REACh – Welche Schutzwirkung ist erreichbar?

Oberflächen 10. 10. 2014
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Von Dr. Malte-Matthias Zimmer

Wie so oft an dieser Stelle wird ein wichtiger Aspekt der Gesetzgebung REACh betrachtet, vorzugsweise aus dem Bereich der Autorisierung. Die Autorisierung wird aufgrund ihrer Anforderungen und der Art, wie die Vorgaben des Gesetzes behördenseitig interpretiert werden, eine sehr große Herausforderung für tausende von Betrieben sein. Darüber wurde bereits mehrfach berichtet. Im Zuge der Weiterentwicklung des Autorisierungsprozesses kommt jedoch immer mehr zutage, dass eine Konkretisierung der Ziele, Anforderungen und Beurteilungskriterien notwendig wird. Die ECHA hat hier bereits mehrfach gehandelt und entsprechende Veröffentlichungen in ihren Guides und in den Fragen und Antworten (Questions and Answers, Q&A) vorgenommen. Heute wird an dieser Stelle eine sehr spezielle Thematik aufgegriffen.

Wie mittlerweile den meisten bekannt ist, soll bei Substanzen ohne DNEL (derived no effect level) eine Abwägung des Risikos der Weiterverwendung im Vergleich zum sozioökonomischem Nutzen der Weiterverwendung (eigentlich ist es eine Abschätzung des sozioökonomischen Schadens im Falle der Nicht-Verwendung, des non-use-scenarios)­ erfolgen. Da es hier um eine Monetarisierung des Risikos geht, das durch Kontakt mit dem jeweiligen SVHC-Stoff auftritt, muss dieses Risiko quantifiziert werden – es muss also vorgegeben werden, bei welcher Aufnahmemenge welches Erkrankungsrisiko auftritt. Andererseits muss dieses Risiko auch finanziell bewertet werden, damit ein monetärer Vergleich mit dem sozioökonomischen Nutzen überhaupt möglich wird.

Hier soll beispielhaft am Chromtrioxid abgeschätzt werden, über welche Risiken und Risikobeträge eigentlich gesprochen wird.

Die ECHA hat ihrerseits hierzu eine sogenannte dose-response-relationship veröffentlicht [1]. Darin werden unter anderem Expositionswerte genannt, denen konstante Risikowerte zur Ausbildung von Lungenkrebs zugeordnet werden, sofern die Exposition über einen entsprechenden Zeitraum anhält. Konkret erhält beispielsweise der Expositionswert von 1 µg/m³ Chrom(VI) in der Luft einen Risikowert von 4 · 10-3 (0,004 oder 4:1000). Wie das REACh-Helpdesk offiziell mitteilt, ist dieser Wert wie folgt zu interpretieren [2]:

Ein Excess lifetime lung cancer mortality risk von 4 · 10-3 per μg Cr(VI)/m³ bedeutet: Wenn 1000 Personen, die über einen Zeitraum von 40 Jahren täglich acht Stunden und fünf Tage pro Woche (48 Wochen) einer Exposition von 1 μg/m³ Chrom(VI) ausgesetzt sind, muss über die Lebenszeit (89 Jahre) statistisch damit gerechnet werden, dass vier dieser 1000 Personen einen durch sechwertiges Chrom bedingten Lungenkrebs ausbilden.

In 89 Jahren muss danach statistisch erwartet werden, dass vier von 1000 Mitarbeitern neu erkranken; pro Jahr also vier von 89 000; oder auch 0,045 · 10-5 (0,000045) Neufälle pro Mitarbeiter und Jahr.

Diese sehr exakte, jedoch nicht sehr griffige Erläuterung soll im Folgenden in real vergleichbare Größen übertragen werden.

Betriebliche Bedeutung

Galvanische und andere Oberflächen­betriebe, die mit Chrom(VI) umgehen, haben in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter, von denen nur ein Bruchteil die dauerhafte Chrom(VI)exposition erfährt. Betrachtet wird ein typischer, nicht zu kleiner Betrieb, in dem an drei Verchromungs­anlagen dreischichtig an fünf Tagen pro Woche gearbeitet wird. Wird weiter angenommen, dass eine maximale Besetzung pro Anlage von zwei Mitarbeitern realistisch ist, so kann die dauerhaft exponierte Mitarbeiterzahl auf 18 geschätzt werden. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Expositionshöhe nicht nur 1 µg/m³ beträgt, sondern vielmehr sogar die bekannten 5 µg/m³, die lange Jahre in Deutschland als unbedenklich eingestuft wurden.

Gemäß der offiziellen dose-response-curve beträgt somit das zusätzliche Risiko (denn auch als Bürger, der nicht dem Chrom(VI) ausgesetzt ist, unterliegt man einem Risiko, s. u.) dieser 18 Mitarbeiter, dass im Mittel 0,36 von ihnen im Laufe ihres Lebens einen durch Chrom(VI) bedingten Lungenkrebs entwickeln, sofern sie den oben beschriebenen Randbedingungen unterliegen (40 Jahre, 48 Wochen pro Jahr etc.).

Was heißt das nun? Selbst bei 5 µg/m³ Chrom(VI) in der Luft verursacht der oben angenommene, typische Betrieb der Oberflächentechnik statistisch innerhalb von mindestens 111 Jahren ein einzelnes Krankheitsereignis! Sofern der Betrieb überhaupt so lange existiert!

Es ist nicht vermessen zu sagen, dass hier wohl kaum von einem bedeutenden Zusatzrisiko gesprochen werden kann, wie es behördlicherseits postuliert wurde und wird.

Gesellschaftliche Bedeutung

Es ist sicher interessant zu hinterfragen, wie dieses, in obigen Ausführungen ermittelte Zusatzrisiko im Verhältnis steht zum Allgemeinrisiko in der Bevölkerung. Das Robert-Koch-Institut betreibt das Zentrum für Krebsregisterdaten. Es prognostiziert für Deutschland in 2014 Lungenkrebsneufälle in Höhe von 36 000 bei Männern und 19 600 bei Frauen [3]. In Summe sind dies 55 600 Lungenkrebsneufälle bei rund 80 Millionen Einwohnern oder 0,00070 Neufälle pro Einwohner und Jahr.

Oben hatten wir ein Zusatzrisiko von 0,000045 Neufällen pro Jahr und Mitarbeiter bei 1 µg/m³ über 40 Jahre festgestellt. Das Allgemeinrisiko des nicht-exponierten Bundesbürgers beträgt jedoch bereits 0,00070, also das 15-fache. Selbst bei 5 µg/m³ ist es noch immer das Dreifache.

Offensichtlich existieren deutlich größere Alltagsrisiken für uns alle, als sie in einem gut geführten Betrieb, der sechswertiges Chrom zum Beispiel für die Kunststoffbeschichtung verwendet, auftreten können. Trotz fehlender Chrom(VI)exposition.

Auf die finanzielle Betrachtungsweise soll hier nicht weiter eingegangen werden. Denn sie geht davon aus, dass ein ausreichender sozioökonomischer Nutzen darüber entscheidet, ob in einem konkreten Fall das Risiko akzeptiert wird, in einem anderen aber nicht. Diese wirtschaftliche Abwägung des gesundheitlichen Wohles Einzelner erscheint ethisch doch sehr fragwürdig. Das Recht auf Gesundheit ist für alle gleich!

Schlussfolgerungen

Als daraus zu ziehende Schlussfolgerungen bleibt zunächst festzuhalten, dass in einem gut geführten Betrieb kein wirkliches Erkrankungsrisiko bestehen kann. Dies weisen die offiziellen Zahlen deutlich nach. In den modernen Betrieben liegt das Expositionsniveau sogar deutlich unter den angenommenen 5 µg/m³; damit wird die Annahme einer realen Gefährdung noch absurder.

Dennoch kann und soll über eine weitere Reduzierung von Risiken debattiert werden. Im Vergleich zum Allgemeinrisiko ist das Zusatzrisiko in den Oberflächenbetrieben offenbar vernachlässigbar klein – ob klein genug, sollte die Gesellschaft festlegen, wobei aber die Maßstäbe für jeden Betroffenen gleich sein sollten und nicht von seiner Nutzbringung für die Allgemeinheit abhängen. Vielmehr muss die Gesellschaft als Ganzes entscheiden, ob sie die Maßnahme mit ihren weitergehenden Folgen bereit ist zu tragen. Schließlich wird es die Risikominimierung nicht zum Nulltarif geben. Das muss klar, deutlich und nachvollziehbar benannt sein – unverständliche Verklausulierungen, willkürliche Diktate und fragwürdige Interpretationen sind hier nicht zielführend. Transparenz ist zu fordern.

Im Falle der Autorisierung des Chromtrioxids nach REACh ist, wie gezeigt, kein Risiko-Verringerungseffekt zu erwarten, zumal ja derzeit davon ausgegangen werden kann, dass trotz allem Zulassungen erteilt werden. Es stellt sich damit die Frage, wie hoch das verbleibende Risiko sein wird, beziehungsweise wie hoch es sein darf.

Als einzig sichere Folge wird eine massive wirtschaftliche Belastung der betroffenen Betriebe erreicht. Viele werden eine existentielle Bedrohung spüren, völlig unnötigerweise. Die damit verbundenen Technologien wesentlicher Folgebranchen (Automobil, Flugzeugtechnik, Maschinenbau, Medizintechnik u. v. m.) werden fahrlässig gefährdet, verteuert und aus Europa vertrieben.

Wie kann es dazu kommen? Offenbar wurde beim Priorisieren der Substanz Chromtrioxid oder Chrom(VI) das reale Risiko nicht ausreichend durch die ausführende Behörde geprüft, obwohl die Daten bereits vor Jahren verfügbar waren. Und bei der Festlegung der Zulassungspflicht hat die Europäische Kommission keine ausreichende Abwägung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen. Nun läuft der Prozess: aufwändig, teuer und mit Gefahr für Arbeitsplätze und Wirtschaftsstandort – jedoch ohne Möglichkeit, ein messbares Ergebnis zu erzielen.

Ist es das, was REACh wollte?

Literatur

[1] Application for Authorisation: Establishing a Reference Dose Response Relationship for Carcinogenicity of Hexavalent Chromium; Helsinki, 04 December 2013, RAC/27/2013/06 Rev.1 (Agreed at RAC-27)

[2] Offizielle Mail des REACh-Helpdesks, GZ: 5.0-720 34/04/2014.1196, von 04.06.2014 auf eine Anfrage vom 21.05.2014.

[3] http://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Lungenkrebs/lungenkrebs_node.html;jsessionid=0C6A7873C1B2A7A11B9ED7D0B387B56B.2_cid290

VERBÄNDE

Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e. V. (GKV)

Leitfaden zur Ausbildung Verfahrensmechaniker Kunststoff- und Kautschuktechnik veröffentlicht

Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat unter Federführung des Gesamtverbands Kunststoffverarbeitende Industrie e. V. (GKV) sowie in enger Zusammenarbeit mit seinen Sozialpartnern eine Umsetzungshilfe für die Ausbildung im Beruf Verfahrensmechaniker/in Kunststoff- und Kautschuktechnik herausgegeben.

Dieser Leitfaden ist ein unverzichtbares Handwerkszeug für eine erfolgreiche Ausbildung und sollte in keinem Unternehmen der Kunststoffverarbeitung fehlen. Die Umsetzungshilfe zur Ausbildungsordnung­ 2012 beschreibt auf 340 Seiten eingängig, wie die betriebliche und schulische Ausbildung zum Verfahrensmechaniker beziehungsweise zur Verfahrensmechanikerin in allen sieben Fachrichtungen von Formteile, Halbzeuge, Mehrschichtkautschukteile, Compound- und Masterbatchherstellung über Bauteile, Fasertechnologie bis hin zu Kunststofffenstern umzusetzen ist. Sie richtet sich an Ausbilder in den Betrieben, an Lehrer in den Berufsschulen, an Mitglieder der Prüfungsausschüsse und nicht zuletzt an Auszubildende selbst.

Nach den Worten von Ralf Olsen, Geschäftsführer des pro-K Industrieverbands und im GKV zuständig für den Bereich Bildungspolitik und Berufsbildung, finden hier auch Unternehmen, die bisher keine Verfahrensmechaniker ausgebildet haben, vielfältige Informationen zur Ausbildungspraxis im Betrieb.

Darüber hinaus wird in dem Leitfaden dargestellt, wie die Abschlussprüfung für den ersten und zweiten Teil der Ausbildung gestaltet werden muss. Zusätzlich werden die Prüfungsanforderungen für jede der sieben Fachrichtungen mit betrieblichen Beispielen unterlegt.

Die Umsetzungshilfe kann über den W. Bertelsmann Verlag (E-Mail: service@wbv.de) für 29,90 Euro zuzgl. MwSt. bezogen werden. Im Lieferumfang ist auch eine CD-ROM enthalten.

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