Künstliche Muskeln aus dem Sprayer

Medizintechnik 11. 06. 2016
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Neues Herstellungsverfahren für elektroaktive Polymere

Forscher der Empa und der Universität Basel und haben eine neue Elektrospray-Methode entwickelt, mit der sich künstliche Muskeln aus nanometer-dünnen Silikonschichten herstellen lassen. Da derartige Muskeln bereits mit niedriger Spannung funktionieren, könnten sie künftig im medi­zinischen Bereich zur Behandlung von Inkontinenz eingesetzt werden.

Elastische Kunststoffe, die elektrische Energie in mechanische Arbeit umwandeln – so genannte elektroaktive Polymere (EAP) –, haben zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: Sie reichen vom Antrieb von Scheibenwischern über Schallerzeugung bis hin zu Linsensystemen für Kameras. Derartige stufenlos fokussierbare Linsen hat beispielsweise Optotune, ein Spin-off der ETH Zürich und der Empa, bereits erfolgreich auf den Markt gebracht. Das Prinzip bleibt immer gleich: Der Kunststoff wird mit zwei Elektroden versehen, die ein elektrisches Feld erzeugen. Stehen sie unter Spannung, dehnt sich das Material aus, wird die Spannung entfernt, zieht es sich wieder zusammen. Forscher der Universität Basel und der Empa haben nun im Projekt SmartSphincter im Rahmen des Schweizer Forschungsprogramms Nano-Tera künstliche Muskeln zur Inkontinenzbehandlung entwickelt.

Um effektiv zu funktionieren, benötigen mikrometer-dicke Silikonlagen eine Spannung von mehreren hundert Volt; für künstliche­ Muskeln im menschlichen Körper ist das deutlich zu hoch. Nanometer-dünne Schichten brauchen dagegen nur wenige Volt. Da die resultierende Kraft für diese Dünnfilme klein ist, muss man tausende Lagen übereinanderschichten, um eine genügend große Kraft zu erzeugen.

Beschichtung per Elektrospray

Mit den herkömmlichen Herstellungsmethoden ließen sich solche Sandwichstrukturen jedoch nicht fertigen. Das Team um Bert Müller vom Biomaterials Science Center der Universität Basel entwickelte gemeinsam mit Florian Weiss und Gabor Kovacs von der Empa-Abteilung Mechanical Systems Engineering ein Verfahren, das es ermöglicht, Silikonschichten anzufertigen, die deutlich dünner sind als ein Mikrometer. Außerdem sind sie extrem glatt: Ihre Oberflächenrauheit liegt unter einem Nanometer.

Im Empa-Labor wurden Silikonmoleküle­ in Lösung mithilfe von Hochspannung zerstäubt; dies ist als Elektrospray-Technologie­ bekannt. Normalerweise funktioniert Elektrospraying mit Gleichstrom. Für die Entwicklung von künstlichen Muskeln experi­mentieren die Empa-Wissenschaftler mit Wechselstrom. Die daraus gewonnenen Schichten lassen sich tausendfach aufeinandergeschichtet zu künstlichen Muskeln verarbeiten, die bereits bei einer Spannung von lediglich 40 Volt funktionieren. Das entspricht in etwa der Spannung einer Knopfzellenbatterie. Die Forscher hoffen, dass die Technologie bald für ein Implantat zur Behandlung von Inkontinenz eingesetzt werden kann.

Diese vergleichsweise simple und für die industrielle Fertigung bestens geeignete Methode birgt ein enormes Potenzial für die Herstellung von künstlichen Muskeln, wie man sie beispielsweise für den Antrieb von Scheibenwischern einsetzen könnte. Gabor Kovacs arbeitet denn auch in einem anderen Spin-off der Empa namens Compliant Transducer Systems an künstlichen Muskeln, die in großer Zahl hergestellt werden können. Kovacs‘ Ziel sind Polymeraktoren im Low-cost-Bereich, die in Millionenstückzahl fabriziert werden können; etwa für den Einsatz in Autos, wo sie diverse Klappen, Spiegel und Lampen bewegen oder für die industrielle Automation, um Greifer, Schalter und Ventile anzutreiben.
Martina Peter

Weitere Informationen

Dr. Gabor Kovacs
Empa, Mechanical Systems Engineering
E-Mail: gabor.kovacs@empa.ch

Prof. Dr. Bert Müller
Universität Basel, Biomaterials Science Center
E-Mail: bert.mueller@unibas.ch

 

Text zum Titelbild: Für die Entwicklung von künstlichen Muskeln experi­mentieren die Empa-Wissenschaftler mit Wechselstrom (Bild: Empa)

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