Vom Familienbetrieb zum eigenen Labor – Ein Unternehmerweg in der Galvanikbranche

Werkstoffe 09. 11. 2025

Von Oliver Brenscheidt, Sundern

Prolog

Wie viel unternehmerischer Mut steckt in einem Becherglas voll Elektrolyt? Meine Geschichte beginnt in einem bescheidenen Laborraum in einer Bürogemeinschaft mit gemeinsamer Teeküche und einer ­Toilette für alle. Vor fünf Jahren stand ich vor der Entscheidung: Bleibe ich im sicheren Hafen eines etablierten kleinen Handelsunternehmens, oder mache ich mich mit dem unternehmenseigenen Labor selbstständig? Ich entschied mich für die unbekannte Route und damit für einen Weg, der sich als ebenso anspruchsvoll wie lohnend erwies. Hier erzähle ich von meinem persönlichen Weg vom ambitionierten Hobby-Labor zum eigenständigen Unternehmen, von den Chancen im Wandel der Oberflächentechnik-Branche und den Lektionen, die ich auf diesem Parforceritt durch die ersten fünf Jahre Unternehmertum gelernt habe.

 

Die Ausgangslage: Schatz im Keller

Ende 2016: Das Familienunternehmen, in dem ich unter anderem als Chemiker tätig bin, betreibt seit Jahren ein kleines Labor zur Elektrolytkontrolle und Qualitätssicherung. Viele Galvanikunternehmen haben ein derartiges Labor – oft im sprichwörtlichen Keller versteckt, abseits vom Rampenlicht des Tagesgeschäfts. Doch ich spürte, dass darin ein ungehobener Schatz lag.

Als ich mich Ende 2016 mit dem Handel französischer Industriedienstleistungen selbstständig gemacht hatte, kam unvermittelt der Wunsch auf, wieder in einem Labor arbeiten zu können. Und sei es nur als Hobby. Neudeutsch nennt man das dann wohlMan Cave. Wie so oft bei Hobbykellern hatte auch dieses Labor bald Fähigkeiten entwickelt, die weit über den Eigenbedarf hinaus gingen: modernste Analysegeräte, erfahrenes Personal und Prozesse, die sich bewährt hatten. Gleichzeitig hörte ich auf Messen und Branchentreffen immer wieder von Kollegen: Wir würden ja gern mehr prüfen, aber uns fehlt das Equipment, das Personal oder die Zeit. Oder alles drei … Die Idee war geboren: Warum nicht unser Know-how als Service anbieten? Warum nicht ein unabhängiges Labor für die ganze Branche daraus formen?

Natürlich gab es Bedenken. Würden ­genug Kunden auf einen solchen Service zurückgreifen? Wie lassen sich Konflikte mit den großen Chemielieferanten verhindern, die selbst Beratungen und Analysen anbieten? Und nicht zuletzt: Ist der Spagat, aus einem ambitionierten Groschengrab ein markt­orientiertes Geschäftsmodell zu schmieden, zu schaffen? Fragen über Fragen. Doch letztlich überwog der Glaube an die Marktlücke. Ich war überzeugt, dass die Galvanikbranche im Wandel einen solchen frischen Ansatz brauchte: Ein agiles, neutrales Laborunternehmen, das schnell zur Stelle ist, wenn es bei Beschichtungsprozessen klemmt, und das in keiner Hierarchie gefangen ist. Ein Dienstleister, der nicht krank wird und nicht in den Urlaub geht.

Der Sprung ins kalte Wasser

Anfang 2020 war es so weit: DieBrenscheidt Galvanik Service GmbH ging offiziell mit ihrem Labor-Service an den Start. Mit im Boot war ein alter Weggefährte, Dominik West, Galvaniseur-Meister und heute ­Laborleiter, der ebenso für die Idee brannte. Unsere ­Devise lautete von Anfang an: Professionalität wie ein großes Prüflabor, aber Flexibilität und Herzblut wie ein Start-up. Die ersten Monate fühlten sich in der Tat an wie ein Sprung ins kalte Wasser. Plötzlich hieß es Kunden ­akquirieren, Angebote kalkulieren, den eigenen Namen bekannt machen. Wir hatten zwar fachlich viel zu bieten, doch als Newcomer mussten wir uns das Vertrauen erst erarbeiten.

Eine der ersten Lektionen: Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken! Ich trat dem ZVO und der DGO bei, besuchte jedes relevante Branchenevent, hielt Vorträge über aktuelle Themen. Kurz: Wir zeigten Präsenz. Das zahlte sich aus. Schon bald kamen die ersten Aufträge rein, oft beginnend mit einem Notfall: Unser Bad läuft aus dem Ruder, könnt ihr schnell messen was los ist? oder Wir haben Haftungsprobleme bei der neuen Legierung, könnt ihr das prüfen? Wir konnten, und wir lieferten. Jeder gelöste Fall sprach sich herum. Dass unser Unternehmen auf neutralem Boden stand, half enorm, um Vertrauen in unsere Unabhängigkeit aufzubauen.

Analytik für die Galvanotechnik – kompetent und schnell durchgeführt – verständlich aufbereitet

 

Wachstumsschmerzen und Entwicklungssprünge

Mit der steigenden Nachfrage wuchsen jedoch auch die Anforderungen. Schnell standen wir vor Investitionsentscheidungen: mehr Geräte, größeres Team, eigene Räumlichkeiten. Hier zeigte sich, dass unternehmerischer Mut nicht mit dem Schritt in die Selbstständigkeit endet – er fängt dann erst richtig an. Wir zogen 2024 in eigene Laborräume um, ausgestattet mit noch modernerer Reinraumtechnik: Klimatisierung und Luftreinhaltung. Energetisch gespeist aus einem Photovoltaikpark. Zugleich implementierten wir ein Qualitätsmanagement, um unsere Abläufe zu professionalisieren.

Jeder dieser Schritte war mit Risiken verbunden: finanzielle Belastung, organisatorische Veränderungen, hoher persönlicher Einsatz. Ich will nicht romantisieren – es gab schlaflose Nächte und schwierige Entscheidungen. Doch jeder Entwicklungssprung machte uns stärker, sichtbarer, attraktiver für neue Kundengruppen.

Ein Beispiel für Wachstumsschmerzen: die Personalfrage. Anfangs verrichteten wir alle Arbeiten selbst: von der Probenannahme bis zum Prüfbericht. Mit mehr Aufträgen mussten wir lernen, zu delegieren und Personal einzustellen. Doch der Fachkräftemangel ist auch im Sauerland ein Problem, aber ein lösbares. Heute, also nur drei Jahre von der Ausgründung entfernt, sind wir fünf Beschäftigte und immer auf der Suche.

Chancen im Wandel der Branche

Die Galvanikbranche steht nicht still, sie bewegt sich, wenn auch langsam. In den letzten Jahren erlebten wir technologische Sprünge (Digitalisierung, Automatisierung), striktere Umweltauflagen und einen Konsolidierungstrend bei den Chemielieferanten. Wo große Konzerne durch Übernahmen immer größer wurden, fragten sich viele kleinere Kunden: Wer kümmert sich noch um uns? Hier sehen wir unsere Chance. Als kleines, flexibles Unternehmen können wir Service bieten, wo andere längst abgespeckt haben. Ein unabhängiges Labor kann Lücken schließen: Sei es die schnelle Vor-Ort-Analyse mit unserem mobilen Labor bei einem Fertigungsstopp, oder die ausführliche Beratung eines Mittelständlers, der beim Chemie-Großkonzern nur in der Warteschleife hing. Wer im Schatten der Großen steht, kann sich durch agiles Handeln hervortun. Das ist die Kernlektion meines bisherigen Weges.

Außerdem schafft der digital ­getriebene Wandel neue Spielfelder. Wir haben früh auf digitale Kommunikation gesetzt: Ergebnisse als Online-Dashboard, Ferndiagnose via Datenfernübertragung aus Kundenanlagen, Wissensvermittlung über Webinare. All das hätte im alten Trott des Familienbetriebs kaum ­Priorität gehabt. Als Gründer aber ­konnten wir Neues einfach ausprobieren. Manche Ideen scheiterten auch – zum Beispiel unser Mehrwegsystem für Proben. Es ist sicher, zugelassen, aber viel zu teuer.

Fazit: Mut zahlt sich aus

Fünf Jahre nach dem Start kann ich sagen: Mut zahlt sich aus. Unser unabhängiges ­Labor ist heute ein etabliertes Unternehmen mit breiter Kundenbasis. Wir haben bewiesen, dass ein kleines Unternehmen mit Spezialisierung und Qualitätsfokus gegen die Großen bestehen kann. Entscheidend war, Chancen zu erkennen und entschlossen zu ergreifen – selbst wenn das Risiko bedeutete. Jeden, der vor Veränderungen steht, möchte ich motivieren: Seid mutig! Die Oberflächentechnik braucht Menschen, die neue Wege gehen. Im Schatten der großen Player gibt es so viele Nischen und Möglichkeiten, die darauf warten, genutzt zu werden. Ob es nun ein spezialisiertes Labor ist, ein neuer Beschichtungsprozess oder ein digitales Tool; wer die Bedürfnisse der Branche genau kennt und eine Leidenschaft für Lösungen hat, kann Großes erreichen.

Mein persönlicher Weg vom Kellerlabor zum gefragten Partner für Industrie und Forschung hat mich eines gelehrt: Fachwissen und Technik sind wichtig, aber am Ende machen Leidenschaft, Ausdauer und Integrität den Unterschied. Unabhängig zu bleiben – in Gedanken und im Geschäftsmodell – war dabei unser größtes Kapital. Denn Unabhängigkeit bedeutet Glaubwürdigkeit, und Glaubwürdigkeit ist die Währung, die in unserer vernetzten Branche zählt.

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