Erkrankungen des Bewegungsapparats können zu funktionellen Einschränkungen führen, die sich in vielen Fällen durch den gezielten Einsatz von Orthesen ausgleichen lassen. Ein neuer Ansatz in der Entwicklung von Orthesen fokussiert sich auf die Verwendung von Magnetsensoren zur Aufnahme/Abbildung der Anatomie. Die hierfür verwendete Messelektronik wird mittels Verfahren der Oberflächentechnik beschichtet und somit waschbar und für mechanische Belastungen optimiert. Durch den Einsatz von Magnetsensoren bei der Orthesenherstellung entfällt zusätzlich die Verwendung von Gips, wodurch Ressourcen geschont werden und ein Beitrag zum Umweltschutz geleistet wird.
1 Ausgangssituation
Der Einsatz von Orthesen, medizinischen Hilfsmitteln, die zur Kompensation von Erkrankungen des Bewegungsapparats dienen, ist bei verschiedenen Krankheitsbildern erforderlich. Derartige Orthesen finden Anwendung an verschiedenen Körperteilen (z. B. Arme, Hände, Knie, Knöchel), wobei alle eine gemeinsame Herausforderung darstellen: die präzise Anpassung an die Anatomie des Patienten. Um zum Beispiel eine Fehlstellung des Fußes zu korrigieren, erfolgt die Ermittlung der Orthesenmaße derzeit mittels eines Gipsabdrucks. Der Orthopädietechniker korrigiert die Stellung des Fußes manuell, indem er ihn in einen unbeweglichen Zustand versetzt, und fertigt dann eine Form an, die für die Herstellung der Orthese verwendet wird. Dieses Verfahren ist zeitintensiv und kann Ungenauigkeiten aufweisen, was eine Nachbearbeitung der Orthese erforderlich macht, um den Komfort des Patienten zu verbessern. Die Verwendung von optischen Scannern resultiert ebenso in einer geringeren Präzisionsrate, da die Hände des Technikers während des Scanvorgangs Teile der Anatomie verdecken und folglich Lücken in den erfassten Daten generieren (Abb. 1).

Abb. 1: Arbeitsablauf für das aktuelle Orthesen-Design (1) im Vergleich zum zukünftigen Arbeitsablauf mit der intelligenten Bandage (2) (Bild: Institut für Medizintechnik und Medizininformatik, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW)
2 Intelligente Bandage
Die Hochschule Furtwangen (HFU), die Universität Straßburg und ihre Partner, die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und die Hochschule Kaiserslautern (HSKL) beschäftigen sich mit der Lösung dieses Problems. Hierfür wird eine intelligente Bandage mit hunderten Magnetsensoren ausgestattet, die dem Patienten an der betreffenden Stelle angelegt wird. Die von den Sensoren gelieferten dreidimensionalen Koordinatenpunkte repräsentieren die anatomische Form der von der Bandage umhüllten Körperpartie, die durch eine spezielle Software rekonstruiert wird. Die gewonnenen Messdaten können für den 3D-Druck einer auf den Patienten abgestimmten Orthese angewendet werden (Abb. 1).
In Abhängigkeit von der Position der Magnetsensoren am Bewegungsapparat werden verschiedene Leiterplattenlayouts verwendet, die eine optimale Anpassung an die jeweilige Anatomie gewährleisten. Die Verwendung flexibler Leiterplatten aus Polyimid ermöglicht eine Adaption an komplexe Strukturen. Die mechanische Stabilität ist ein entscheidender Parameter, um eine Beschädigung der Leiterbahnen und dadurch resultierende Ausfälle der verbundenen Magnetsensoren zu vermeiden. Ein Ausfall der Sensoren führt unweigerlich zu einem Verlust wichtiger anatomischer Positionsinformationen für die Orthesenherstellung.
Der mechanische Stress auf die Leiterplatten wird während der Entwicklung mit einem eigens dafür entwickelten Stresssimulator ausgeübt (Abb. 2). Das Ziel besteht in der Identifizierung von Schwachstellen im Leiterplattenlayout, um eine Optimierung des Layouts zu ermöglichen. Die verwendeten Komponenten wurden im Forschungszentrum Rottweil der Hochschule Furtwangen unter Verwendung des Fused Deposition Modeling (FDM)-Verfahrens gefertigt.

Abb. 2: Stresstester für flexible Leiterplatten
3 Stresstester und Verkapselung
Einzelne flexible Arme der Leiterplatte werden in dem Stresssimulator über einzelne Stößel in Intervallen nach oben gedrückt und biegen somit die Leiterplatte an definierten Punkten. Die Stößel sind über separate Linearführungen gelagert und werden durch Federn in ihre Ursprungsposition zurückgedrückt. Die Übertragung der Bewegung erfolgt über zwei gelagerte Nockenwellen, die wiederum über einen Schrittmotor sowie einen Zahnriemen angetrieben werden. Um den mechanischen Abrieb der Bauteile während des Betriebs zu minimieren, wurden diese mittels Chemical Vapor Deposition (CVD) mit Parylene-C beschichtet. Im Rahmen des Testablaufs erfolgt in regelmäßigen Abständen ein Auslesevorgang aller Magnetsensoren. Hierdurch wird das potenzielle Versagen der Magnetsensoren beziehungsweise der Leiterbahnen sowie der exakte Versagenszeitpunkt ermittelt.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Projekts ist die Wiederverwendbarkeit der Sensorik. Infolgedessen ist eine Reinigung der mit Sensoren versehenen Bandage nach dem Einsatz erforderlich. Um die Sensorik vor Feuchtigkeitseintritt beziehungsweise vor Reinigungsmitteln und dadurch entstehende Korrosion zu schützen, wird diese mit einer Parylene-C-Beschichtung versehen und anschließend in Silikon verkapselt. Für eine spätere Serienfertigung wird ein halbautomatischer Prozess entwickelt, bei dem ein Dosierroboter mehrere Gussformen nacheinander abfährt und die Elektronik in mehreren Schritten verkapselt. Der Aufbau des Systems sieht ein Kartuschensystem vor, welches das 2K-Silikon enthält, dass direkt bei der Applizierung durch eine Mischdüse gedrückt und somit gemixt in die jeweilige Form gegeben wird (Abb. 3).

Abb. 3: Dosierroboter mit Aufbau zur Verkapselung
Das Ziel besteht darin, eine optimale Methode zur Verkapselung zu identifizieren, die eine effektive Reinigung bei gleichzeitigem mechanischem und chemischem Schutz gewährleistet. Darüber hinaus soll die Durchlaufzeit der Herstellung auf ein Minimum reduziert werden. Im Anschluss an das Verkapselungsverfahren wird die Elektronik noch weiteren Testverfahren, wie beispielsweise Wasch- und Belastungstests, unterzogen.
In Zukunft soll die intelligente Bandage, nach Abschluss aller Optimierungen, mit ersten Probanden getestet werden. Hierbei wird der Fokus vor allem auf der Handhabung der Bandage und dem eigentlichen Messvorgang liegen. Aus den dabei gewonnenen Daten soll die Orthesenherstellung weiter vereinfacht und der Komfort für die Patienten verbessert werden.
Förderung
HelpMeWalk ist ein Forschungsprojekt, das von der Europäischen Union über das Programm Interreg Oberrhein, der Wissenschaftsoffensive der Trinationalen Metropolregion Oberrhein, der Région Grand Est, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg und dem Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz gefördert wird. Die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Kantone der Nordwestschweiz beteiligen sich an der Finanzierung der Schweizer Projektpartner.

