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Europäischer Forschungsrat fördert BAM-Wissenschaftlerin Janine George
Prof. Dr. Janine George erhält für ihr Projekt "Multibonds" eine Forschungsförderung von 1,5 Millionen Euro (Bild: BAM)
Janine George von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) erhält vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen Starting Grant in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro. Die prestigeträchtige Förderung unterstützt für fünf Jahre ihr Forschungsprojekt Multibonds, das auf ein grundlegend neues Verständnis der Zwei- und Mehrzentrenbindungen bei anorganischen Substanzen zielt. Die Erkenntnisse sind entscheidend, um zum Beispiel maßgeschneiderte Materialien für die Energiewende entwickeln zu können.
Es sind die chemischen Bindungen zwischen Atomen, die über die Eigenschaften eines Materials entscheiden, etwa über die Härte eines Kristalls oder die Wärmeleitfähigkeit oder den Magnetismus eines Metalls. Seit rund hundert Jahren untersucht die Chemie diese Bindungen, um aus ihnen feste Regeln für die Materialeigenschaften abzuleiten, erklärt Janine George, die an der BAM die Nachwuchsgruppe Computergestütztes Materialdesign leitet und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Professorin für Materialinformatik lehrt.
Bereits im letzten Jahr wurde George für ihre innovative Forschung, wie sich mithilfe künstlicher Intelligenz und quantenmechanischer Berechnungen die Entwicklung neuer Materialien beschleunigen lässt, durch die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet.
Unvollständiges Verständnis chemischer Bindung
Besondere Relevanz hat diese Forschung für Bestrebungen, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Bisher ist es nach Aussage von Prof. George nur sehr eingeschränkt möglich, maßgeschneiderte Werkstoffe mit bestimmten Eigenschaften, etwa für leistungsstärkere und gleichzeitig nachhaltige Batterien oder für effizientere Solarzellen, zu entwickeln. Der Grund ist ihrer Kenntnis nach immer noch sehr unvollständiges Verständnis der chemischen Bindung in anorganischen Materialien wie Metallen, Gläsern, Kristallen. Für die meisten Materialeigenschaften fehlen schlicht nachvollziehbare Regeln. Das limitiert unsere Möglichkeiten, maßgeschneiderte Materialien zu entwerfen.
Mehrzentrenbindungen für Materialeigenschaften entscheidend
Die aussagekräftigste Methode, Bindungen zwischen Atomen zu analysieren, ist die Quantentheorie, wie Janine George und ihr Team bereits erfolgreich an Bindungen zwischen zwei Atomen nachweisen konnten. Mehrzentrenbindungen, an denen drei oder mehr Atome beteiligt sind, spielen jedoch vermutlich ebenfalls eine große Rolle für die Eigenschaften eines Materials. Sie sind beispielsweise für die Superhärte von borhaltigen Verbindungen verantwortlich, die als Schneid- und Bohrwerkzeuge für industrielle Anwendungen, in Triebwerkskomponenten in der Luft- und Raumfahrt oder bei chirurgischen Werkzeugen zum Einsatz kommen.
Beschleunigte Entwicklung maßgeschneiderter Materialien
Auf das Verständnis dieser Mehrzentrenbindungen zielt das neue Projekt Multibonds an der BAM, dem jetzt ein ERC Starting Grant zuerkannt wurde. Prof. Janine George und ihr Team werden automatisierte quantenchemische Methoden entwickeln, um mit ihnen Mehrzentrenbindungen in großem Maßstab analysieren zu können. Die so erstellte Datenbank wird dann genutzt, um mithilfe des maschinellen Lernens neuartige Modelle zu entwickeln, mit denen Vorhersagen getroffen werden können, wie sich innovative Werkstoffe verhalten. Mit ihnen wollen wir schließlich zu intuitiv verständlichen und universell gültigen Regeln zum Verhältnis zwischen Bindungen und Materialeigenschaften gelangen, um in Zukunft die Entwicklung neuer Materialien deutlich beschleunigen zu können.
Über ERC Starting Grants
ERC Starting Grants zählen zu den höchsten europäischen Auszeichnungen für Nachwuchswissenschaftler*innen. Sie ermöglichen Spitzenforschung und zielen darauf ab, herausragende und bahnbrechende Projekte in allen wissenschaftlichen Disziplinen zu finanzieren. Starting Grants werden an Nachwuchsforscher*innen vergeben, die ihre eigene unabhängige Forschungsgruppe auf- und ausbauen möchten. Die ERC-Förderung basiert auf wissenschaftlicher Exzellenz als einzigem Auswahlkriterium. Vergeben wurden in diesem Jahr 494 Starting Grants in ganz Europa. Insgesamt wurden 3474 Projekte zur Förderung beim ERC eingereicht. Nach Deutschland gehen in diesem Jahr 98 Starting Grants.
EU-Kommissarin Iliana Ivanova, zuständig für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend sowie für das Programm Horizon Europe betont zur diesjährigen Vergabe der ERC Starting Grants, dass die Europäische Kommission stolz darauf ist, die Neugierde und Leidenschaft der Nachwuchstalente im Rahmen des Programms Horizon Europe zu unterstützen. Die neuen Gewinner der ERC Starting Grants sollen das Verständnis der Welt vertiefen. Ihre Kreativität ist entscheidend, um Lösungen für einige der dringendsten gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Iliana Ivanova freut sich, dass bei diesem Call der Anteil der weiblichen Stipendiaten mit am höchsten ist - ein Trend, der sich hoffentlich fortsetzen wird.
Der ERC, der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er finanziert kreative Forschende aller Nationalitäten und Altersgruppen, die europaweit Projekte durchführen. Der ERC bietet vier Kernförderprogramme an: Starting Grants, Consolidator Grants, Advanced Grants und Synergy Grants. Der ERC ist Teil des Programms Horizon Europe.
Über die BAM
Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ist eine wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Sie prüft, forscht und berät zum Schutz von Mensch, Umwelt und Sachgütern. Die BAM setzt und vertritt für Deutschland und seine globalen Märkte hohe Standards für Sicherheit in Technik und Chemie zur Weiterentwicklung der erfolgreichen deutschen Qualitätskultur Made in Germany. Diese Aufgabe erfüllt die BAM mit Hilfe von rund 1600 Menschen aus etwa 50 Nationen.