Innovation für die Globalisierung – wie notwendig ist die Beschäftigung mit der Welt?

Werkstoffe 03. 02. 2016
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Von Marc Brunel

Globalisierung als Synonym für viele Chancen aber auch für viele Umwälzungen in der Wirtschaft durchzieht immer mehr unsere ­Gesellschaft und alle anderen weltweit. Doch ist die Globalisierung nicht für viele Menschen weit weg? Wird sie nicht oft als eher wichtig für die anderen wahrgenommen? Wie wichtig ist die Beschäftigung mit den Auswirkungen der globalen Entwicklungen? Für die Unternehmensführung heute spielt sie eine entscheidende Rolle unabhängig davon, wie groß ein Unternehmen ist und in welchen Märkten es agiert.

Innovation for Globalisation – how Important is a Concern for the Wider World?

Globalization is a synonym for high chances and big changes in industry as well as in society globally today. But globalization is often perceived as being far away from us, as happening somewhere else and to someone else. How important is it? How important are its consequences and their analysis? Will business leaders have to deal with it and if so, what are the concrete tasks?

Globalisierung ist ein Begriff, der nun schon viele Jahre in vielfältigen Zusammenhängen von noch mehr Menschen benutzt wird, von dem aber scheinbar nur sehr wenige Nutzer eine klare Vorstellung haben. Globalisierung kommt manchmal bedrohlich daher, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Handelsabkommen TTIP, oder etwa als die wachsende und staatlich unterstützte chinesische Photovoltaikindustrie praktisch alle größeren europäischen Hersteller aus dem Markt drängte. Andererseits steht Globalisierung auch für neue Märkte, für die Ausdehnung beispielsweise der deutschen Automobilindustrie nach Asien, insbesondere China, oder auch für den weltweit immer weiter zunehmenden Handel mit Lebensmitteln aller Art.

Bei all diesen verschiedenen Sichtweisen dürften sich die meisten Beobachter und Betroffenen zumindest in einem einig sein: Die Globalisierung schreitet weiter voran, ein Zurück zu der vor-globalen Welt gibt es nicht.

Die großen Industriekonzerne in Deutschland, sei es im Maschinenbau, in der Automobilindustrie oder in der Energie­wirtschaft, nutzen schon lange die Möglichkeiten, die sich im Zuge der Globalisierung entwickelt haben, um neue Märkte zu erschließen. Sie bauen neben neuen Fertigungsstätten auf den verschiedenen Kontinenten auch immer häufiger internationale Forschungszentren in Asien oder Amerika, um die Kunden vor Ort mit größerer Nähe, aber vor allem auch mit besserer kultureller und regionaler Kenntnis noch besser bedienen zu können. Andererseits kaufen ausländische Konzerne deutsche und europäische Unternehmen aus dem Mittelstand, um deren Wissen und Marktzugang zu nutzen. Die Globalisierung ist also bidirektional; alle spielen irgendwie mit und das gesamte System wird immer komplexer und damit auch unübersicht­licher.

Der typische deutsche Mittelstands­betrieb hat auch heute noch einen begrenzten Kundenkreis, der meist mit sehr gutem Service bedient wird und den meist inhabergeführten Unternehmen gute Margen beschert. Auch viele kleinere Mittelständler verdienen immer noch sehr gut; so ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass sie sich fragen, was denn die Globalisierung mit ihnen zu tun hat und warum in aller Welt sie sich mit ihr beschäftigen sollten. Sie tun das, was sie am besten können und sie sind erfolgreich dabei; warum sollten sie etwas ändern und was sollten sie ändern?

Nun ist ein Großkonzern sicher nicht so einfach mit einem deutschen mittelständischen Unternehmen vergleichbar. Dennoch gibt es zu denken, dass Nokia, einst der unan­gefochtene Weltmarktführer bei Mobiltelefonen, innerhalb von wenigen­ Jahren vollständig aus diesem Markt verschwunden ist. Trotz oder wegen des Erfolgs haben die Manager dort nicht erkannt, welch disruptives Potenzial Smartphones im Mobiltelefonmarkt entfalten würden. Sie reagierten zu spät, als schon so viele mächtige Wettbewerber an ihnen vorbeigezogen waren, dass sie am Ende die Sparte ganz verkauften. So wird es sicher einem Mittelständler nicht gehen, gerade in diesem Segment arbeiten ja mit den Hidden Champions auch eine ganze Reihe von Weltmarktführern in Deutschland.

Jeder mittelständische Betrieb ist jedoch Zulieferer und viele Betriebe haben einige wenige Kunden, die einen beträchtlichen Teil des Umsatzes ausmachen. Wenn einer dieser großen Kunden ein ähnliches Schicksal erleidet wie Nokia, dann wird es eng, denn meist lassen sich große und lang­jährige Kunden nicht so einfach ersetzen.

Ereignisse wie die Verdrängung der traditionellen Mobiltelefone durch die Smartphones werden in der Sprache der Berater und Manager auch als Tipping points bezeichnet, weil an ihnen nur durch kleine Änderungen in den Randbedingungen oder durch eine kleine Innovation ein sehr großer Umschwung beginnt, der eine ganze Industrie umwälzen kann. Da das System der Weltwirtschaft, der Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten sowie der Verknüpfung von realer Welt und Internet immer komplexer wird, steigt auch die Gefahr, solche Tipping points zu verpassen. Außerdem verlieren auch für die Mittelständler altbekannte Lieferbeziehungen an Bedeutung, wenn die Kunden gezwungen sind, selbst global aktiv zu werden.

Wie weit ein Unternehmen nun tatsächlich von der Globalisierung und ihren Auswirkungen betroffen ist, kann immer nur individuell abgeschätzt werden. Unter anderem deshalb ist es aber notwendig, die globalen Entwicklungen zu verfolgen und das eigene Unternehmen immer wieder einmal daraufhin zu überprüfen, wie gut es denn einer plötzlichen umwälzenden Entwicklung folgen könnte. Mit anderen Worten, auch hier kann ein Stresstest nicht schaden, um zu sehen, wie robust eine Organisation aufgestellt ist.

Die wichtigsten Schlagworte, mit denen von Beratern und Managern heute die Komplexität der Wirtschaft und der Märkte­ vermittelt wird, sind vor allem Sprunghaftigkeit, Unsicherheit, Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit. In den komplexen Systemen,­ mit denen es Unternehmensführer und ihr Management heute zu tun haben, kommen immer öfter nicht-lineare Abhängigkeiten­ vor, also solche, in denen die Stärke und Qualität einer Systemantwort nicht linear­ von der Stärke oder Qualität eines Eingangssignals abhängen. Ein Beispiel für solches Verhalten sind Verkaufspreise. Nicht immer haben sinkende Preise einen größeren Umsatz zur Folge oder Preiserhöhungen auch eine Erhöhung des Gewinns. Manchmal können schon kleine Änderungen im Zusammenhang mit anderen Entwicklungen zu viel stärkeren Ausschlägen beispielsweise im Verhalten der Kunden führen, als sie für möglich gehalten worden wären.

Die Unsicherheit und die Vielschichtigkeit der untereinander vernetzten Märkte, gesellschaftlichen Systeme und der in all diesen Systemen durch die weltumspannende Verfügbarkeit von Informationen immer stärker werdenden Rückkopplungen nehmen zu. Heute kann niemand mehr mit Sicherheit sagen, wie sich wichtige Parameter seines Geschäfts oder seiner Branche in der Zukunft entwickeln werden, außer vielleicht, er ist alteingesessener Bäcker. Jedoch auch dort kann ein neuer Supermarkt einige Straßen weiter alles verändern. ­Zusätzlich wird heute alles vieldeutiger; die Zeichen und Entwicklungen lassen sich nicht mehr so klar und einfach deuten, wie das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. So steigt die Gefahr für unternehmerische Fehlentscheidungen und damit auch die Notwendigkeit, das System des eigenen Unternehmens möglichst tolerant gegen Fehler zu machen.

Was also sind Elemente einer robusten und fehlertoleranten Unternehmung? Zunächst ist da eine langfristige Strategie zu nennen. Wahrscheinlich denken jetzt die meisten, ihr Unternehmen hätte natürlich genau eine solche langfristige Strategie. Die Frage ist nur: Kennen alle im Unternehmen diese Strategie, waren sie an ihrer Entwicklung so beteiligt, dass sie diese auch leben und aktiv unterstützen? Dies führt auf das zweite Element: Transparenz und Offenheit in der Führung. Nur dann, wenn alle Ebenen und alle Kompetenzen eines Unternehmens in die großen Entscheidungen eingebunden sind und wenn eine Kultur der Fehlertoleranz herrscht, werden die wichtigen Informationen in beiden Richtungen durch das System fließen können. Es ist eben nicht nur wichtig, dass die Mitarbeiter in der Produktion wissen, was die Geschäftsleitung sagt, sondern sie müssen wissen, was der Chef denkt und sicher sein, dass er auch danach handelt. Genauso wichtig ist es aber umgekehrt, dass auch die Geschäftsleitung weiß, was die Mitarbeiter denken und was ihnen wichtig ist und das möglichst ohne Filter und Beschönigung. Nur dann können sich alle Mitarbeiter auch neuen Herausforderungen stellen und die Möglichkeiten ihrer Organisation nutzen. Eine klare Kommunikation in beiden Richtungen verhindert es, dass Kräfte und Ressourcen in unsinnige­ Richtungen gelenkt werden, auch wenn solche Entwicklungen immer wieder vorkommen werden. Mit einer vertrauensvollen Kommunikationskultur sollte so etwas aber schnell erkannt und wieder in richtige Bahnen gelenkt werden.

Diesen Ausführungen können vermutlich viele zustimmen. Allerdings ist unklar, warum sie immer noch nicht überall umgesetzt werden und was die Hinderungsgründe dafür sind. Am häufigsten sind diese im Management und dort auf den oberen Ebenen zu finden. Eine patriarchalische Führung kann ein solcher Hinderungsgrund sein, die fehlende Einbindung von Führungskräften ist es immer. Herrscht in der Führung keine offene Kommunikation, sondern existieren Intrigen und persönliche Machtinteressen, dann wird viel Energie in diese internen Prozesse gelenkt. Auch die fehlende Konsequenz der Führung bei der Umsetzung notwendiger oder beschlossener Maßnahmen ist ein großer Risikofaktor, denn wenn aus persönlichen Gründen notwendige Änderungen auf die lange Bank geschoben werden, dann kann die Welt sich schnell weiterdrehen und das Unternehmen wird von der Entwicklung überholt und abgehängt.

All diese Überlegungen weisen darauf hin, dass es sinnvoll sein könnte, das eigene Unternehmen, die Führungsstruktur oder auch das Geschäftsmodell immer wieder­ ernsthaft auf den Prüfstand zu stellen und schonungslos zu überlegen, was wäre, wenn einige der oben erwähnten Entwicklungen oder sogar Katastrophen einträten. Wie ist sinnvoll darauf zu reagieren und wie ein entstandener Schaden zu begrenzen? Welche Spielräume gäbe es und in welchen Zeithorizonten müssten Management und Mitarbeiter denken? Welche gefährlichen Veränderungen können sich die Mitarbeiter vorstellen? Erst mit den ehrlichen Antworten auf diese und ähnliche Fragen lässt sich einschätzen, wie groß das Risiko für ein individuelles Unternehmen wirklich ist. Dann erst lässt sich mit ausreichender Sicherheit sagen, ob es klug wäre, beispielsweise den großen Kunden in globale Märkte zu folgen oder ob es erfolgversprechend wäre, in Märkten wie China oder Indien neben den Premiumsegmenten auch das meist eher preissensitive Mittelsegment zu adressieren und dafür vielleicht neue Anforderungen und neue Prozesse zu ent­wickeln.

Die Beschäftigung mit der Welt und all ihren Unsicherheitsfaktoren wird wichtiger als früher und auch, wenn die Konsequenz dann lautet, sich dieser Globalisierung nicht zu stellen und lieber auf dem Heimatmarkt zu bleiben, so ist jedes Unternehmen auch dann besser aufgestellt, wenn die Antworten auf die oben erwähnten Fragen einmal gegeben und kommuniziert worden sind.

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Abb. 1: Welthandel und Industrieproduktion

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Abb. 2: Die Dynamik in Welthandel und Industrieproduktion

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Abb. 3: Auch Schwellenländer produzieren zunehmend technologielastige Produkte, um den Anteil an hochwertigen Waren auszubauen

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Abb. 4: Insbesondere China hat durch seine hohe Wachstumsdynamik eine enorme Bedeutung für die Weltwirtschaft, aber auch für die Finanzsysteme, wodurch bereits ein kleiner Rückgang des Wachstums einen Schock auslösen kann

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Abb. 5: Deutsche Unternehmen engagieren sich in Asien und sind dadurch schnell auf diesen wachsenden Märkten präsent. Vergangene Krisen zeigen jedoch, dass die enorme asiatische Dynamik auch auch kurzfristig die Richtung ändern kann. Dann sind solide Gegenmaßnahmen notwendig, die schon im Vorfeld entwickelt werden müssen

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Abb. 6: Die Vielfalt der Märkte und der dort jeweils herrschenden Randbedingungen ist hoch. Die Märkte, also die Umwelt der Unternehmen, sollte deshalb auch vielfältige Strategie haben, um die Wandelbarkeit der Außenwelt im Inneren abbilden zu können

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