflächen­eigenschaften möglichst kostengünstig realisieren zu können. Galvanotechnisch bestimmen die angestrebten Oberflächen­eigenschaften, wie beispielsweise ein erforderlicher Korrosionsschutz, funktionelle Aspekte wie Reibungskoeffizient, Chemika­lienbeständigkeit sowie dekorative Eigenschaften, wie zum Beispiel Glanzgrad oder Farbwünsche, maßgeblich die Wahl der ­geeigneten Beschichtung.

Bauteilkonstruktion aus galvanotechnischer Sicht

Oft werden diese Aspekte der Bauteileigenschaften erst nach vollendeter Konstruk­tion betrachtet. Dabei bringt ein frühzeitiges Einbinden des galvanotechnischen Fachmanns Vorteile: Bei der Produktentwicklung ist die Oberfläche oft der letzte betrachtete Faktor, so Udo Langner, Verkaufsmanager Holzapfel Group. Welche Eigenschaften soll das Bauteil haben? Benötigt es eine Oberfläche/Beschichtung? Wenn ja, welche? Bei diesen und ähnlichen Fragen setzt die Projektarbeit von uns als Beschichter an.

Wünschenswert wäre aber nach Überzeugung von Langner ein viel früheres Einbinden des galvanotechnischen Fachmanns. Durch die frühzeitige Einbindung in die Entwicklungsarbeit ist ein galvanisiergerechtes Konstruieren möglich, das viele Faktoren schon im Vorfeld begünstigen und potentielle Schwierigkeiten bei der späteren Beschichtung ausmerzen kann. Meist wird dem Beschichter nach erfolgter Konstruktion ein Lastenheft vorgelegt, das zum Beispiel aufzeigt, wie das Anforderungsprofil des Bauteils im weiteren Verbau ist, welche Sicherheit und welcher Korrosionsschutz überhaupt erforderlich sind. Darauf basierend empfiehlt der Beschichter eine Oberfläche und auch Schichtstärke.

Werden dagegen die Beschichter früher in den Prozess eingebunden, kann auf die Konstruktion bereits so Einfluss genommen werden, dass kostengünstiger beschichtet werden kann. Als Beispiele nennt Langner etwa das Vorsehen einer Bohrung, um Luftblasen oder Lufteinschlüsse beim Beschichten zu verhindern. Oder die Konstruktion kann so angepasst werden, dass eine größere Anzahl an Bauteilen auf ein Galvanisiergestell passt oder aber sogar statt auf dem Gestell kostengünstiger in der Trommel galvanisiert werden kann.

Der Galvaniseur kann aus Sicht nachfolgender Behandlungsschritte (Beschichtung/Oberfläche) Vorschläge unterbreiten, die das Bauteil in der Herstellung vergünstigen würden, und mit dem Kunden gemeinsam prüfen, ob es konstruktionstechnisch umsetzbar ist. Ein Beispiel wäre etwa, eine sogenannte Nase an einem Bauteil so zu konstruieren, dass eine Trommelbeschichtung möglich ist, statt die Bauteile aufwendig als Gestellware zu beschichten. Hier kann nach Überzeugung von Langner zum Teil richtig Geld gespart werden, indem der Galvanofachmann in der Projektphase involviert und nicht erst beim fertigen Produkt einbezogen wird. Unser Ansatz ist, gemeinsam mit unserem Kunden und gegebenenfalls auch dessen Endkunden in der Konstruktionsphase zu unterstützen und galvanotechnisches Wissen einzubringen, dass der Konstrukteur unter Umständen nicht im Blick hat, wie Langner betont. Nach den Erfahrungen der Holzapfel Group können, bezogen auf die Oberflächenbeschichtung und die daraus resultierenden Kosten, bis zu 50 Prozent Kosteneinsparung erzielt werden.

Optimierte und neue Eigenschaften bei Bauteilen

Michael Kolb ist überzeugt, dass es auch in anderer Hinsicht lohnenswert sein kann, galvanotechnisches Wissen schon in der Konstruktionsphase eines Bauteils mit einzubringen; Kolb ist Innovationsmanager bei der Holzapfel Group und war bereits an zahlreichen Entwicklungsprojekten beteiligt. Nach seiner Erfahrung kommt der Beschichter oft erst ins Spiel, wenn Kon­struktion und Kalkulation weitgehend abgeschlossen sind. Dabei wäre es häufig sogar möglich, bereits günstigere Grundmaterialien einzusetzen und diese mittels Beschichtung mit den erforderlichen Oberflächeneigenschaften zu versehen. Mithilfe von galvanotechnischen Verfahren können günstige Substrate mit besonderen Oberflächen beschichtet werden, die dem Bauteil zu spezifischen Eigenschaften verhelfen können: zum Beispiel Lötfähigkeit, Absorptionsgrad, Reflexionsvermögen, katalytische Funktionen, Wirkungsgradverbesserung, Reibbeiwertänderung, Verschleißverhalten und UV-Beständigkeit.

Anwendungsfälle zeigen Erfolg der Vorgehensweise

Beispiele für solche galvanogerechten Bauteilkonstruktionen oder auch für Beschichtungen, die sich den Bauteilerfordernissen exakt anpassen, gibt es bei der Holzapfel­ Group in großer Zahl. Prädestiniert ist das Verfahren Zink-Nickel FleXXKorr, eine biege­fähige Zink-Nickel-Schicht, die als Korrosionsschutz für Rohre eingesetzt wird, etwa in der Automobilindustrie (Hydraulik­leitungen) oder im Anlagenbau. Aufgrund des beim Beschichtungsprozess umständlichen und kostspieligen Handlings bereits gebogener Rohre stellte ein Kunde der Holzapfel Group die Herausforderung, ein Zink-Nickel-Verfahren zu entwickeln, mit dem Rohre erst nach dem Beschichten gebogen werden können. Dabei musste die Beschichtung dem anschließenden Biegevorgang standhalten und gleichzeitig eine hohe Korrosionsbeständigkeit erreichen.

In enger Zusammenarbeit dem Kunden, der die Entwicklung auch mit Tests begleitet hat, und einem Verfahrenslieferanten hat die Holzapfel Group als Antwort auf diese Anforderungen Zink-Nickel FleXXKorr entwickelt. Mit dem biegefähigen, verformbaren Korrosionsschutz auf Basis einer galvanisch abgeschiedenen Zink-Nickel-Legierungsschicht können Rohrleitungen und Hydraulikleitungen, aber auch gebördelte Bauteile oder Blechteile wie Spindelrohe und Magnetgehäuse nach dem Beschichtungsprozess gebogen beziehungs­weise verformt werden.

Der Prozess spart nicht nur Kosten für die Beschichtung, weil im geraden Zustand mehr Teile auf ein Galvanikgestell passen, sondern auch für die Logistik: Im nicht gebogenen Zustand ist die Ladungsdichte deutlich höher als im gebogenen. Das Fazit für Zink-Nickel FleXXkorr lautet also: mehr Teile, weniger Logistik (Volumen) und weniger Prozessrisiko. Zudem kann der Kunde Biege- und Montageprozesse auf einer auto­matisierten Anlage in einem Arbeitsgang komplett durchführen. Vorher mussten die Hydraulikleitungen in zwei Arbeitsgängen, zwischen denen das Beschichten lag, erst gebogen und später montiert werden.

Auch für die wirtschaftliche Anodisierung eines Aluminium-Kunststoff-Bauteils aus der Konsumgüterbranche spielte die Gestelltechnik bei der Realisation des Projekts eine wichtige Rolle. Gleichzeitig können die bereits hinterspritzten Bauteile anodisiert werden, ohne dass der Kunststoff Schaden nimmt. Das bringt im Handling und im Prozessablauf Vorteile. Zudem wird durch Hinterspritzung des Metalls mit Kunststoff und das anschließende Eloxieren die reine Metalloberfläche mit ihrer charakteristischen metallischen Optik und Haptik erhalten und dem Kunden ein Vollmaterial suggeriert.

 

Text zum Titelbild: Anodisierung eines Aluminium-Kunststoff-Bauteils mit optimierter Gestelltechnik

 
Zink-Nickel FleXXKorr, eine biegefähige Zink-Nickel-Schicht, ist ein Paradebeispiel für Cost Engineering

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