Additive Technologien erobern die industrielle Fertigung

Werkstoffe 04. 08. 2016
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Von Harald Holeczek, Stuttgart

Additive Technologien, also der Aufbau von technischen Komponenten aus Pulvern durch selektives Aufschmelzen in vielen dünnen Schichten, begannen einmal als Werkzeug für die schnelle Herstellung von 3D-Prototypen. Durch die Verbesserung der Pulver und vor allem des meist mit Laser ausgeführten Aufschmelzvorgangs hat sich diese Technologie in einigen Gebieten zur vollwertigen Produktionstechnik für kleine Stückzahlen entwickelt. Allerdings gibt es auch noch genügend Herausforderungen, von der Einführung neuer Werkstoffe bis zur Beherrschung von Oberflächenrauigkeit und Kerbwirkungen an unzugänglichen Stellen bei dauerbelasteten Bauteilen.

Ein Schaufenster für die Leistungsfähigkeit von additiven Technologien und den Möglichkeiten der damit verbundenen Material­bearbeitung mittels Laser ist alle zwei Jahre der Laserkongress in Aachen, bei dem alle wichtigen Maschinenhersteller und viele, auch internationale, Forscher und Anwender zusammen kommen. In diesem Jahr waren es fast 700 Besucher, davon fast ein Drittel aus dem Ausland, wobei 27 Länder vertreten waren.

Abb. 1: Industrieausstellung und Networking während des Laser-Kongresses in Aachen; Hersteller aus der gesamten Technologiekette der Laserbearbeitung waren in der Ausstellung vertreten (Quelle: Fraunhofer-ILT)

 

Additive Technologien zur Herstellung industrieller Komponenten haben vier wesentliche Vorteile. Zunächst die Zeit; sie ermöglichen eine schnelle Herstellung von Einzelstücken und kleinen Serien, wobei es keine Werkzeugkosten und auch keine­ Rüstzeiten gibt. Für komplexe Bauteile kann das ein großer Vorteil sein. Zum Zweiten ist die Fertigung von komplexen Bauteilen und Geometrien in einem Schritt möglich; weder werden verschiedene Bearbeitungsverfahren noch verschiedene Aufspannungen benötigt. Zum Dritten können additive Technologien mit überraschender Funktionalität punkten; die Freiheiten für die Konstrukteure sind groß und wenn Bauteile entsprechend gestaltet werden, dann lassen sich Funktionen realisieren, die mit keiner anderen Technologie möglich sind. Zum Vierten sind da die neuartigen Möglichkeiten für Leichtbaukonstruktionen, die mit additiven Technologien zugänglich sind. Extreme Gewichtsreduktionen bis zur Hälfte des Ausgangsgewichts ohne Einbußen der Festigkeit sind möglich.

All diesen Vorteilen stehen heute natürlich noch verschiedene Nachteile gegenüber, welche eine breite Anwendung dieser Technologie erschweren. Eine der größten Herausforderungen ist die oftmals geringe Produktivität der Anlagen. Da additive Prozesse immer scannend arbeiten, ist das Verhältnis der Fläche des Laserstrahls zur gesamten Bearbeitungsfläche eines Bauteils entscheidend und eben heute meist sehr klein. Trotz hoher Scangeschwindigkeiten ist die Baugeschwindigkeit begrenzt und neue Konzepte zur Verkürzung der Zeiten sind erforderlich. Das beginnt bei der Idee, mehrere Laserstrahlen parallel zu führen und damit die bearbeitete Fläche zu vervielfachen. Auch der Wechsel zwischen Pulverschmelzen einerseits und dem Auftrag der nächsten Pulverschicht andererseits könnte effizienter erfolgen, sodass die Strahlquelle permanent genutzt werden kann. Insbesondere in der Forschung wird derzeit an neuen Maschinenkonzepten gearbeitet. Interessant ist die Frage, ob diese eines Tages eine ähnliche Entwicklung nehmen werden wie beim Tintenstrahldruck, wo es heute für industrielle Anwendungen den Single-pass-Druck gibt, der die Fertigstellung des kompletten Druckbildes in einer einzigen Überfahrt des Kopfes erlaubt.

Neben neuen Fertigungskonzepten ist die Einführung von neuen Werkstoffen ein wichtiges Thema für additive Technologien. Außer für Kupfer und Kupferlegierungen werden zunehmend auch Prozesse für die rissfreie Verarbeitung von hochfesten Legierungen entwickelt. Ganz neue Möglichkeiten bietet die Verarbeitung von Magnesium, beispielsweise für die Herstellung von ultraleichten Maschinenkomponenten oder für die patientenindividuelle Fertigung von ­resorbierbaren Implantaten, die auch mit Poly-Milchsäure möglich ist.

Wichtige Anwendungsbereiche für die additive Laserfertigung sind heute die Luft- und Raumfahrttechnik sowie die Medizintechnik. Vor allem in der Luftfahrtindustrie spielen additive Fertigungstechniken eine immer bedeutendere Rolle. Heute werden vor allem Turbinenschaufeln und andere Turbinenkomponenten gefertigt sowie Ersatzteile von Flugzeugkomponenten, die nicht sicherheitskritisch sind. Gerade bei den Turbinenschaufeln können über additive Fertigungsprozesse Kühlkanäle für die extremen Temperaturbelastungen hergestellt werden, die sich mit keinem anderen Verfahren realisieren lassen. Dies ist neben der großen Flexibilität der wesentliche Vorteil des selektiven Laserschmelzens (SLM) in der Luftfahrt.

Die größte Herausforderung besteht hier derzeit darin, stabile und sehr gut reproduzierbare Prozesse zu entwickeln. Über die Zeit ändert sich heute die Qualität des eingesetzten Metallpulvers und damit auch die mechanischen Eigenschaften der Bauteile, vor allem gibt es immer wieder Ausfälle­ bei der Dauerfestigkeit von Bauteilen, welche mit den heutigen Methoden der Pulvercharakterisierung und der Prozessmodellierung nicht vorhergesagt werden können. Daher fordern die industriellen Anwender eine leistungsfähige Inline-Prozessüberwachung, mit der eine Zertifizierung für die Luftfahrtzulassung möglich wäre. An einer solchen Prozessüberwachung arbeiten verschiedene Forschungsgruppen weltweit, allerdings ist das Verständnis der Laser-Material-Interaktion heute noch nicht so weit, dass ein aussagekräftiges Überwachungsverfahren daraus konstruiert werden könnte. So behilft sich die Industrie derzeit mit der Überwachung verschiedener Maschinenparameter, welche für Anwendungen des allgemeinen Maschinenbaus eine gute Bauteilqualität ermöglicht, aber eben noch nicht für anspruchsvolle Anwendungen in der Luftfahrt.

Solange dies so ist, können additive Fertigungsprozesse nur sehr eingeschränkt für Bauteile mit hohen Anforderungen an Dauer­festigkeit eingesetzt werden. Allerdings besteht durch neue Entwicklungen bei Pulvern und bei Nachbearbeitungs­prozessen die Hoffnung, dass auch diese Herausforderung schließlich gemeistert wird. Andererseits lassen sich anforderungsgerecht auch inzwischen sehr feine Oberflächenstrukturen zusammen mit dem Bauteil herstellen, ohne dass dessen Kosten dadurch steigen. Der Anwender eines Bauteils bekommt also Komplexität zum Nulltarif, auch diese Tatsache könnte langfristig ganz neue Möglichkeiten für die ­additiven Technologien erschließen.

Abb. 2: Implantat (Scaffold) mit definierter Porenstruktur aus einer biodegradierbaren Magnesiumlegierung (WE43) mit Abmessungen von 10 x 10 x 7,5 mm³ bei circa 400  µm Strebendicke (Quelle: Fraunhofer-ILT)

 

Abb. 3: Demonstrator für eine topologieoptimierte Gabelbrücke eines Motorrads (Werkstoff: AZ91) (Quelle: Fraunhofer-ILT)

 

In der Medizintechnik ist die Herstellung oder spezifische Anpassung von patientenindividuellen Implantaten die wichtigste Anwendung additiver Prozesse. Die Implantate werden aus Titan oder Poly-Milchsäure­ gefertigt; letztere wird vom Körper im Lauf der Zeit aufgenommen und ist damit verschwunden. Ein neuer Trend ist die Fertigung von Implantaten aus Magnesium, welches ebenfalls resorbiert wird, sich jedoch für höhere mechanische Belastungen eignet. Die Verarbeitung von Magnesium stellt besondere Anforderungen an die Laserprozesse und auch die gesamte Anlagentechnik, da der eigentliche Schmelzprozess beispielsweise unter Schutzgas erfolgen muss.

Anwendungen additiver Technologien in der Medizintechnik sind immer als Systemtechnik zu betrachten. Die Herstellung individueller Implantate erfordert ein gutes Verständnis des Gesamtsystems: Wissen über die technischen Prozesse der Implantatherstellung muss kombiniert werden mit medizinischem Wissen über die Verletzung und die chirurgischen Rekonstruktionstechniken. Trotz der hohen finanziellen Aufwendungen für Operationen nach schweren Verletzungen oder in Folge von Tumoren herrscht ein hoher Kostendruck für die Lieferanten von Implantaten. Hinzu kommt, dass viele Anwendungen in Nischen stattfinden, dabei aber hohe Anforderungen an die Qualität der Produkte und das Wissen der Hersteller gestellt werden. Damit ist das Erzielen ausreichender Gewinne zur Weiterentwicklung der Technologien nicht einfach, da gerade in den anspruchsvollen Nischen keine Massenprodukte eingesetzt werden können.

Überhaupt ist die Komplexität der Anwendungen heute eine der größten Herausforderungen für die Laserindustrie, da auch in Anwendungen wie der Oberflächen­behandlung die Anforderungen, aber auch die Erwartungen der potentiellen Kunden ständig steigen. Viele Anwendungen erfordern Sonderlösungen oder spezifische Entwicklungen auf Seiten der Anlagenhersteller oder auch der Prozessentwickler. Natürlich sind sehr interessante Lösungen mithilfe von Lasern möglich; so wurde einer der diesjährigen Innovation Awards des Europäischen Laser-Instituts für die Entwicklung eines Hochleistungs-UV-Lasers vergeben, der in der industriellen Fertigung von flexiblen Displays die schnelle und vor allem großflächige Trennung des fertigen, folienartigen Displays vom Glasträger ermöglicht. Eine Entwicklung, welche der Coherent LaserSystems nun gute Umsätze in der Displayindustrie einbringen dürfte, deren Entwicklung aber auch sehr aufwendig war. Die hohen Kosten der Anwendungskomplexität sind das Dilemma der Laserhersteller, sie zwingen zu Fokussierung und damit zu Beschränkung.

Spätestens hier stellt sich die Frage, wie kleinere Unternehmen die riesigen Potentiale der Lasertechnik nutzen können, ohne hohe Vorinvestitionen sowohl in Anlagen als auch in entsprechende Spezialisten. Ein Forschungsauftrag an eines der einschlägigen Institute oder die Teilnahme an einem Verbundprojekt sind oft schon zu teuer oder auch zu konkret, wenn zunächst die Klärung von Möglichkeiten und des Standes der Technik im Fokus stehen. Gerade die Technologieevaluation in Verbindung mit Machbarkeitsversuchen ist oft ein erster Schritt auf dem Weg in die Anwendung und er braucht umfassende Unterstützung, um erfolgreich sein zu können. Genau diesen Bedarf hat unter anderem das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen erkannt und das Aachen Center for Additive Manufacturing (ACAM) gegründet. Dieses ist Teil des Clusters Photonik in Aachen und wird in einem eigenen Gebäude Firmenpartnern den Raum für ihre spezifischen Entwicklungsprojekte bieten. Allerdings gibt es eben auch Angebote für Schulungen oder Machbarkeitsuntersuchungen für Unternehmen, die gerade erst in die Lasertechnologie einsteigen.

Im Cluster Photonik werden Industrieunternehmen mit Experten der RWTH Aachen und einigen Fraunhofer-Instituten an neuen Projekten für die Nutzung von Licht als Werkzeug in der industriellen Produktion arbeiten. In Anlehnung an die kreative ­Atmosphäre von Startup-Unternehmen sind neben Büros und Laboren sogenannte Scrum-Areas geplant. Dort können die Teams in großen Freiräumen gemeinsam Ideen entwickeln.

Abb. 4: Preisverleihung des Innovation Award Lasertechnologie des European Laser Institute im Rahmen des Laser-Kongresses im Aachener Rathaus (Quelle: Fraunhofer-ILT)

Abb. 5: Gebäudes des Clusters Photonik auf dem Aachener Universitätscampus (bei dessen Einweihung/rechts), in dem auch das Aachen Center for Additive Manufacturing arbeitet sowie Projekte im Rahmen der Digital Photonik Production durchgeführt werden (links)

 

Bei der feierlichen Eröffnung des ersten Gebäudes des Clusters im April 2016 waren bereits 90 Prozent der Flächen vermietet. Die ersten 150 Mitarbeiter werden in diesem Jahr einziehen, unter ihnen die Mitarbeiter des Aachen Center for Additive Manufacturing. Die Mitglieder dieses Netzwerks sind verschiedene Fraunhofer-Institute, Lehrstühle der RWTH Aachen und der FH Aachen sowie technologieorientierte Spin-Offs im Umfeld des RWTH Aachen Campus, die hier mit Unternehmen aus der Region ebenso wie mit internationalen Großkonzernen zusammenarbeiten.

Im Mittelpunkt stehen Weiterbildung und Auftragsforschung für die additive Fertigung. Darüber hinaus koordinieren die Aachener die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte strategische Forschungsinitiative Digital Photonic Production. In den kommenden 15 Jahren werden industrierelevante Projekte für aufbauende, abtragende und strukturierende Laserverfahren mit bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr anteilig gefördert.

Mit der Eröffnung des Cluster Photonik wurde eine neue Form der Kollaboration bei der Entwicklung von industrieller Lasertechnik gestartet. In einer staatlich geförderten Umgebung kommen hier Partner aus Forschung, Fraunhofer-Instituten, kleinen und großen Unternehmen zusammen, um in einer offenen Atmosphäre neue Ideen vom Labor in den Markt zu bringen.

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